Feierabend

[26] Wie sich am westlichen Himmel

Hinter den Bergen im Purpurgeflock

Die Sonne verliert,

Atmet die Brust freudiger auf

Und saugt begierig

Den kühl erfrischenden Hauch des Abends.[26]


Stiller wird's in der Seele;

Ein ruhig heitrer See,

Dehnt sie sich weit;

Schwänen gleich

Ziehen Erinnerungen

Über den friedlichen Spiegel hin.


Ruhe, Ruhe

Säuselt mich an aus der Höhe.

Über das Auge sinkt

Leise die Wimper,

Und vom Wunderbaume der Nacht

Brech' ich des Schlummers liebliche Blüte,

Des Traumes Goldfrucht.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 26-27.
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