An. F.C.

[210] Februar 1851.


Durch die klare Luft im Winde

Segeln heut mir die Gedanken,

Dich, mein hoher Freund, zu grüßen

Ziehn sie nach dem Strand der Oder.


Nicht im engen Krankenzimmer,

Wo ich, ach, dich ließ beim Scheiden,

Im bereiften Winterfroste

Suchen sie den rüst'gen Weidmann.


Frischen Muts und hellen Auges

Hoffen sie dich dort zu finden,

Heiter, wie in jenen Tagen,

Da du zu Gastein dich sonntest.


Schönes Wildbad! Oft noch steigst du

Vor mir auf; in meine Träume

Weht es kühl dann wie Gebirgsluft,

Klingt es wie des Älplers Zither.


Wieder dann die schwarzen Tannen

Seh' ich nicken überm Abgrund,

Und den Sturzbach durchs Geklüft

Hör' ich leidenschaftlich brausen.


Und die himmelhohen Wände

Gipfeln sich vor mir wie Zinnen

Einer Geisterburg; du trafst

Dort mit sichrem Blei die Gemse.


Dann gedenk' ich auch des Tages,

Da durch Alpenrosenfelder,

Durch Geröll und Schnee wir klommen

Nach des Gamskarkogels Spitze.


Mühsam war der Pfad; die Pferde

Stutzten oft am jähen Abhang,[211]

Aber droben im kristallnen

Mittagsglanze welch ein Ausblick!


Um uns her unendlich lag es

Wie ein Meer von Riesenwogen,

Jede Wog' ein Bergesgipfel,

Jeder Woge Schaum Lawinen.


Und du nanntest mir die Höhen:

Watzmann, Herzog Ernst, Großglockner –

Doch den höchsten Berg in Östreich

Hab' ich damals nicht gesehen.


Schwarzenberg ist der geheißen

Und zur Zeit so hoch geworden,

Daß er seinen kalten Schatten

Wirft von Wien bis in die Ostsee.


In dem Schatten dieses Berges

Wachsen auch die Zauberstäbe,

Welche jetzt die Welt regieren

Und das deutsche Reich insonders.


Haselstöcke nennt das Volk sie;

Ach, von weißen Hexenmeistern

Nach dem Takt geschwenkt, du glaubst nicht,

Welche Wunder sie verrichten.


Blutrot wandeln sie in Schwarzgelb,

Adler in geduld'ge Spatzen,

Ja, man lernt sogar Geschichte

Und Geographie von ihnen,


Lernt, daß Slawen stets und Deutsche

Sind ein Brudervolk gewesen,

Daß ein Dänenfluß die Eider,

Und daß Preußen liegt – im Monde.


In der freien Reichsstadt Lübeck

Hör' ich täglich jetzt ihr Sausen;[212]

Die Musik spielt auf dazu:

»Gott erhalte Franz den Kaiser!«


's ist ein schönes Lied, ich lerne

Schon die Weise; binnen kurzem

Wird man von Triest bis Rendsburg

Doch nichts andres singen dürfen.


Ja, wer weiß, wenn ich zum Herbste

An der Oder heim dich suche,

Ob's im Wald von Heinrichslust

Nicht bereits die Vögel pfeifen.


Doch genug! Leb' wohl, mein Fürst,

Und verzeih mein formlos Scherzen;

Seit die Welt so ungereimt ward,

Schreib' ich ungereimte Verse.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 210-213.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Heroldsrufe
Heroldsrufe: Aeltere Und Neuere Zeitgedichte (German Edition)

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon