Erster Auftritt.

[46] Sophie sitzt an einem Arbeitstisch; die Arbeit liegt auf dem Tische, sie liest in einem Buche. Karl kommt herein.


SOPHIE. Warum so verstört, lieber Bruder?

KARL. Schwester, weil ich der unglücklichste Mensch bin, der schwankendste, unbestimmteste Knabe, mir selbst ein Abscheu.

SOPHIE. Warst du bei dem Mädchen?

KARL. Ach, ich wollte, ich wäre da gewesen, da wäre ich[46] doch ganz, was ich wäre; entweder ihr auf immer ergeben, oder ewig von ihr getrennt. Wahrhaftig, dem Menschen ist keine größere Erniedrigung als der Zustand, in dem ich bin.

SOPHIE. Wenn du nicht dort warst, was ist denn sonst vorgegangen? sag es deiner Schwester, die dein Vertrauen zu haben hofft: sag es ihr, und was ich helfen, was ich thun kann – – –

KARL. Ich war bei Amaldi; wie ich dir schon gesagt habe, ein großes, herrliches Weib; eine männliche Seele. Dir sei's gesagt, denn du weißt, wieweit ich von Prahlerei dieser Art entfernt bin, ich glaube, es hängt von mir ab, und sie wird meine Gattin.

SOPHIE. Sie, um deren Reichtümer, um deren Ansehen das ganze Land buhlt?

KARL. Auch ging ich von ihr weg, dachte mir die Vorzüge, die ich dadurch erhalten könnte, – dachte mir auf der andern Seite das Elend, in das ich rennen, meine Lotte mitstürzen wollte, und war fest entschlossen, das Ganze meinem Vater zu entdecken und dann um Amaldi anzuhalten. Lieben kann ich zwar außer Lotten niemand, aber ich werde sie schätzen können, und – – –

SOPHIE. Nun?

KARL. Mit diesem Vorsatz komm' ich her und empfange an der Thüre diesen Brief von ihr.

SOPHIE. Von wem?

KARL. Von ihr, meiner Lotte. Höre nur, ich bitte dich.

»Acht Tage sind es, du mein Einziger, Liebster, daß du nicht bei mir warst. Wo ist mein Gemahl? denn das bist du vor Gott. Verlassen! vergessen! Wenn Karl mich je verlassen kann, dann, es ist schrecklich, aber dann morde ich mit eignen Händen das Kind, das ich von ihm bekomme, das wird mütterliche Wohlthat sein; und lass' mich dann öffentlich hinrichten. Was soll denn ein elternloses Kind, ein entehrtes Mädchen auf dieser Erde thun? Doch ich rase, Karl kann das nicht. Aber Gleichgültigkeit, Kälte war schon Tod für mich. Komm ja bald, oder meine Thränen brennen meine Augen aus; komm zu

Deiner getreuen

Lotte.«

SOPHIE die äußerst gerührt ist, nach einiger Pause. Und nun, was willst du thun?

KARL. Weiß ich es selbst? O, mich öffentlich zur Schau ausstellen,[47] daß jeder Jüngling mich sehe, vor mir zurückschaudre! und erfahre, was unbesonnene Liebe aus den Menschen machen kann. – – – – Rate mir, Schwester! Rate mir.

SOPHIE. Es kömmt auf dich an: du hast zu wählen: ob du lieber deinen Vater, der dich so innig liebt, sein ganzes Vertrauen auf dich setzt, aller künftigen Freude berauben willst, die er in dem Gedanken finden könnte, durch dich sein Haus würdig fortgesetzt zu sehen; ob du allen weitern Ansprüchen auf Ehre und Ruhm auf immer entsagen, und nach dem ersten Jahre der Liebe ein Leben voll Widerwillen und Vorwürfe fortschleppen magst; oder ob du dein Mädchen dem ersten, augenblicklichen Schmerz überlassen, sie anständig versorgen willst, und sich mit so vielen trösten läßt, die gleiches Schicksal gehabt haben. Zeit gewöhnt uns an alles, und kann man die ganze Sache nicht geheim halten, und so die Ehre des Mädchens retten?

KARL. Gut gesagt – aber – – – o, ich sehe deinen Mann kommen, in dem Zustand möcht' ich nicht gesehen sein; ich will auf mein Zimmer, laß mich rufen, wenn unser Vater kömmt. Ab.


Quelle:
Das Drama der klassischen Periode. Herausgegeben von Dr. Adolf Hauffen, Band 2, Stuttgart [o.J.], S. 46-48.
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