VIERTE FOLGE · FÜNFTES HEFT · 1899

BÜHNE DER BLÄTTER FÜR DIE KUNST

[26] ›Ich hasse das moderne theater weil ich scharfe augen habe und über pappendeckel und schminke nicht hinauskomme. Ich hasse den dekorations-unfug mit allem was dazu gehört von grund meiner seele. Er verdirbt das publikum · verscheucht den lezten rest von kunstgefühl und erzeugt den barbarismus des geschmacks von dem die kunst sich abwendet und den staub von ihren füssen schüttelt.‹ So fühlte damals Anselm Feuerbach und das heutige theater der ›naturwahrheit‹ weit entfernt diesen missbräuchen entgegen zu treten schaffte die lezten reste des guten ab. Von einem halbgebildeten volke liess man sich belehren der vers habe die schauspielkunst vernichtet · man gewöhnte sich rhythmen zu sprechen gleichsam um entschuldigung bittend und verlor damit jeden festen grund: das schauspiel wurde ersezt durch die vorführung körperlicher oder geistiger gliederfertigkeit des einzelnen. Mag man auch die anstrengung und eigenart mancher brettergrösse bewundern · keine hat eine ernstliche neuerung gewagt und vor allem scheint uns keine geschickt zur hersagung der neuen klanglichen gebilde.

Bedeutsame zeichen des rückzuges sind sichtbar geworden: berühmte spieler kehren von ihren ›naturalistischen‹ hetzjagden und triumphen zurück um zu erklären das heil liege allein in der einfachheit der griechischen bühne · und alle vornehmen und verfeinerten geister sprechen vom theater wie von einem schlechten ort.

Wir haben nun im anschluss an die neue dichterische bewegung (vorerst in dazu geeigneten wohnräumen mit nicht berufsmässigen auftretenden) eine bühne der ›Blätter für die Kunst‹ ins leben gerufen zu der wir unsere mitglieder nach und nach zuziehen werden. Wir erinnern zur vorbereitung noch einmal an unsere auslassungen im dritten Bande der ersten Folge – besonders an den grundsatz von der wiedergeburt des schauspiels durch den VERS. Wir halten in diesen vorführungen zuvörderst auf die abrichtung der stimme zum hersagen der neuen rhythmischen gebilde – das hervortreten der körperlichkeit in einem schönen licht – das beschränken der bewegungen[26] als strenge begleiter des wortes · vorläufig in kleinen auftritten mit möglichst einfachen gegenüberstellungen. Wol meinen wir nicht mit vielen dass stil und geschmack sich wie kleider wechseln lassen · doch alle keime die vorhanden sind hoffen wir in kleinem kreise reifen zu sehen und erwarten durch zusammenwirken allmähliche förderung. ›Strenge überlegung · kalte schlichtheit · selbst absichtlich bis an die grenze hinab · das kann allein helfen ...‹


NACHRICHTEN

Wie in den vergangenen jahren werden wir heuer eine reihe von vorlesungen und aufführungen abhalten. Eine angenehme vermehrung der möglichkeiten danken wir unseren ausländischen freunden die durch das hersagen in ihrer vers-sprache über das unsre vielleicht noch manche lehre geben können. Vortrag und bewegung stehen auch diesmal unter der leitung der dichter und bühnen-ausschmükkung und anordnung werden ausschliesslich durch unsre bildenden künstler bestimmt. Die einladungen an unsere mitglieder ergehen wieder durch Reinhold und Sabine Lepsius.[27]

Quelle:
Einleitungen und Merksprüche der Blätter für die Kunst. Düsseldorf, München 1964, S. 26-28.
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