Elfter Auftritt

[393] Cleon. Lottchen.


LOTTCHEN. Papa, der Herr Vormund des Herrn Damis hat durch seine Bedienten dieses Zettelchen an Sie geschickt.

CLEON liest. »Weil Sie es verlangen: so werde ich die Ehre haben, gegen die Kaffeezeit zu Ihnen zu kommen. Ich lasse mir die Wahl des Herrn Damis, meines Mündels, sehr wohl gefallen. Er hätte nicht glücklicher wählen können. Kurz, ich will mich diesen Nachmittag mit Ihnen und Ihren Jungfern Töchtern recht vergnügen, weil ich ohnedies heute eine angenehme Nachricht vom Hofe erhalten habe. Zugleich muß ich Ihnen melden, daß heute oder morgen das Testament Ihrer seligen Frau Muhme, der Frau Stephan, geöffnet werden soll. Ich glaube gewiß, daß sie Ihnen etwas vermacht hat. Vielleicht kann ich Ihnen die Gewißheit davon um vier Uhr mitbringen. Ich bin« usw. Das geht ja recht gut, meine liebe Tochter. Ich dachte immer, der Herr Vormund würde seine Einwilligung nicht zur Heirat geben, weil meine Tochter kein Vermögen hat.

LOTTCHEN. Das habe ich gar nicht befürchtet. Der Herr Vormund ist ja die Leutseligkeit und Menschenliebe selbst und macht sich gewiß eine Freude daraus, zu dem Glücke eines Frauenzimmers etwas beizutragen, der man keinen größern Vorwurf machen kann, als daß sie nicht reich ist.

CLEON. Tochter, du hast recht. Es ist ein lieber Mann. Ich habe nur gedacht, daß er einen gewissen Fehler haben müßte, weil er schon nahe an vierzig ist und noch kein Amt hat. Aber was hilft uns das alles, wenn Julchen den Herrn Damis nicht haben will?

LOTTCHEN. Machen Sie sich keine Sorge, lieber Papa. Julchen ist so gut als besiegt. Und ich denke, es könnte ihr kein größer Unglück widerfahren, als wenn man ihr ihren Schatz, die sogenannte Freiheit, ungeraubt ließe. Ich habe die sichersten Merkmale, daß sie den Herrn Damis liebt.

CLEON. Sollte es möglich sein? Ich dürfte es bald selbst glauben. Ihr losen Mädchen tut immer, als wenn euch nichts an den Männern läge, und heimlich habt ihr doch eine herzliche Freude an ihnen.[393] Je nun, die Liebe ist auch nötig in der Welt, sonst hätte sie uns der Himmel nicht gegeben.

LOTTCHEN. Papa, diese Satire auf die losen Mädchen trifft mich nicht. Ich dächte, ich machte kein Geheimnis aus meiner Liebe. Wenigstens halte ich die vernünftige Liebe für kein größer Verbrechen als die vernünftige Freundschaft. Unser Leben ist vielleicht deswegen mit so vielen Beschwerlichkeiten belegt, daß wir es uns desto mehr durch die Liebe sollen leicht und angenehm zu machen suchen.

CLEON. Mein Kind, wenn mir die Frau Muhme Stephan etwas vermacht haben sollte: so sähe ich's sehr gerne, wenn ich euch, meine Töchter, auf einen Tag versprechen und euch in kurzem auf einen Tag die Hochzeit ausrichten könnte. Ich wollte gern das ganze Vermächtnis dazu hergeben.

LOTTCHEN. Sie sind ein liebreicher Vater. Nein, wenn Sie auch durch das Testament etwas bekommen sollten: so würde es doch ungerecht sein, wenn wir Sie durch unsre Heiraten gleich um alles brächten. Nein, lieber Papa, ich kann noch lange warten. Und mein Geliebter wird sich ohnedies nicht zur Ehe entschließen, bis er nicht eine hinlängliche Versorgung hat.

CLEON. Tue dein möglichstes, daß Julchen heute noch Ja spricht. Die Mädchen müssen wohl ein wenig spröde tun; aber sie müssen es den Junggesellen auch nicht so gar sauer machen.

LOTTCHEN. Papa, unsre selige Mama sagte nicht so.

CLEON. Loses Kind, ein Vater darf ja wohl ein Wort reden. Ich bin ja auch jung gewesen, und meine Jugend reut mich gar nicht. Ich und deine selige Mutter haben uns ein Jahr vor der Ehe und sechzehn Jahre in der Ehe wie die Kinder vertragen. Sie hat mir tausend vergnügte Stunden gemacht, und ich will's ihr noch in der Ewigkeit danken. Sie hat auch euch, meine Kinder, ohne Ruhm zu melden, recht gut gezogen. Ich weine vielmal, wenn ich des Abends nach der Betstunde von euch gehe und eure Andacht, insonderheit die deinige, sehe. Es wird dir gewiß wohlgehen. Verlasse dich darauf. Du tust mir viel Gutes. Du führst meine ganze Haushaltung. Sei zufrieden mit deinem Schicksale. Ich lasse dir nach meinem Tode einen ehrlichen Namen und eine gute Auferziehung. Laß mich ja zu meiner seligen Frau ins Grab legen. Ich will schlafen, wo sie schläft.

LOTTCHEN. Ach, Papa, warum machen Sie mich weichmütig? Sie werden, wenn es nach meinem Wunsche geht, noch lange leben[394] und erfahren, daß ich meinen Ruhm in der Pflicht, Ihnen zu dienen, suche. Und wenn ich Sie hundert Jahre versorge: so habe ich nichts mehr getan, als was mir meine Schuldigkeit befiehlt. Heute müssen Sie vergnügt sein. Doch vielleicht ist die traurige Empfindung, die in Ihnen entstanden ist, die angenehmste, die nur ein rechtschaffener Vater fühlen kann. Aber, lieber Papa, es ist kein Wein mehr im Keller als das gute Faß, das Sie in meinem Geburtsjahre eingelegt haben. Was werden wir heute unsern Gästen für Wein vorsetzen?

CLEON. Tochter, zapfe das Faß an. Und wenn es Nektar wäre: so ist er für den heutigen Tag nicht zu gut. Es wird bald Mittagszeit sein. Ich will immer gehen und die Forellen aus dem Fischhälter langen. Wenn ich Julchen sehe: so will ich dir sie wohl wieder herschicken, wenn du noch einmal mit ihr reden willst.

LOTTCHEN. Recht gut, Papa, ich will noch einige Augenblicke hier warten.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 393-395.
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