2. Schottisch

[237] Weit, weit aus ferner Zeit

Aus grüner Jugendwildnis

Grüßt mich in Lust und Leid

Ein wundersames Bildnis.

Wohl kenn' ich gut

Der Lippe Glut,

Die mit mir pflag zu kosen,

Das Auge so hold,

Der Locke Gold,

Der Wange bleiche Rosen.

Denn ob in Kampf und Schmerz

Kein Hauch der Jugend bliebe:

Nie doch vergißt das Herz

Den Traum der ersten Liebe.[237]


Spät nach des Tages Streit,

Wenn klar erglühn die Sterne,

Gibt's mir ein treu Geleit

In aller Näh' und Ferne.

Ich lag bei Nacht

Wohl auf der Wacht,

Da stand es mit am Feuer;

Ich fuhr daher

Übers blaue Meer

Und sah es ruhn am Steuer.

Denn ob in Kampf und Schmerz

Kein Hauch der Jugend bliebe:

Nie doch vergißt das Herz

Den Traum der ersten Liebe.


Still wie ein schüchtern Kind,

So blickt's mich an durch Tränen,

Will seine Locken lind

An meine Schulter lehnen.

Es winkt so lieb,

Es singt so trüb

Von Zeiten, die vergangen;

Da schmilzt mein Sinn

In Heimweh hin,

Bin für und für gefangen.

Denn ob in Kampf und Schmerz

Kein Hauch der Jugend bliebe:

Nie doch vergißt das Herz

Den Traum der ersten Liebe.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 237-238.
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