25.

[53] Lilie du im Rosengarten,

Leicht und hoch auf schlankem Stamme

Schwebst du in den Morgenlüften,

Eine zarte Silberflamme.


Wie dein Kelch dem Strahl erschlossen

Sich nach unten fest verschränket:

Eigen scheinst du kaum der Erde,

Nur dem Himmel, der dich tränket.


Ach, du grüßest mich von einer,

Die ich rein wie dich erkannte,

Die ich einst mit süßem Namen

Seele meiner Seele nannte,[53]


Die mich lehrte, wie die Liebe

Himmlisch sich enthüllt in Schmerzen –

Wenn ich ihrer nur gedenke,

Wird es Sabbat mir im Herzen.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 53-54.
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