Deutschland

[203] 1849.


Ein Jahr lang rangest du in bittern Wehen

Gleich einem Weibe, das da will gebären,

Hinströmen sah ich deine blut'gen Zähren,

Und deine Seufzer, Deutschland, hört' ich gehen.


Wohl trug ich Leid, dich so in Qual zu sehen,

Doch eine Hoffnung wagt' ich fromm zu nähren,

Es werd' aus deines Schoßes dunklem Gären

Die Eintracht wie ein lächelnd Kind erstehen.


Mich trog ein Wahn. Dein Weinen ging verloren,

Verloren alle Not, so du erlitten;

Doch die darüber jauchzen, acht' ich Toren.


Denn Ahnung sagt mir, stets umsonst bestritten,

Nun werde solche Frucht einst ungeboren

Mit scharfem Stahl aus deinem Leib geschnitten.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 203.
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