Geduld!

[301] Frühjahr 1849.


So schwankst du wieder als ein Rohr dahin,

Gegeben in des Windes Zorn und Huld?

Hast du noch immer nicht, mein trotz'ger Sinn,

Erlernt Geduld?


Magst du in goldnen Zukunftsträumen stehn,

Magst hin du weinen sonder Licht und Rat:

Geduld! Geduld! – die ew'gen Sterne gehn

Doch ihren Pfad.[301]


Und der die Bahnen ihnen auserwählt

Und sie bewegt mit seines Mundes Hauch,

Er hat die Tränen deines Volks gezählt

Und deine auch.


Er hält der Zeiten Wag' und wägt genau,

Und was sie sinnen, er nur gibt den Schluß;

Kein Stein wird fallen, der für seinen Bau

Nicht fallen muß.


Stehst du mit ihm in Frieden, magst du fest

Des Weltgangs Brausen hören fern und nah:

Dir ist der Tag, was er auch werden läßt,

Zum Segen da.


Drum hoff' auf ihn und bänd'ge deinen Zwist,

Und was dir fehlschlug, hoffe stets aufs neu':

Sein Nam' ist Kraft und Wunder, und er ist

Allein getreu.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 301-302.
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