Zweiter Auftritt.

[36] Hausvater. Karl.


KARL. Das, was Sie da sagten, dacht' ich oft: wenn man aus Kindern Papageien gemacht hat, glaubt man, genug gethan zu haben.

HAUSVATER. Wie kann man das einer Frau übel nehmen, die mit dem besten Willen von der Welt folgt? Es wäre freilich die Pflicht des Mannes – –

KARL. Ja, wofür sorgt der, als seinen gestickten Stern in alle Häuser der Stadt herum zu tragen; allen Vergnügungen nachzulaufen und nirgends keine zu finden: vor Stolz auf seinen Grafentitel beinahe zu bersten und dann doch zuweilen sich entsetzlich wegzuwerfen.

HAUSVATER. Meine Schuld ist es nicht, daß Sophie ihn heiratete: auch gefällt die Art, wie sie mit einander leben, mir gar nicht. Doch davon ein andermal. Es ist der erste Augenblick, Karl, wo ich dich allein sehe. Karl will ihm die Hand küssen, der Hausvater umarmt ihn. Wie hast du gelebt, seitdem wir von einander waren?[36]

KARL. In einer geschäftigen Unthätigkeit, mein Vater, wie die meisten von uns, die noch keine Bestimmung haben.

HAUSVATER. Wohl dir, daß du nach Bestimmung und Thätigkeit verlangst; aber, mein Sohn, der Baum muß Kräfte haben, ehe er Früchte tragen kann. Ich hätte dich vielleicht auch, wie viele deinesgleichen, schon vor einiger Zeit in irgend ein Dikasterium bringen können. Aber ich hasse es, daß man dem Fürsten durch vieles Bitten unbärtige Knaben aufdringt, die kaum Sinns genug haben, um ihre eigne Handlungen im Gleichgewicht zu halten, und die dann über Leben und Tod, über Ehre und Vermögen, über das Wehe und Wohl eines ganzen Landes entscheiden sollen; denn der Fall trifft sich oft, daß es auf die Stimme eines einzigen ankommt, ob man dem Fürsten einen guten oder landesverderblichen Anschlag giebt.

KARL. Nicht um von einem besonderen Fall zu reden; aber richten sich unsre Fähigkeiten nach dem Alter? giebt es nicht Jünglinge von zwanzig Jahren –

HAUSVATER. Die oft mehr Fähigkeiten, mehr Kenntnisse haben als alte? das leugne ich nicht: aber selten hat der Mensch in diesem Alter die Festigkeit, das bestimmte Wesen, was eigentlich den wirksamen Menschen ausmacht. Gewöhnlich sucht man seinen Kindern einen Stand im Staate, nicht um dem Staat dadurch zu nutzen, sondern um sie vom Staat füttern zu lassen, ihnen ein bequemes Einkommen zu schaffen, oder ihrer Eitelkeit zu schmeicheln. Ich möchte wenigstens keines meiner Kinder dem Staat eher hingeben, bis daß ich nicht hoffen dürfte, ich gebe ihm in ihnen ein nützliches Geschenk.

KARL. Aber es giebt eine Zeit, wo der Jüngling einen unwiderstehlichen Hang zur Geschäftigkeit fühlt, wo ein Feuer in uns brennt, das uns verzehrt, wenn man nicht Luft macht. Wo man in sich Kräfte fühlt, um Berge zu versetzen.

HAUSVATER. Und dann in eine Welt kommt, wo von allem dem nicht die Rede ist; sich bei einem jeden Schritt aufgehalten findet; in so mancherlei Verwicklungen mit andren Ständen gerät, so viele Hindernisse in dem Eigensinn und den Leidenschaften der Mitarbeiter findet, Dummheit, Vorurteile überall: Glaube mir, man kann mit dem besten Kopf, mit dem besten Herzen und der thätigsten Tugend nichts ausrichten, wenn man nicht eine beinahe himmlische Weisheit, eine bis fast zur Schelmerei feine Klugheit,[37] eine unbezwingliche Geduld und eine unermüdliche Arbeitsamkeit hat: und wie kann man diese Eigenschaften, die auch bei dem erfahrensten Manne so selten sind, bei der Wärme und dem Mute, dem wilden Feuer eines Jünglings nur mutmaßen.

KARL. Ist aber Handeln, Thätigsein, nicht unser erster, frühster Beruf?

HAUSVATER. Freilich, Bestimmung des Menschen, aber es muß beim Handeln auch etwas herauskommen; der Mensch muß mit Zuversicht sagen können: »Es war gut, was ich gemacht habe.« Überhaupt ist es mit euerm Kraftgefühl so ein wesenloses Ding; eine Fackel, die ihr ohne Unterschied, jung und alt, Mann und Weib, ohnberufen unter der Nase herumtragt, und die doch beim ersten Windstoß verlischt. Ich habe gerne, daß Männerkraft sei wie der Funken im Feuerstein, nur sichtbar, wenn Eisen daran schlägt, aber dann gewiß. Doch, das alles ist nicht gesagt, daß ich dich noch länger ohne wirkliche Beschäftigung lassen möchte; heute noch, wenn ich nach Hofe komme, will ich um eine Stelle für meinen Karl bitten.

KARL. Bester Vater, durch Ihren Rat, Ihre Unterstützung geleitet – – –

EIN BEDIENTER. Es ist ein Bauer vom Gut da, der läßt unterthänigst anfragen, ob nichts zu bestellen sei.

HAUSVATER. Er soll gleich selbst herkommen, ich will ihn sprechen: Der Bediente ab. solcher Leute Zeit ist kostbar, man muß sie nicht warten lassen. Sei so gut, Karl, und bestelle mir den Amtmann her, er ist schon seit heute früh da.

KARL. Gleich. Ab.


Quelle:
Das Drama der klassischen Periode. Herausgegeben von Dr. Adolf Hauffen, Band 2, Stuttgart [o.J.], S. 36-38.
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