In der Frühe

[274] Frisch von kühlem Tau durchquollen

Schauern Wald und Erlenbruch;

Aus des Ackers schwarzen Schollen

Dampft ein kräft'ger Erdgeruch.


Still noch ist's auf allen Wegen,

Nur vom Dorf die Glocke ruft

Fernher ihren Morgensegen

Durch die sonnendunst'ge Luft.


Von dem Strom, wo ich gebadet,

Eh' der letzte Stern entfloh,

Mit verjüngter Kraft begnadet

Kehr' ich heim, des Tages froh.


Ahnungsvoll im Busen klingt mir

Dunkler Melodien Gewühl,

Und den leichten Schritt beschwingt mir

Ein beglückend Vorgefühl.


Was bedeutet dies Empfinden?

Soll ich die Geliebte sehn?

Oder flutet in den Winden,

Muse, deines Odems Wehn?

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 274.
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