1.

[164] Wie mir Blut und Atem stockte,

Süßer Schreck mein Herz befing,

Als die schöne Blondgelockte

Heut an mir vorüberging!


Kaum vermocht' ich sie zu grüßen;

Wie verzaubert blieb ich stehn,

Lang noch den beschwingten Füßen

Im Enteilen nachzusehn.[164]


War's das Haar, das fein und golden

Leicht sich kraust' um Stirn und Schlaf?

War's ein Strahl aus diesen holden

Blauen Augen, der mich traf?


War's ihr Gang, der reizend schwebte?

Dieser Mund, der schweigend sprach?

Meine ganze Seele bebte,

Und noch immer bebt sie nach.


Also bebt wohl bis zum Grunde

Der Jasminbusch wonnevoll,

Wenn er spürt, es kam die Stunde,

Da er wieder blühen soll.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 164-165.
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