SANG UND GEGENSANG
SANG

[71] In zittern ist mir heut als ob ich in dir läse

Bei unsrem glück noch viel von fremdem geist ..

Als gälte dir für schaum und flüchtiges gebläse

Was mir den atem schwellt · in adern kreist.


Was sich für dich verströmt kannst du nicht in dich saugen?

Befreie mich von meiner lauten angst!

War das vielleicht Mein blick – der deiner toten augen?

War das Mein hauch als du gebrochen sangst?


GEGENSANG

[72] Dir gibt ersterbender und sanfter klang

Von einer hier Versunknen kunde:

Ein dumpfes gurgeln unterdrückt vom tang

Quillt spät empor aus dunkler schrunde.


Vielleicht dass hier vom glühwurm ein geschwirr

Und eine blume blank und schmächtig

Dich locken mag der du des weges irr

Gern etwas weilest müd und nächtig.


Vielleicht dass eine trübe melodei

Und dieses zuckende geschwele

Dich rühren mag und dich nicht lässt vorbei

Am kerker der versunknen seele.

Quelle:
Stefan George: Der siebente Ring. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 6 / 7, Berlin 1931, S. 71-73.
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Sämtliche Werke in 18 Bänden. Bd. 6/7: Der siebente Ring
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