|
[182] Jüngling.
Durch den Wald, durch den Wald,
Den Felsenspalt
Klimm' ich hinunter,
Alter Kaiser, zu dir
Und rufe dich munter.
O nimm von mir
Die Last, den Kummer!
Kaiser.
Was störst du mich aus hundertjähr'gem Schlummer?
Rede, Geselle!
Jüngling.
Draußen toset die Brandung der Zeit.
Sie warf mich wie die sterbende Welle
Hier aus in deine Einsamkeit.
O, eh' ich mich wieder hinunterwage,
Sag', wie ich's trage!
Gib Rat, gib Weisheit!
Kaiser.
Was fandest du?
Jüngling.
Nirgends Ruh'!
Überall ein Stürmen, ein Drängen
In den Herzen, in den Gesängen.
Nirgends mehr ein sicheres Bildnis,
Alle Farben fließend verwischt,
Und in sündlicher Wildnis
Nacht und Klarheit,
Lüg' und Wahrheit,
Recht und Frevel zusammengemischt.
Kaiser.
Und im Volke die Alten?
Jüngling.
Die stützen und halten,
Halten das Gute, halten das Schlimme.[183]
Sie hören nicht die Gottesstimme,
Die nächtlich durch das Land sich schwingt
Und leise lockend, leise,
Wie eine Frühlingsweise,
Von einer reichen Zukunft singt.
Der Lenz ist ihnen zu grün,
Zu hell die Sonne,
Der Jugend schwellende Wonne
Zu stolz, zu kühn.
Sie zertrümmern feindlich die Flasche
Voll feurig gärenden Weins
Und wissen nur eins:
Die Flamm' ist gefährlicher als die Asche.
Kaiser.
Aber die Jungen?
Jüngling.
Die schelten und meistern mit kecken Zungen;
Nichts ist ihnen recht,
Alles soll anders werden
Im Himmel und auf Erden,
Und wer nicht mitschreit, heißt ein Knecht.
Sie möchten das Höchste zu unterst kehren,
Um selbst zu herrschen nach eignem Begehren;
Der Glaub' ist ihnen ein Fastnachtsscherz,
Eine Torheit das Herz.
Ach, und so viele
Treiben's zum Spiele!
Nach Freiheit rufen sie männiglich
Und sind der eigenen Lüste Knechte;
Sie reden vom ewigen Menschenrechte
Und meinen doch nur ihr kleines Ich.
Sie wollen der Wahrheit Schlachten schlagen,
Und die Lüg' ist ihr Schwert,
Wollen die Welt auf den Schultern tragen
Und ordnen kaum den eignen Herd.
Kaiser.
Toren! Sie schießen nach den Sternen,[184]
Doch sie werden das Treffen nicht lernen.
Die Welten wandeln ihren Gang
Ruhig entlang
Und lächeln auf die Knaben herunter.
Jüngling.
Aber es sind auch andre drunter,
Ein welfisch ehrenwert Geschlecht;
Sie klagen um zertretnes Recht.
Sie haben geredet, gerufen
Vor den Hallen, an den Stufen,
Sie haben geläutet unverdrossen
Im Trauergewand, in der Flehenden Kleid,
Aber es blieb vor ihnen verschlossen
Die Pforte der Gerechtigkeit.
Gilt es nicht da, das Schwert zu schleifen?
Kaiser.
Laß reifen, laß reifen!
Tändle nicht mit tödlichen Waffen!
Im alles verwettenden Spiele
Was magst du schaffen?
Denn wenn der Würfel nun anders fiele,
Als du gedacht?
Wenn unter des Fremdlings Sichelschneide
Die junge Saat hinsänke mit Leide,
Kaum zur grünen Hoffnung erwacht?
Harre, doch sei nicht angstbeklommen.
Der Lenz wird kommen
Plötzlich geboren über Nacht.
Jüngling.
Wie lange wird er noch verziehn!
Oft will die Last mich niederpressen -
Kaiser.
Wirf deine Sorge all' auf ihn,
Der droben auf ewigem Stuhl ist gesessen!
Er hat auch euer nicht vergessen.
Die Stunde kennt er, die Wege.
Du aber pflege[185]
Der Gabe, die er dir gnädig beschied,
In Tat und Lied.
Schaue fest auf das Ziel deiner Reise!
Der ist der Weise,
Der es nimmer vergaß;
Wirke treu im befriedeten Kreise
Und halte Maß.
Ausgewählte Ausgaben von
Zeitstimmen
|
Buchempfehlung
In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro