Vierte Szene.

[9] TEUT.

Halt ein! Zurück! Wer wagt's mit mir?


Teut hat sich mit jähem Ruck neben Hiram auf die Felsenstufen, welche zum Moloch führen, geschwungen. Das Antlitz immer dem Moloch zugekehrt, faßt er Wolf bei der Hand, zieht ihn mit sich hinab und drängt so die Angreifenden langsam zurück. Dann kniet er am Fuß des Felsens nieder, schließt die Augen und breitet erregt die Hände zur Erde.


Da ist er, wie ich ihn geträumt!

Ist's nur ein Trugbild?


Er schaut auf.


Nein doch, nein!


Er erhebt sich.


Er ist noch da! – Längst sah ich ihn so,

In Schlaf und Wachen, aus Himmelshöh'n

Ein Flammenbild, von Wolkenschlangen

Umleuchtet rings, durchglüht von Sonnen –

WOLF.

Teut, sag, was soll's? Bist du von Sinnen?

Mehrst du die Not mit Knabenträumen?

Der König ist fern und schlichtet Streit,

Du bist sein Sohn, sag du für ihn:

Ins Meer zurück das Ungetüm!

In Thule ist dafür nicht Raum.

TEUT immer wie gebannt.

Ein Ungetüm dies Flammenbild?

Ein Ungetüm – du armer Tor!

All brennende Sehnsucht fand Gestalt,

Denn sieh, ein Gott stieg glühend nieder,

Erfüllungsschauer stärkt die Glieder,

Jed' Wesen sprengt er mit Gewalt –[9]

WOLF.

Gewalt? Dich wird Gewalt wohl wecken!

Du schüre nicht des Vaters Wut,

Sein Grimm geht her in grauem Schrecken

Und taucht den Wald in dunkles Blut –

TEUT.

Ah, Waffen, Waffen, den Gott zu schirmen!

HIRAM löst von seiner Seite ein seltsames, reich verziertes Schwert.

Du Jüngling, den Moloch sich erwählt,

Nimm hier das Schwert! Es ist gehärtet

In Molochs Glut und trägt den Blitz

Auf seiner Spitze! Führ' es treu!

TEUT ergreift die dargebotene Waffe.

Ha, Gotteswehr! Schreckenswaffe!

Es wächst der Stahl in meine Faust,

Strömt Kraft mir bis ins tiefste Mark,

Als hätt' ich tausend Heldenarme!

WOLF.

Den König holen wir!

TEUT.

Ruft ihn und sagt:

Vom Himmel ist ein Gott erschienen,

Wer herrschen will, muß ihm erst dienen!

WOLF.

Ha, Teut, befiehl du nur! Du tust,

Was keiner tut, was keiner kann!

Mit Wind und Wogen sprichst du laut,

Als raunten Worte Meer und Sturm –[10]

Genug der Torheit, hört auf mich:

Zum König, wer der Heimat treu!


Er geht mit einigen Kriegern ab. Die Zurückbleibenden sehen unschlüssig auf Teut. Dieser breitet die Arme weit gegen den Moloch und bedeckt dann mit beiden Händen ehrfurchtsvoll seine Stirne.


TEUT geheimnisvoll.

Senkt tiefer noch die Stirn zur Erde:

Sehnen und Schauen sind göttliches Eins!

Daß unser Leben geläutert werde,

Brecht auf, ihr tiefsten Quellen des Seins!

HIRAM mit zwingender Gewalt in Gebärde und Ausdruck.

Ins dunkle Leben mit den Gluten

Gieß', »Moloch«, deine Gaben aus!

Der Feinde Zahl muß vor dir bluten,

Uns schütztest du im Sturmgebraus!

VOLK fragend und murmelnd.

Uns schützte er im Sturmgebraus?

TEUT.

Ich glaub' ihn! Gibt's ein tiefer Wissen?

VOLK.

Er glaubt ihn!

TEUT.

Ich seh' ihn! Gibt's ein höher Glück?

VOLK.

Wir sehn ihn!

TEUT.

Er gibt aus nächt'gen Finsternissen

Dem Leben Licht und Glut zurück![11]

HIRAM groß.

Sein ist die Macht!

VOLK.

Sein ist die Macht!

HIRAM.

Es rasen Flammen

Dem frevlen Leugner ins Gebein!

Ihr glaubt ihn!

VOLK.

Wir glauben ihn!

HIRAM.

Schließt euch zusammen,

Und Moloch segnet euer Sein!


Teut stürzt auf beide Kniee nieder.


ALLE.

Und Moloch segne unser Sein!


Sie folgen überwältigt dem Beispiele Teuts.


HIRAM als ob er die Menge segne.

Der Gnaden Fülle wird euch laben;

Gesegnet soll der Glaube sein!

Dem Hunger Brot, dem Durste Wein,

Aus Hirams Hand nehmt Molochs Gaben.

Folgt mir! Aus übervollen Händen

Will Moloch euch den Segen spenden!


Alle erheben sich, mit Ausnahme Teuts und Theodas, und folgen Hiram in einer Art gierigen Taumels in die Höhle.


ALLE.

Und Moloch segnet unser Sein![12]


Quelle:
Max von Schillings: Der Moloch. Dichtung frei nach Fr. Hebbels »Moloch-Fragment« von Emil Gerhäuser, Berlin [1906], S. 9-13.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.

114 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon