[55] Wo sich des waldes wege kreuzen – eines abends
Im sturm · mit meinem schatten – eines abends
Die aschen müd von herden und von jahren
Eh ich die vorbestimmung noch erfahren
Liess ich mich hin.
Die wege zogen nach den tagen hin ·
Ich hätte noch mit ihnen ziehen können ·
Und immerfort
Zu ländern meeren träumen immerfort
Bis zu dem tag
Wo mit der magischen geduldigen hand der Tod
Mein aug geschlossen hätte mit dem siegel:
Mit seiner goldnen friedensblume.
Du weg der stolzen eichen und der einsamkeit ·
Dein herber stein ist schlimm für müdigkeiten ·
Dein spitziges geröll für müde füsse.
Dort wird das blut vergangner jahre bluten
Bei jedem schritt.[55]
Die stolzen eichen schelten in den rauhen winden
Und ich bin matt.
Du weg der klaren birken die sich zitternd
Entblättern · bleich wie deiner bleichen wandrer schmach ·
Der irrenden in deinem zähen schlämme.
Sie gehn zusammen ·
Sich drehend um sich nicht ins angesicht zu sehn –
Du weg aus kot und schweissenden gewässern ·
Wind flüstert deinen blättern seine klage ·
Der grossen sümpfe silber mond und frost
Stehn still im dämmerlichte deiner fähren ·
Und wer dir folgen will
Den führt gram bei der hand.
Du weg der sanften eschen und des leichten sandes
Wo wind den schritt verwischt und wünscht dass man vergesse ·
Dass man wie er von baum zu baume gleite –
Wie goldner sand ist deiner honigblumen farbe ·
Dein bogen so dass man wo's abweicht nicht bemerkt.
Die stadt zu der du führest ist den fremden hold ·
Sacht würden meine füsse über ihre schwelle treten
Wenn sie nicht an dem andern leben haften blieben
Wo hoffnung weinend aus nach toten schatten späht.[56]
Ich werde nicht zu euren eichen schreiten
Noch längs der birken längs der eschen ·
Zu euren sonnen städten und gewässern ·
O wege!
Ich höre die vergangenheit! sie blutet ·
Die totgeglaubten schritte – ach sie kommen wieder
Und scheinen mir vorauszugehn mit ihren echo.
O wege!
Du leichter du · du schmählicher · du stolzer!
Ich horche zu
Dem wind · begleiter meiner eitlen züge ·
Der weint und wandert durch die eichen weiter.
O seele mein · der abend trauert wegen heut.
O seele mein · der abend schauert wegen morgen.
O seele mein · dem abend bangt es wegen dir.
Buchempfehlung
E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz
244 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro