Fünfte Szene.

[13] Theoda, die Teuts Tun stumm und leuchtenden Blickes verfolgte, ist allen voran an einem Steine niedergestürzt. Jetzt hebt sie lächelnd ihr Haupt, sieht nach Teut und ruft durch die hohlen Hände, leise, gedehnt, als ob sie dem Echo zuriefe.


THEODA.

Teut! Teut!


Das Echo wiederholt den Ruf.


TEUT erhebt sich ruhig.

Wer ruft mich? Welch ein Klang?

Soll ich noch neue Wunder hören?


Theoda ist langsam aufgestanden und nähert sich stumm mit bittender Gebärde Teut.


Du, Theoda? Wo kamst du her?

THEODA mit schalkhafter Zartheit.

Ich kniete

Just neben dir, als uns dein Wort

Zu Boden warf.

TEUT.

Auf deiner Stirn

Ein blutig Mal. Trägt Wunden denn

Ein Weib?

THEODA.

Sieh, Teut, als du hier jäh

Vor diesem Bild zur Erde fielst,

Mit solcher Glut im Angesicht,

Daß mir das Flammenbild verblaßt –

Da stürzt' ich mit dir selig nieder

Und schlug mit meiner Stirn den Stein.

TEUT.

Du knietest vor dem Gott mit mir?[13]

THEODA.

Nur weil du knietest.

TEUT.

Dies Gottes-Mal

Trägst du von solcher Stunde?

THEODA sehr warm.

Oh Teut!

Mir war's, als ob die Purpurglut,

Die uns mit heißem Schein umleuchtet,

Ein Blitz aus deinem Aug' entzündet –

TEUT mit aufsteigender Wärme.

Ah – du bist schön!

THEODA.

Und ach, als ob jetzt

Der Sonnenschein im Wald dir

Aus den Augen bräche –

TEUT mit ausgebreiteten Armen.

Theoda!

THEODA.

Ach Teut, wach auf, wach endlich auf!

TEUT faßt Theoda bei einer Hand und blickt ihr tief in die Augen.

Aus deiner Augen Dunkel bricht

Geheimnisvoll ein Leuchten vor,

Wie mildes Frühlingsmorgenlicht

Strömt's aus der Seele Sonnentor:

Funken, die Gott entstammen,

Lodern, das Herz zu durchflammen![14]

Oh Wunder in allen Gestalten,

In Gotteserkennen und Liebesgewalten!


Er ergreift Theodas beide Hände, um sich mit ihr zum Bilde Molochs zu wenden.


THEODA macht sich aber leise los, läuft zu einem Strauche, bricht einen Blütenzweig und reicht ihn Teut.

Die Blüte will dir Frucht verheißen;

Komm mit mir, Teut, dich ruft das Glück!

TEUT in aufkeimender Unruhe.

Ich fort von hier?

THEODA.

Die Drossel lockt:

Zu nächt'gem Jagen ziehn sie heut!

Du lachtest, wenn ich mit dem Spieß

Kühn mit euch Männern losgewandert

Und flink das scheue Eichhorn traf.

Kommst du nicht mit?

TEUT führt den Blütenzweig zum Antlitz.

Die Drossel lockt;

Ihr Schlag ist süß und wild! Oh, schweig!

THEODA.

Ich bin dein Jagdgenoss' wie sonst!

Des Mondes Licht lockt uns zum Bach,

Wo Rehe ziehen durch die Furt;

Und streift ein Schreck mit Vogelflug

Mein Haar, scheuchst du den nächt'gen Spuk –

TEUT.

Horch, sprach nicht wer?

THEODA.

Des Meeres Rauschen

Und der Wipfel Raunen – rings der Wald.[15]

TEUT.

In mir ein Fluten und ein Steigen –

THEODA.

Ob's glückt, den Bären zu beschleichen?

TEUT.

Ein Hämmern nun, und heißes Würgen –


Er wirft den Zweig von sich.


THEODA mit plötzlichem Ernst in erwachender Angst.

Zur Mutter, Teut! Dort sollst du ruhn,

Treu wird ihr Rat dich weisen, komm!

Komm fort! Hier droht der Wald voll Grau'n.

TEUT.

Dir graut? Und hier, bei unserem Gott?

Hat seine Glut uns nicht vereint?

Schreckt dich das Wunder seiner Nähe?

So fliehe ihn – und fliehe mich!

THEODA.

Er ist dir fremd! Bleib du dir treu,

Treu deines Vaters ernstem Mahnen:

Bewahr' der Heimat Art im Herzen!

TEUT fanatisch.

Hier lebe ich, hier sterbe ich!

Dem Wundergott gehört mein Herz.

THEODA wendet sich von Teut ab.

Mein liebendes Mahnen vergebens!

Die Warnung verweht im Wind!

Ein Irrwahn hält dich, wildes Träumen,

Wie sonst, wenn du aus Wolkensäumen

Dir Bilder schufst, die schnell zerflossen.[16]

So träume, Feuertrunk'ner – träume!

Zur Ferne bist du hingerissen,

Mich laß in meinen – Finsternissen!


Sie hebt den Blütenzweig vom Boden auf und eilt übermütig mit ihm davon. Teut will ihr folgen, bleibt aber unschlüssig stehen, als er ihre Stimme aus dem Walde erklingen hört.


THEODA.

Die Drossel lockt, das Eichhorn springt,

Ich pflücke weiße, weiße Blüten;

Und wer die hellsten Weisen singt,

Dem will ich, will ich sie behüten!


Teut greift nach dem Herzen und versinkt in schmerzliches Sinnen, aus welchem er bei der Wiederkehr des Volkes auffährt.


Quelle:
Max von Schillings: Der Moloch. Dichtung frei nach Fr. Hebbels »Moloch-Fragment« von Emil Gerhäuser, Berlin [1906], S. 13-17.
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