Zweyter Auftritt.

[31] Evander, die vorigen.


EVANDER. Seyd mir gegrysst, meine Herren!

PYRHUS. Sey uns gegrysst, junger Hirt! Fyhret dich Neugierde oder Geschæste zu uns?

EVANDER. Ja nun; es ist uns immer etwas wunderbares, Leuthe aus den Stædten zu sehen. Aber sagt mir, ihr Herren, seyd ihr nicht mit dem Fyrsten aus Zirta hieher gekommen, der gestern an unserm Ufer gelandet hat?

ARATES. Ja.

PYRHUS. Gewiss, du willst deine schlechre Lebens- Art verlassen, und mit uns nach der Stadt gehen?[31]

EVANDER. Ich? Ha! Ha! Das lass ich wol bleiben. Ich war als kleiner Knabe nur einmal in der Stadt, in Delphos. Ich war erstaunt yber alles, was ich da sah; aber ich mœchte doch unsre schœne Gegend nicht an die Stadt vertauschen, wo man so viele Straffen vorbey laufen muss, um in das freye Feld zu sehen.

PYRHUS. Du bist einfæltig; du wirst dich leicht daran gewœhnen.

EVANDER. Ich wyrde mich schwerlich daran gewœhnen, unter Leuthen zu wohnen, die ganz andre Sitten haben, als wir. Sie lachen yber uns Leuthe, die so einfæltig sind; aber wir sind doch immer eben so glyklich, wie sie; sie haben so viele Geschæfte, um es zu seyn; wir nicht; wir[32] sind zufrieden mit dem, was wir haben; wir arbeiten geruhig unser Feld, und pflegen unsre Herden, und das lohnen sie uns mit Ueberfluss. Sie heissen unsern Yberfluss zwar Armuth; aber sie sind wunderlich. Nein, in die Stadt mœchte ich wol nicht gern wieder gehen. Als ich da war, da stand ich da, und gafte die grossen Hæuser an, die gross sind wie Berge, und doch sind die Leuthe aus der Stadt meist kleiner, als wir sind; da lachten die Leuthe meiner, die bey mir vorybergiengen; noch mehr, wenn ich sie das und jenes fragte. Du junger Hirt, sagte einer, kannst du auch singen? Ja, sagt' ich, ich kann singen; und da hub ich mein bestes Lied an, dass es weit umher ertœnte; da sammelten sie sich um mich her, und spotteten meiner, und ich singe doch gut; das gestehen mir alle Hirten. Auch die Mædchens[33] da sind unfreundlich; wenn ich sie freundlich grysste, dann giengen sie bey mir voryber, als sæhen sie mich nicht; wie man bey einem Stein vorybergeht, der an der Straffe ligt; und sie sind doch lange nicht so gesund und schœn, wie unsre Mædchens sind.

PYRHUS. Aber wenn du mich liebtest, wie ich dich liebe, dann wyrdest du mir gerne folgen.

EVANDER. Ich liebte dich, so bald ich dich sah. Aber sollt ich meinen alten Vater, den ich auch liebe, hylflos zuryklassen, und mit dir nach der Stadt gehn? Mein Vater hat mit zærtlicher Sorgfalt meine Jugend gepflegt, sollt ich nicht mit dankbarer Sorgfalt sein Alter pflegen. Bleibet ihr bey uns, ihr Herren, ihr sollt das Beste[34] haben, das unsre Bæume und unsre Herde geben. Aber ihr machet mich so vieles schwazen, und indess sagt ihr mir nicht, wo ich den Fyrsten finde.

ARATES. Aber sag uns: Was sind deine Geschæfte?

EVANDER. Mein Vater sendet mich zu ihm, ich soll ihm diese Frychte bringen; ich musste sie von den Bæumen brechen, die er vor achtzehn Jahren gepflanzt hat; in dem Fryhling, sagt' er, da ich ein Jahr alt war. Sie sind reif, und syss wie Honig. Wo werd ich ihn finden?

PYRHUS. Gœtter! So alt ist mein Sohn! Sein Pfleg- Vater mysste die Bæume gepflanzt haben in eben dem Fryhling, da ihm das Kind ybergeben ward. Arates! ô wenn er es selbst wære![35]

ARATES. Deine Muthmassung hat Wahrscheinlichkeit. Welch andrer Hirt sollte dir Frychte senden?

EVANDER. Aber sagt mir doch endlich einmal, wo ich den Fyrsten finde. Ich muss gehen, ich habe noch vieles zu thun bey der Herde und im Baum- Garten, und mein Mædchen erwartet mich am Bach.

PYRHUS. So wisse denn, Jyngling! dass ich es bin, den du suchest.

EVANDER. Du bist der Fyrst aus Krissa?

PYRHUS. Ja, ich bin es selbst; aber wo ist dein Vater, und wie heisst er?

EVANDER. Mein Vater wohnt dort hinterm Hain, und heisst Lamon.[36]

PYRHUS zum Arates. O mein Freund! Ich kann mich kaum enthalten, ihn zu umarmen. Auch der Name seines Vaters trift ein.

ARATES. Bald zweifle ich selbst nicht mehr.

EVANDER. Ha! Da kœmmt mein Vater selbst.


Quelle:
S[alomon] Gessner: Schriften. Band 3, Zürich 1762, S. 31-37.
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