Sechste Szene.

[17] Hiram tritt mit allem Volke wieder auf. Einige Männer tragen lange, ungegürtete, violette Gewänder und in den Händen goldene Weihgefäße; andere Schläuche mit Wein und einfache Schalen; andere einen schlicht geformten Pflug auf den Schultern; die Frauen rote Körbe mit Korn und Brot. Hiram besteigt die Stufen vor dem Moloch.


HIRAM.

Vom Brote zehrt: es gibt euch Kraft!

Die Erde schenkt euch reiche Frucht,

Daraus wir täglich neu es schaffen.


Er verteilt aus den Körben Brot an gierige Hände.


Ein Wundertrank, der Durstesqual

In Wonne wandelt, fließt euch hier!


Er gießt Wein aus einem Schlauch in ein goldenes Gefäß.


Trink, Teut, des Gottes Gluten strömen

Mit diesem Tranke dir ins Blut!


Teut nimmt das Gefäß und trinkt.


Der Wein gießt Feuer dir ins Herz –


Wirre Stimmen, wie von einem Haufen nahenden Volkes, werden laut; Hiram hält inne:


Wer naht![17]

VOLK.

Die Königin!

TEUT gibt die Schale zurück.

Die Mutter!

FRAUEN welche der Königin voraneilen.

Hier ist's! Hier steht das Wunderbild!


Velleda, die Königin, eine erhabene Frauengestalt, schreitet langsam, wie blind und seherhaft, aus dem Walde. Teut stürzt der Mutter entgegen, beugt vor ihr das Knie und küßt den Saum ihres Gewandes.


TEUT.

Nahst du, Mutter? Göttlich Walten!


Velleda legt die Hand auf das Haupt ihres Sohnes. Teut erhebt sich und deutet auf den Moloch.


Aus Traumes dämmernden Gestalten

Stieg uns Erfüllung leuchtend nieder!

Hier sieh, und sinke mit mir nieder!

Der Wipfel Rauschen singt ihm Lob,

Die Wogen brausen ihm zur Ehr',

Des Donners Stimme sprach aus ihm:

All Sehnen ist im Schau'n versunken,

Und Gottes Glut hab' ich getrunken!

VELLEDA bleibt regungslos stehen.

Führ mich, mein Sohn! Die Schritte zagen.

Noch seh' ich rings nur Dämmer weben.

Hör' ich das Meer? Was raunt der Wind?

Liegt Sonnenleuchten auf der Flut?

TEUT.

In Sturm und Wetter stieg er nieder!

VELLEDA.

Doch sagt sein gütig Angesicht,

In Liebe löse sich das Leben?[18]

TEUT.

Gewaltig dräut des Gottes Bild!

VELLEDA.

Es zieht mich nicht – es drängt zurück –

Hemmt wilder Wind den bangen Schritt?

In Lüften Dämpfe heißen Bluts,

Die qualvoll das Gehirn umdüstern?

Weh! Schlangen recken sich nach mir, –

In schwerem Traum sah ich das Grausen –


Sie erkennt das Bild.


Wer hat dies Bild ans Land getragen?

TEUT.

O, Mutter, Mutter, sieh ihn an!

VELLEDA immer erregter.

Starr blickt's nach mir aus schwarzen Höhlen,

Mich friert – erwacht das Grausen?


Sie schreit klagend auf und bedeckt ihre Augen.


Vom Felsen steigt's und packt mich an –

Ich will nicht – will nicht – laß mich – Nacht –

In Wirbel stürz' ich – wilde See –


Sie richtet sich seherhaft auf.


Verderben kam und rings ist Tod!

Komm, Teut!


Sie faßt Teut bei der Hand, stößt ihn aber plötzlich zurück.


Ah! grimme Pranken!

Die wühlen reißend sich ins Fleisch –

Welch furchtbar Bild steigt dort empor?


Zu Teut gewandt.


Du selber in des Untiers Rachen,

Du selber – ein Opfer seiner Glut!

Helft mir – Nacht wird's – verloren – Teut!


Sie verhüllt ihr Haupt und schreitet wankend in den Wald zurück. Ihre Frauen folgen ihr bestürzt. Alles schweigt in Bangen.
[19]

TEUT leise, noch wie gebannt.

Hiram, hörtest du die Mutter?

HIRAM kalt und hart.

Ihr zeigte sich der Gott im Zürnen.

TEUT gequält.

Warum?

HIRAM.

Weil sie im Zweifel nahte,

Ihn formen wollt' nach ihrem Bild,

Hat Moloch ihr den Sinn verwirrt!

Doch, die ihn ehren, tränket er

Mit seines Segens Purpurregen –

Wer hemmte das Werk, das Gott euch weist?


Teut rafft sich mit energischer Bewegung aus seiner Versunkenheit auf.


HIRAM.

Bringt Äxte, dort den Wald zu fällen!

In tiefe Schatten helles Licht!


Er zeigt auf die Pflugschar.


Die Pflugschar bricht die Erde um,

Ihr Mutterschoß empfängt die Saat –


Er streut Samenkörner zur Erde.


Und Korn und Wein wird herbstlich reifen:

So wirkt Molochs Sonne Wunder!

TEUT aufs neue hingerissen.

Ins dunkle Leben mit den Gluten

Gießt Moloch seine Gaben aus,

Ein Meer von Licht wird uns umfluten,

Dem Segen weichet Not und Graus!

Im Namen Molochs: Auf zum Werk![20]

MÄNNER.

Im Namen Molochs, auf zum Werk!


Die Dämmerung ist allmählich niedergesunken.


HIRAM.

Dem Morgen spart die große Tat!

Der Abend sinkt, nun werft euch nieder,

Des Mächt'gen Schutz erfleht eurem Werk,

Weiht seiner Glut nun das erste Opfer!


Er steigt zu Molochs Bild empor. Teut und die als Priester gekleideten Männer stellen sich auf den Stufen auf und reichen Hiram die Opfergaben. Der Moloch beginnt zu glühen.


HIRAM ergreift eine Schale mit Getreidekörnern, sie Moloch weihend.

Moloch ist König, ist Herr der Macht,

Herrschet von ewig glühenden Thronen.

Sei, was uns nährt, ihm zum Opfer gebracht,

In reifendem Segen wird er es lohnen.


Während das Volk den Weihegesang wiederholt, wirft Hiram das Getreide in den Moloch.


HIRAM greift ein paar Tauben.

Moloch ist König, ist Herr der Macht,

Leben und Tod beherrschet sein Wille,

Sei, was wir lieben, zum Opfer gebracht,

Daß seine Glut nur das Herz uns erfülle!


Während das Volk den Gesang aufnimmt, opfert Hiram die Tauben.


HIRAM während ihm ein Widder zugeführt wird.

Moloch ist König, ist Herr der Welt,

Lenkt die Gestirne, gebietet der Sonne!

Sei, wer ihm feind, gleich dem Widder gefällt!

Herr! mach' uns schauern in Glauben und Wonne


Das Volk stimmt ein, der Widder fällt von Hirams Dolchstoß. Alle stürzen auf die Knie, der Moloch, vom Rauch umwirbelt, erglüht zum ersten Male in ganzer Gestalt.
[21]

Quelle:
Max von Schillings: Der Moloch. Dichtung frei nach Fr. Hebbels »Moloch-Fragment« von Emil Gerhäuser, Berlin [1906], S. 17-22.
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