FRANZISKA VON RIMINI

[27] Nachdem mein lehrer mir die namen nannte

Von Altertumes fraun und paladinen

Ergriff mich mitleid dass es fast mich bannte.


Und ich begann: Dichter! dürft ich mit ihnen

Dort reden die als paar zusammengehen

Und die im wind so leicht zu schweben schienen.


Und er: Wart bis sie näher zu uns drehen

Und ob der liebe die mit ihnen schaltet

Bitte sie und du wirst sie kommen sehen.


Sobald der wind sie zu uns hin gefaltet

Hob ich die stimme: ›Seelen ihr in plagen

Kommt her und sprecht mit uns · so Er es waltet.‹


Wie tauben dem verlangen folgend schlagen

Hin durch die luft die breite dichte schwinge

Zum süssen neste: so vom wunsch getragen[27]


Enteilten jene aus der Dido ringe

Und kamen durch das stürmende geflute

Als ob der neigung ruf sie zu uns zwinge.


›O kreatur freundwillige und gute

Die du besuchest durch den finstern schwaden

Uns die wir einst die welt gefärbt mit blute:


Säh uns der Weltenherrscher an in gnaden

So flehten wir zu ihm · dir zum gewinne ·

Der du bemitleidst unsern schlimmen schaden ..


Wo hören euch und reden liegt im sinne

Werde ich hören euch und reden werde

Ich euch solang der wind · wie jezt · hält inne.


Es liegt die mich geboren hat die erde

Am ufer wo der Po enteilt zur münde

Dass ihm und seinen folgern ruhe werde.


Liebe die edlen herzen rasch sich künde

Zog jenen hin zu meinem schönen leibe

Den mir entriss – noch grämt mich welche – sünde.[28]


Die nie will dass geliebtes lieb-los bleibe

Liebe band mich an ihn mit solchem knoten ·

Dass wie du siehst kein los ihn von mir treibe.


Liebe sandt uns zusammen zu den toten.

Der uns erschlug kommt ins bereich der Kaine.‹

Dies war die rede die sie uns erboten.


Als ich vernommen dieser seelen peine

Neigt ich das haupt und hielt so tief die blicke

Dass mich der dichter fragte was dies meine.


Da kam mein wort als ob es mich ersticke:

Ach wieviel süsses sinnen süsser schauer

Hat sie geführt zum schmerzlichen geschicke!


Dann wandt ich an die beiden mich genauer

Und ich begann: Franziska · deine wunde

Weckt bis zum weinen mitleid mir und trauer.


Doch sag mir: zu der süssen seufzer stunde

Wobei und welcherart gab der Begehrer

Euch von den zweifelhaften wünschen kunde?[29]


Und zu mir sprach sie: Keine qual ist schwerer

Als der glückseligen zeiten zu erwähnen

Im ungemach. Davon weiss auch dein lehrer.


Doch wenn zu forschen liegt in deinen plänen

Nach unsrer lieb in ihren ersten zügen

So will ich tun wie er der spricht mit tränen ..


Wir lasen eines tages zum vergnügen

Von Lanzelot · wie liebe ihn bedrückte.

Ich war allein mit ihm und sah kein trügen.


Mehrmalen schon in unsren augen zückte

Dies lesen und verfärbte uns die wange.

Doch eine zeile wars die uns berückte:


Da stand wie unter dem sehnsüchtigen drange

Sotanen freundes sich die lippen heben –

Als er der nun auf ewig an mir hange


Mich auf den mund geküsst hat ganz in beben ..

Verführer war das buch und ders verfasste.

Den tag war unser lesen aufgegeben.[30]


Als so der eine geist gesprochen · fasste

Den andren solches schluchzen dass vor weiche

Mir die besinnung schwand und ich erblasste.


Und ich fiel hin als fiele eine leiche.


Hölle · V. Gesang · 70–142.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 27-31.
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