Wider den Übermut

[228] Was ist mein Stand, mein Glück, und jede gute Gabe?

Ein unverdientes Gut.

Bewahre mich, o Gott, von dem ich alles habe,

Vor Stolz und Übermut.


Wenn ich vielleicht der Welt mehr, als mein Nächster, nütze;

Wer gab mir Kraft dazu?

Und wenn ich mehr Verstand, als er besitzt, besitze;

Wer gab mir ihn, als du?


Wenn mir ein größer Glück, als ihn erfreut, begegnet;

Bin ich ein beßrer Knecht?

Gibt deine Gütigkeit, die mich vor andern segnet,

Mir wohl zum Stolz ein Recht?


Wenn ich, geehrt und groß, in Würden mich erblicke;

Gott, wer erhöhte mich?[228]

Ist nicht mein Nächster oft, bei seinem kleinern Glücke,

Viel würdiger, als ich?


Wie könnt ich mich, o Gott! des Guten überheben,

Und meines schwachen Lichts?

Was ich besitz, ist dein. Du sprichst! so bin ich Leben;

Du sprichst! so bin ich nichts.


Von dir kömmt das Gedeihn, und jede gute Gabe

Von dir, du höchstes Gut!

Bewahre mich, o Gott, von dem ich alles habe!

Vor Stolz und Übermut.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 228-229.
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