Dichterlos

[408] Und so klag' ich zu dir,

Vater Apoll!

Du aber hörest geduldig

Mein leidvoll Schicksal,

Denn wie dein eigenes klingt es;

Und an Daphnen gedenkend,

Die Jugendblonde, die Frühgeraubte,

Lächelst du unter der Strahlenwimper

Mitleidig mich an

Und schwichtigst huldreich

Mit Leiertönen

Mir das stürmische Herz.


Ach, gleich dir

Breitet' ich einst im Frührot

Liebeverlangend

Sehnsüchtige Arme aus.

Aber das reizende Bild,

Das heißbegehrte,

Floh wie das Reh des Gebirgs

Scheu vor mir her,

Nur die unfühlbare Luft

Zur Umarmung mir lassend.

Vom Gipfel zum wonnigen Tale,

Durch die Schatten des dämmernden Waldes

Zog es mich nach[408]

In unsterblicher Anmut,

Immer den schimmernden

Nacken mir zeigend,

Immer nah den beflügelten Füßen,

Nimmer erreicht.


Wohl rief ich, weint' ich

Nach der flüchtigen Liebe,

Und du, o Vater,

Träufeltest goldenen Wohllaut

In die Stimme des Rufenden

Und mischtest mit Nektar

Seine Tränen.


Die Blüte der Freude

Bracht' ich seitdem

Den Gästen zum Mahle,

Zum Herde den Glücklichen,

Der Braut zum Feste,

Freudlos selber.


Ach! Und nun ich endlich

Das selige Kleinod

Mit der Spitze des Fingers streife

Und tief aufatmend

Ermattet sinke:

Hat sich das Köstliche mir

Unter den Händen

Zum Lorbeer verwandelt.


Wohl rauscht er tröstliche Kühlung

Um die pochenden Schläfe,

Aber in Schlummer nicht

Rauscht er die unauslöschliche Sehnsucht;

Und klagen muß ich im Liede

Fort und fort,

Wie du, Vater, dereinst

Von Pindus' waldigen Gipfeln

Um Daphnen klagtest.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918.
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