VI
DIE LEUCHTTÜRME

[19] Rubens · der müssigkeit garten · fluss von vergessen

Und pfühl frischen fleisches · für unsre liebe wol leer ·

Doch von einem leben so strömend und drängend besessen

Wie luft in dem himmel und wie das meer in dem meer.


Leonardo da Vinci · ein spiegel tief und dunkel

Wo reizende engel mit ihrem süss-lächelnden mund

Und voll von geheimnis erscheinen im abendgefunkel

Der gletscher und fichten · des heimatlands hintergrund.[20]


Rembrandt · trauriges siechhaus voll murmelnder stimmen

Und mit einem grossen kruzifix nur geschmückt ·

Wo beten und weinen über dem unrat schwimmen –

Und jählings von einem winterstrahle durchzückt.


Michelangel · nebelwelt wo die giganten hämmern

Und märtyrer dulden · wo sich in die höhe streckt

Aus seinem grab ein mächtig gespenst das im dämmern

Sein schweisstuch zerreisst indem es die finger reckt.


Der wettkämpfer wüten · das schamlose treiben der faunen:

Du der die schönheit bei pöbel und schurken fand ·

Du stolzen sinnes doch schwach und mit giftigen launen ·

Puget · du trauriger fürst in der sträflinge land.


Watteau · ein fasching wo viele erlauchte herzen

Wie schmetterlinge irren mit zuckendem glanz ·

Ein frischer und leichter zierrat erhellt von den kerzen

Die tollheit giessen in diesen wirbelnden tanz.


Goja · ein nachtmahr von unergründeten dingen ·

Von leichen die man an hexensabbaten sott ·

Wo weiber vorm spiegel und nackte mädchen sich schwingen

Die strümpfe sich bindend den lüsternen geistern zum spott.[21]


Delacroix · blut-see wo böse engel sich scharen ·

Darüber die schatten der stets grünen fichten ziehn ·

Wo unter dem traurigen himmel fremde fanfaren

Wie ein erstickter seufzer von Weber fliehn. –


Dies alles an flüchen an lästerungen an träumen

Verzückungen klagen tränen und lobliedern trifft

Sich wie ein echo aus tausend verschlungenen räumen ·

Es ist für die menschen ein göttlich berauschendes gift ·


Es ist ein laut den tausend schildwachen schreien ·

Ein losungswort das von tausenden lippen schwirrt ·

Es ist ein leuchtturm der flammt über tausend basteien ·

Ein ruf von jägern im dickicht des waldes verirrt.


Dies ist es o Gott! was bei all deinen herrlichkeiten

An unsre würde uns den glauben erwirbt:

Der glühende seufzer der hinrollt von zeiten zu zeiten

Und der am rande deiner ewigkeit stirbt.

Quelle:
George, Stefan: Baudelaire. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 13/14, Berlin 1930, S. 19-22.
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