Schmetterling

[22] Ein Wetterfähnlein ist mein Sinn,

Er schwankt und wankt im Lieben,

Er dreht sich her und dreht sich hin,

Von jedem Wind getrieben.

Ich weiß nicht, ist's mit mir allein,

Mag's andern auch so gehen?

An jedem Fenster groß und klein

Muß ich was Holdes sehen.


Heut klopf' ich bei der Blonden an

Und morgen bei der Braunen,

Und übermorgen muß ich dann

Der Schwarzen Reiz bestaunen.[22]

Nur kann ich nimmer allzulang

Bei einer mich verweilen;

Macht mich ein dunkles Auge krank,

Ein blaues muß mich heilen.


Und leicht gewogen hier am Ort

Sind mir die ros'gen Schönen,

Denn jede hört ein Liebeswort

Zur Zither gern ertönen,

Und jede schwärmt auf ihre Art

Beim sanften Glanz der Sterne,

Und machst du's nur ein wenig zart,

So küßt auch jede gerne.


So fliehn mir denn in leiser Spur

Dahin die schnellen Stunden;

Ich seufze nicht, ich singe nur

Und weiß von keinen Wunden;

Bald bin ich dort, bald bin ich hier,

An Scherz und Spiel mich labend,

Und jeder Tag bringt Lieder mir

Und Küsse jeder Abend.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 22-23.
Lizenz:
Kategorien: