Das Glück und die Liebe

[198] Einst wollten Lieb' und Glück sich sichtbar überführen,

Wer stärker sei, des Menschen Herz zu rühren;

Und Semnon, wie die Sag' erzählt,

Ein Mann, der oft das Glück um seine Gunst gequält,

Ein Mann in seinen besten Jahren,

Ward, um an ihm es zu erfahren,

Vom Glück und von der Lieb' erwählt.


Das Glück bot alles auf, was je der Mensch geschätzt.

Was seine Sinne rührt, was je sein Herz ergetzt,

Wodurch der Stolz sich hebt und zur Bewundrung eilet,

Ward von der Hand des Glücks dem Semnon itzt erteilet.

Er sah sich reich, und Marmor schloß ihn ein.

Sein Zimmer schien der Freuden Thron zu sein;

Und täglich wuchs die Pracht der schon geschmückten Wände

Noch durch der Künstler kluge Hände;

Und täglich wuchs im Speisesaal

Der Schüsseln und der Diener Zahl,

Mit ihnen der Bewundrer Menge

Und der Klienten Lobgesänge.

Bald fiel ein reiches Erb' an ihn,

An das er nicht gedacht; kaum war ihm dies verliehn:

So zog das Glück durch seine Künste

Schon in den reichsten Lotterien

Für seinen Freund die Hauptgewinnste.
[198]

So ward ein neuer Schatz ihm täglich kund gemacht,

Bald was sein Kux, bald was sein Schiff gebracht;

Und so viel Gunst aus seines Glückes Händen

Blieb alle Pracht zu wenig zu verschwenden.

Er schlief, berauscht von Freuden, ein,

Stund auf, den Freuden sich zu weihn.

Sein Wink war der Verehrer Wille

Und jeder Tag ein Fest des Glückes und der Fülle.


»Wer zweifelt«, sprach das Glück, »daß mir der Ruhm gebührt?

Ist Semnon nicht unendlich sehr gerührt?«

»Vielleicht«, versetzt darauf die Liebe,

»Rühr' ich sein Herz durch stärkre Triebe;

Er soll Serinen sehn. Ihr unschuldsvoller Blick

Besiegt vielleicht dich, mächtig's Glück!«

Er sah nunmehr die göttliche Serine.

Ihn rührt der Reiz der edlen Miene;

Doch mehr als ihr beredt Gesicht

Das Herz, das aus Serinen spricht.

Schon scheint der Glanz von seinen Schätzen,

Schon sein Palast, schon Freund und Wein,

Schon die Musik ihn minder zu ergetzen.

»Wie glücklich, wär' ihr Herz erst mein,

Wie glücklich würd' ich dann nicht sein!

O Liebe! lehre mich, dies Herz mir zu verdienen,

Und sprich: wodurch besieg' ich einst Serinen?« –

»Sei«, spricht sie, »kein Verschwender mehr,

Gieb Schmeichlern weiter kein Gehör.«

Schon ist er kein Verschwender mehr,

Schon giebt er Schmeichlern kein Gehör.

»Such' deine Lust in stillern Freuden;

Sei gütig, liebreich und bescheiden;

Und liebe nicht dein Glück zu sehr.«

Schon suchte Semnon stillre Freuden;

Schon ward er liebreich und bescheiden;

Serine floh ihn schon nicht mehr,

Serine gab ihm schon Gehör

Und ward die Seele seiner Freuden.
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»Die Liebe«, sprach das Glück, »scheint Semnon vorzuziehn;

Allein mehr als zu bald soll er Serinen fliehn.

So viel ich ihm geschenkt, so viel sei ihm entrissen!

Wird ihm die Liebe wohl der Armut Qual versüßen?«

Das Glück verließ ihn drauf, und Semnons Gut verschwand.

Kein Bergwerk half ihm mehr, kein Schiff kam mehr ans Land;

Sein Reichtum ward der List und der Gewalt zur Beute,

Und nichts blieb ihm von dem, was sonst sein Herz erfreute,

Nichts als sein treues Weib, im widrigsten Geschick

Sein Beistand und auf stets sein Glück.

Durch Fleiß entrissen sie sich der Gefahr zu darben;

Und froh genossen sie, was sie durch Fleiß erwarben.

Umsonst versprach das Glück, ihn doppelt zu erfreun,

Wenn er der Lieb' entsagen wollte.

»Nein«, rief er, »wenn ich auch ein Krösus werden sollte,

Ging ich doch nie dein Anerbieten ein.

Die Liebe läßt mich weiser sein,

Als daß ich dich mir wieder wünschen wollte.

Serine, komm'! Mein Herz bleibt dein;

Viel besser, ohne Glück als ohne Liebe sein.«

»Ja, Semnon, ja, mein Herz ist dein;

Viel besser, ohne Glück als ohne Liebe sein.«

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 198-200.
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