Dritter Auftritt.

[76] Karl ist tiefsinnig herein gekommen.


HAUSVATER. Du da, mein Sohn? und so ruhig?

KARL. Warum nicht? Wenn der Entschluß einmal gefaßt ist – – –

HAUSVATER. Und dieser Entschluß wäre? Er setzt sich.

KARL. Ihnen, mein Vater, und der Ehre alles aufopfern; das Mädchen verlassen und mit Amaldi ein Verbündnis, wider das die strengste –

HAUSVATER. Mir, mein Sohn, sollst du nichts aufopfern.

KARL. Und doch Ihnen am liebsten.

HAUSVATER. Weißt du schon, daß wir Fremde im Hause haben?

KARL. Nein, ich komme aus dem Garten und bin auch zur menschlichen Gesellschaft nicht aufgelegt – –

HAUSVATER. Wozu die Leidenschaften dich nicht gemacht haben?

KARL. Wüst und öde, erschöpft vom unseligen Kampf zwischen Neigung und Pflicht. Entschlossen zwar, aber in diesem Entschluß so schwankend, – ach, mein Vater, ich wollte, das wäre alles geschehen, ich wollte, ich hätte Amaldi schon geheiratet. Waren Sie bei ihr, haben Sie sie gesehn?

HAUSVATER. Ja, und auch den Maler Wermann und seine Tochter.[76]

KARL springt auf. Was? Sie haben mein Lottchen gesehen? – wie? – – nicht wahr, unter Menschen ein Engel? – – – und ihr Vater, welch ein ehrlicher, braver Mann?

HAUSVATER. Hast du dem Mädchen deinen Entschluß schon entdeckt?

KARL. Lieber Gott, ja.

HAUSVATER. Wie nahm sie es auf?

KARL. Wie höchster Grad der Liebe es nehmen kann? – – – Ach, mein Vater, können Sie mir es noch übel nehmen? – – – ist es nicht ein Engel? – – Was macht sie? – – was macht ihr Vater?

HAUSVATER. Was zwei der unglücklichsten Menschen machen können.

KARL. Unglücklichsten! – unglücklichsten! –

HAUSVATER. Und durch dich dazu geworden. In eine Haushaltung, wo häusliches Glück selbst seinen Sitz genommen zu haben schien, schmeichelt sich ein Jüngling beim Vater ein, hinter geht mit der offnen Miene der Ehrlichkeit des Vaters Achtsamkeit; macht das zarte, unschuldige Herz der Tochter durch seine glatte Worte empfindsam, lallt Töne von Unschuld und Redlichkeit vor, erschüttert sie durch seine Schwüre, genießt das unschuldige Schlachtopfer, kühlt seine Lüste, läßt dann das Mädchen sitzen und macht zugleich ein Wesen unglücklich, ehe es noch das Tageslicht gesehen.

KARL. Liebster Vater, hören Sie auf – –

HAUSVATER. Nicht wahr ein garstiges Bild, und doch nichts weiters, als dir den Spiegel vorgehalten Noch nicht genug: das Beste angenommen, daß das arme weibliche Geschöpf im Schmerzen der Gebärerin, abgeschreckt von der Furcht für die Schande, das Kind nicht mordet; so kommt es itzt in die Welt mit allen Gaben allen Fähigkeiten, die meistens Kindern der Liebe eigen sind; ihm fehlt vielleicht nichts als ein Name, und bei jedem Schritt da durch aufgehalten, flucht es vielleicht dann bei jeder aufgehenden Sonne seinem Vater.

KARL. Hören Sie auf, ich ertrag's nicht.

HAUSVATER. Während daß nun das Mädchen ihrer Ehre, ihres Glücks, ihrer Freuden beraubt herumwankt, überall ein Fremdling, überall verspottet, verstoßen von Eltern und Verwandten, zum Grabe hinwelkt: oder mit dem Laster bekannt, vom reinesten Geschöpf durch diesen ersten Schritt zur niedrigsten Kreatur[77] hinunter sinkt und dann elend, ohne Hilfe, ohne Trost unter Martern stirbt.

KARL. Gott, meine Lotte! Aber, was wollen Sie, daß ich thun soll?

HAUSVATER. Deine Pflicht.

KARL. Versteh' ich Sie recht? oder was nennen Sie Pflicht?

HAUSVATER. Einer unschuldig Verführten ihre Ehre, einem Kinde seinen Vater geben, und mit allem diesem als ehrlicher Mann sein Wort halten.

KARL. Ist es möglich, kömmt der Rat von Ihnen? so willkommen meinem Herzen.

HAUSVATER. Er kömmt von mir, so wehe es mir auch thun muß. Ehe ich noch alles wußte, ehe ich deine Verbindungen, deine Schwüre wußte, sah ich die Sache für eine zu ersetzende Unbesonnenheit an; da sagte ich dir, gehe hin, entsage ihr. Aber itzt, da ich alles weiß, sage ich, obschon mit beklemmtem Herzen, gehe hin, nimm sie zum Weibe: dein Stand hebt die Verbindlichkeiten des ehrlichen Mannes nicht auf.

KARL. Was sagt ihr Vater dazu?

HAUSVATER. Der ehrliche Mann, er sträubte sich dagegen sehr und mehr als ich; wohl kennend das gewöhnliche Ende solcher Verbindungen. Aber, was vermochte er sonst zu thun, als einzuwilligen.

KARL. Also auch er? o! wo solch eine Liebe zum Grunde liegt, da kann nichts ihr Grenzen setzen.

HAUSVATER. Wollen's wünschen. Geh nur, in deiner Schwester Zimmer wirst du Vater und Tochter finden.

KARL. Hier im Hause, o meine Lotte. Ab.


Quelle:
Das Drama der klassischen Periode. Herausgegeben von Dr. Adolf Hauffen, Band 2, Stuttgart [o.J.], S. 76-78.
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