[252] Gedanke, der uns Leben gibt,
Welch Herz vermag dich auszudenken![252]
»Also hat Gott die Welt geliebt,
Uns seinen Sohn zu schenken!«
Hoch über die Vernunft erhöht,
Umringt mit heilgen Finsternissen,
Füllst du mein Herz mit Majestät,
Und stillest mein Gewissen.
Ich kann der Sonne Wunder nicht,
Noch ihren Lauf und Bau ergründen;
Und doch kann ich der Sonne Licht
Und ihre Wärm empfinden.
So kann mein Geist den hohen Rat
Des Opfers Jesu nicht ergründen;
Allein das Göttliche der Tat,
Das kann mein Herz empfinden.
Nimm mir den Trost, daß Jesus Christ
Am Kreuz nicht meine Schuld getragen,
Nicht Gott und mein Erlöser ist:
So werd ich angstvoll zagen.
Ist Christi Wort nicht Gottes Sinn:
So werd ich ewig irren müssen,
Und wer Gott ist, und was ich bin,
Und werden soll, nicht wissen.
Nein, diesen Trost der Christenheit
Soll mir kein frecher Spötter rauben;
Ich fühle seine Göttlichkeit,
Und halte fest am Glauben.
Des Sohnes Gottes Eigentum,
Durch ihn des ewgen Lebens Erbe,
Dies bin ich; und das ist mein Ruhm,
Auf den ich leb und sterbe.
Er gibt mir seinen Geist, das Pfand,
Daran wir seine Liebe merken,[253]
Und bildet uns durch seine Hand
Zu allen guten Werken.
So lang ich seinen Willen gern
Mit einem reinen Herzen tue;
So fühl ich eine Kraft des Herrn,
Und schmecke Fried und Ruhe.
Und wenn mich meine Sünde kränkt,
Und ich zu seinem Kreuze trete;
So weiß ich, daß er mein gedenkt,
Und tut, worum ich bete.
Ich weiß, daß mein Erlöser lebt,
Daß ich, erwecket aus der Erde,
Wenn er sich zum Gericht erhebt,
Im Fleisch ihn schauen werde.
Kann unsre Lieb im Glauben hier
Für den, der uns geliebt, erkalten?
Dies ist die Lieb, o Gott! zu dir,
Dein Wort von Herzen halten.
Erfüll mein Herz mit Dankbarkeit,
So oft ich deinen Namen nenne,
Und hilf, daß ich dich allezeit
Treu vor der Welt bekenne.
Soll ich dereinst noch würdig sein,
Um deinetwillen Schmach zu leiden:
So laß mich keine Schmach und Pein
Von deiner Liebe scheiden!
Und soll ich, Gott, nicht für und für
Des Glaubens Freudigkeit empfinden:
So wirk er doch sein Werk in mir,
Und reinge mich von Sünden.
Hat Gott uns seinen Sohn geschenkt;
(So laß mich noch im Tode denken!)[254]
Wie sollt uns der, der ihn geschenkt,
Mit ihm nicht alles schenken!
Ausgewählte Ausgaben von
Geistliche Oden und Lieder
|
Buchempfehlung
Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.
52 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro