Im Frühling

[16] Wie geht nun, da sich brach der Stürme Wüten,

Durchs Frühlingstal ein wundervolles Weben!

Es weiß in jugendlichem Freudebeben

Kein Wesen mehr sein Innerstes zu hüten.


Des Baumes Seele dringt hervor in Blüten,

Die Blume läßt den Geist als Duft entschweben,

Zum Liede wird des Vogels tiefstes Leben,

Und licht in Flammen schmilzt der Wolke Brüten.


Mir ist es oft in diesen lichten Tagen,

Als ränge die Natur in heil'gem Triebe,

Ein göttliches Geheimnis uns zu sagen:[16]


Ein Wort, das darum nur gestammelt bliebe,

Weil wir ihr selber nicht entgegentragen

Ein reingestimmtes Herz voll Glanz und Liebe.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 16-17.
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