I
SEGEN

[9] Wenn nach den allerhöchsten urteilsprüchen

Der dichter auf die trübe erde steigt

So schaudert seine mutter und mit flüchen

Bedroht sie Gott der selber mitleid zeigt:


– Ach! was gebar ich nicht ein nest von schlangen

Eh ich ernährte solch ein zwitterding!

Verwünscht die nacht mit flüchtigem verlangen

In der mein leib die sühne mit empfing![9]


Was hast du mich erwählt aus allen frauen

Dem blöden mann der vor mir abscheu hat ·

Weshalb kann ich den flammen nicht vertrauen

Die missgeburt wie ein verfänglich blatt?


Den hass der mich erdrückt will drum ich lenken

Aufs grause werkzeug deiner schadensucht ·

So gut will diesen schlechten stamm ich renken

Dass nie er zeitigt die verseuchte frucht. –


So würgt sie nieder ihres grolles eiter

Mit keiner ahnung von des himmels rat

Und türmt sich in der hölle selbst die scheiter ·

Den lohn für mütterliche greueltat.


Doch unter eines engels sicherm schutze

Haucht der Enterbte froh im sonnenschein

Und was er isst und trinkt ist ihm zu nutze

Wie götterbrot und roter götterwein.


Er spielt mit winden · spricht mit wolkenflügen ·

Berauscht sich an der kreuzweg-lieder laut.

Der geist · sein führer auf den pilgerzügen ·

Weint da er ihn so frisch und heiter schaut.[10]


Die er zu lieben brennt vor ihm erschrecken ·

Und andre die sein friede kühn gemacht

Versuchen eifrig klagen ihm zu wecken

Erprobend was die roheit ausgedacht.


In wein und brot eh er zum mund es führte

Vermischten eklen speichel sie und russ.

Sie werfen heuchelnd weg was er berührte

Und fluchen · ging durch seine bahn ihr fuss.


Sein weib schreit auf dem öffentlichen platze ·

– Da er mich liebenswert erklärt und hold

Treib ich das handwerk einer götterfratze:

Stets lass ich schmücken mich mit frischem gold.


Betrinken will ich mich an weihrauch mirren ·

An kniefall tief im staub · an fleisch und wein.

Im sinn den meine reizungen verwirren

Nehm ich mit lachen Gottes stelle ein.


Und macht mir diese lästerposse mühe

So fasst mein starker schwacher arm ihn an

Und meine nägel · nägel der harpye ·

Verfolgen bis zu seinem herz die bahn.[11]


Dem jungen vogel gleich der zuckt und schüttert

Dies herz ganz rot reiss ich aus seiner brust.

Auf dass mein lieblings-tier sich daran füttert

Werf ich zu boden es mit kalter lust. –


Am himmel strahlen reiche königsitze ·

Der dichter heiter hebt den frommen arm

Und seines lichten geistes weite blitze

Verhüllen ihm der völker wilden schwarm.


– Preis dir o Gott der uns zur drangsal leitet ·

Uns die wir unrein sind zum heilungs-fluss ·

Zum klaren filter der uns vorbereitet ·

Die starken auf den heiligen genuss!


Ich weiss: der dichter hat der sitze besten

Mit seliger legionen schar gemein ·

Ich weiss du lädst ihn zu den ewigen festen

Der Kräfte Mächte und der Thronen ein.


Ich weiss: vom adel ist der Schmerz der echte

Den erde nie und hölle niederwarf

Und dass wenn ich mein göttlich stirnband flechte

Ich aller weltenkreise zins bedarf.[12]


Doch schätze lang verschütteter Palmyren

Verborgen gold und perlen in dem meer

Von dir emporgeholt dürft ich nicht küren

Zu dieser krone sonnenhell und hehr.


Denn sie wird nur geprägt aus reinem lichte

Das ich vom heilgen Strahlenherd erlas

Dem aller glanz der menschlichen gesichte

Nichts ist als armes trübes spiegelglas. –

Quelle:
George, Stefan: Baudelaire. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 13/14, Berlin 1930, S. 9-13.
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