|
[338] Zu Würzburg in der güldnen Blum',
Da, sagt man, geht ein Geist herum,
Der hat dem Wirt von Mitternacht
Bis Eins schon manchen Schreck gemacht.
Kamen einmal drei Studiosen
Mit knappem Reitwams, Lederhosen
Und hellem Sporenklang daher,
Denen erzählt der Wirt die Mär.
Machen die Herren ein klug Gesicht,
Sagen, sie glaubten kein Wort ihm nicht,
Sei'n gar gewitzt und viel gereist
Und forcht'ten sich vor keinem Geist!
Wollten noch heut die Probe machen,
Den Geist zu bannen und auszulachen.
So satzten sie vergnügt im Sinn
In die verrufene Kammer sich hin,
Stellten drei Lichter auf den Tisch,
Der Wirt bracht' ihnen vom Weißen frisch;
Sie diskurrierten hin und her,
Trank jeder ein Maß und wohl noch mehr.
Und als es schlug die zehnte Stunden,
Der Weiße wollt' ihn'n nicht mehr munden,
Ließen sich drum vom Roten bringen;
Der machte sie alsbalde singen,
Und jeder zu besundrer Lust
Viel neuer Schwänk' und Liedel wußt'.
Doch als die Turmuhr Eilfe schlug,
Sie hatten des Roten auch genug;[338]
Forderten mit geschliffnen Kelchen
Noch einen Wein, ihr merkt schon welchen:
Der hell im Glase rauscht und säuselt
Und lichten Schaum und Perlen kräuselt.
Des tranken sie nun auch ihr Teil,
Hatten dabei nicht lange Weil,
Bis endlich mit gelindem Schwanken
Umgingen ihnen die Gedanken,
Ein leiser Frost sie überkam,
Der Kopf ward schwer, die Zunge lahm.
Da schlug es Mitternacht vom Turm;
Auffuhr die Tür als wie im Sturm,
Und trat herein zu ihrem Graun
Der Geist, entsetzlich anzuschaun,
Aschfarb von Antlitz, Kleid und Schopf,
Hinten mit einem langen Zopf,
Die Nas' allein in rotem Schein
Erglühend wie Karfunkelstein.
Hertrat zum Tisch das Ungetüm,
Fuhr an die Herrn mit heisrer Stimm':
»Was treff' ich euch, ihr lockern Buben,
Zu solcher Zeit in dieser Stuben?
Könnt ihr nicht ruhig schlafen aus
Oder mit rechtem Fleiß zu Haus
Aristotelem exponieren,
Euch aufs Examen präparieren?
Statt dessen weicht ihr hier im Wein
Eure steinharten Köpfe ein,
Verstört die Nacht aus ihrer Ruh'!
Und was beginnt ihr morgen fruh?
Was ist dann eurer Seelen Nahrung?
Antwort: dünn Bier und salzen Harung.
Denn wie wohl fändet ihr den Weg
Zu beßrer Atzung ins Kolleg?«
Damit packt' er den ersten frisch,
Warf kurz und gut ihn untern Tisch;
Den zweiten schnürt' er an der Kehlen,[339]
Der meint', es führ' ihm aus die Seelen;
Den dritten pantscht' er auf den Bauch,
Daß von ihm ging manch Seufzerhauch.
Das war ein ungefüges Raufen,
Ein banges Winseln, Keuchen, Schnaufen,
Bis bei dem ersten Schlag der Uhr
Der Geist mit Stank von dannen fuhr.
Den Herren war nicht wohl zumut,
Verspürten kalten Schweiß und Glut,
Blieben ganz stille in der Schenken,
Schliefen die Nacht auf harten Bänken;
Und als der Wirt frühmorgens kam,
Von ihnen die schwere Zeche nahm,
Bekannten sie mit bleichen Mienen,
Der Geist wär' ihn'n doch erschienen;
Noch läg's ihnen in den Gliedern schwer,
Und wollten ihn bannen nimmermehr.
Der Geist zu Würzburg in der Kammer
Heißt insgemein: Herr Katzenjammer.
Und die Moral von der Geschicht':
Auf Weißen trinkt kein'n Roten nicht;
Und setzt ihr gar Champagner drauf:
Der Geist von Würzburg wart't euch auf.
Buchempfehlung
Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.
298 Seiten, 15.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro