|
Wie lieblich fließt durch grüne Tannen
Auf Böhmens Höhn der Sonne Strahl!
Durchs Dickicht rauscht das Reh von dannen,
Durch Felsen blinkt der Quell ins Tal,
Und fern zu blauen Bergeswarten
Verliert sich träumend Aug' und Sinn,
Du aber wandelst durch den Garten
In stiller Anmut lächelnd hin.
Und wie dein Blick mit leiser Frage
Sich freundlich zu dem meinen neigt,
Da muß ich denken jener Tage,
Die mir zuerst dein Herz gezeigt;
Da ich, ein ungestümer Knabe,
Von dunklem Jugenddrang bewegt
Der ersten Lieder frühe Gabe
Schamrot in deine Hand gelegt.
Ach, damals klang's mir leise wider,
Was ich voll Sehnsucht vorgefühlt,
Und flatternd irrten meine Lieder,
Wie wenn der Wind in Saiten wühlt.
Noch schwankte vor dem jungen Herzen
Die Welt mir wie ein goldner Traum;
Allein den Abgrund aller Schmerzen,
Der Freuden Gipfel ahnt' ich kaum.
Doch anders ward es. Leid und Wonne,
Nun hab' ich sie zum Grund erprobt;
Mich hat versengt des Südens Sonne,
Mich hat des Nordens Sturm umtobt.[9]
Ich trank der Liebe vollsten Sprudel,
Ich weint' um die verlorne Lust;
Doch in des Lebens wildem Strudel
Ward ich des Zieles mir bewußt.
Wenn draußen der verworrne Reigen
Des Tages laut und lauter scholl,
Lernt' ich zum Born hinabzusteigen,
Aus dem mir ew'ge Klarheit quoll.
Mir spielte wie mit kühler Schwinge
Ums Haupt der Odem der Natur,
Und einsam den Gesang der Dinge
Vernahm mein Ohr aus Wald und Flur.
Da ward es hell mir im Gemüte,
Ich sah durch eines Geistes Wehn
Der Zeiten Schritt, der Blumen Blüte
In heil'ger Ordnung wechselnd gehn;
Ich sah den Tod das Sein gebären,
Den Einklang hört' ich durch im Zwist,
Und ahnend lernt' ich tief verehren
Das Wunder dessen, was da ist.
Was so im Busen ich getragen,
Was ich gekämpft, verfehlt, ersiegt,
Das laß dir nun dies Büchlein sagen,
Drin meine Seele vor dir liegt.
So nimm es hin! Und wuchert munter
Manch buntes Unkraut auch noch heut:
Schon sind die Erstlingshalme drunter
Der Ernte, die mein Leben beut.
Marienbad, im Julius 1846.
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro