DER FALL

[88] Eine reihe froher feste

Alle tage neue lust!

In den fürstlichen palästen

Wimmelt es von frohen gästen.[88]


Glücklich im gewühl der freude

Glücklich in der welt der pracht

Flossen jene zeitenräume

Für den prinzen hin wie träume.


In dem weiten blumengarten

Wandelt abendlich der prinz

In dem hauch der kühlen lüfte

In dem reich der süssen düfte.


In der dunklen rosenlaube

Sank er sinnend auf das moos

Denkt bald an die heutigen freuden

Bald vergangner schöner zeiten.


Schön wars in dem dichten walde

In der einsamen natur

Doch ein tor der nicht empfände

Hier die freuden ohne ende


Alles ist so schön und prächtig

Alle sind so glücklich hier

Und des eremiten lehren

Kann ich halb mir nur erklären[89]


Niemals werd ich recht begreifen

Jenen höchsten segenswunsch

Aus des weisen mannes munde:

Einen freund zur rechten stunde


Möge Gott dich finden lassen –

Als ob alle menschen hier

Mir nicht treue freunde wären

Die mir raten · mich belehren ...


Plötzlich riss ihn aus dem sinnen

Leiser lieblicher gesang

An dem einsam stillen orte ·

Staunend blickt er durch die pforte


Dort wo der fontäne strahlen

Aus dem gras im mondenschein

Silbern auf und nieder springen

Schien die stimme ihm zu dringen.


Er trat näher und – o wunder!

Zwischen blumenbeeten ruht

Eine wasserfee verlangend

Und in allen reizen prangend[90]


Spielend mit den langen haaren

Singt sie dort ihr himmlisch lied

Die natur rings zu beglücken

Und den wandrer zu berücken.


Nein · es ist ein kind der erde ·

Apsara die herrliche!

Die in des palastes hallen

Als die schönste galt von allen.


Sie entflammt in heissen gluten

Zu dem schönen Königsohn

Suchte oft ihn zu bestricken

Mit der liebe feuerblicken.


Noch nicht drangen ihre pfeile

In des prinzen kindesherz ·

Und es konnt ihr nicht gelingen

In ihr netz ihn einzuschlingen.


Wusste sie dass in dem garten

Abends sich der prinz erging?

Will mit ihren melodieen

Lockend sie ihn zu sich ziehen?[91]


Stürmisch pocht des jünglings busen –

Winkt nicht ihre weisse hand

Aus den dichten blumenbeeten?

Soll er ihr nicht nähertreten?


Soll er eilig sich entfernen?

Wild durchrasen seinen sinn

Tugendlehre und ermahnung

Und der nahen sünde ahnung.


Ach so schwer ist klar zu denken

Für die jugendliche brust

Wenn so süsse düfte wehen

Wenn so süsse lippen flehen ..


Dieses ist das los der jugend:

Wer in heitrem glücke schwelgt

Ist zur hälfte schon gefallen

Wäre er auch gut vor allen.


Und zu spät ist es zu streiten

Im moment der leidenschaft.

Müsste auch sogleich er sterben

Toll rennt er in sein verderben.

Quelle:
George, Stefan: Schlussband, Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 18, Berlin 1934, S. 88-92.
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