EINTRITT IN DIE STADT DES DIS

[31] Er sprach noch mehr · doch blieb mirs nicht im sinne ·

Denn gänzlich ward mein blick hinaufgetragen

Zum hohen turm mit der erglühten zinne.


Ich sah an gleicher stelle plötzlich ragen

Drei höllen-furien blutübergossen ·

Sie hatten weibes glieder und betragen.[31]


Von schlangen tiefgrün waren sie umschlossen ·

Vipern und nattern trugen sie statt haaren

Die ihnen um die wilden schläfe schossen.


Und er der wohl bekannt war mit den scharen

Der königin von ewigen weinens orten:

Sieh – sprach er – die Erinnyen · die furchtbaren!


Hier links magst du Megära und rechts dorten

Die weint · Alekto · und inmitten schauen

Tisiphone.. er schwieg nach solchen worten.


Sie rissen ihre brust sich mit den klauen

Die hände schlagend mit so lautem schrein

Dass ich mich an dem dichter barg vor grauen.


Medusa komm · wir machen ihn zu stein!

Mit Theseus gingen schlimm wir ins gerichte ..

Schrieen sie · niederblickend im verein.


›Dreh dich herum und hülle dein gesichte!

Wenn sich die Gorgo zeigt und es sie schaute

Dann gäb es keine rückkehr mehr zum lichte.‹[32]


Dies sprechend wandte mich Vergil und traute

So wenig dem was meine hand beginne

Dass er noch mit der eignen mich verbaute.


O ihr mit dem besitz gesunder sinne

Gebt acht auf die belehrung die sich decke

Unter dem sonderbaren vers-gespinne!


Es kam mit einem tone voll von schrecke

Schon ein getöse durch die stürmischen fluten

Dass das gestad erbebt an jeder ecke.


Nicht anders klingt es wenn vom streit der gluten

Erregt · die winde voller ungebärde

Den wald durchziehn und ohne dass sie ruhten


Die äste spalten brechen und zur erde

Wegschleudern · vorwärts geht ihr stäubend toben

Und treibt zur flucht die hirten und die herde.


Er löste mir die augen: Nun erhoben

Den blick! sprach er · zum sumpf der immer dauert

Dorthin wo rauch am stärksten steigt nach oben ...[33]


Wie bei der schlange nahn die auf sie lauert

Die frösche durch das wasser hin zerstieben

Bis jeder auf dem lande niederkauert:


Sah ich an tausend seelen aufgetrieben

Vor Einem fliehn der auf den stygischen pfaden

Hinschritt dass ihm die sohlen trocken blieben.


Er fegte vom gesicht den dicken schwaden

Mit seiner linken häufigem geschwenke

Und nur von solcher müh schien er beladen.


Ich wusste wohl dass ihn der himmel lenke ·

Ich sah den meister an und mich beschied er

Dass schweigend ich das haupt vor Jenem senke.


Ach mit wieviel verachtung sah er nieder!

Er kam zur pforte und mit einer gerte

Tat er sie auf und es gab kein dawider.


Hölle · IX. Gesang · 34–90.[34]

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 31-35.
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Dante. Die göttliche Komödie
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