Sechster Auftritt.

[54] Evander, ein andrer vom Hofe.


Erlaube, gnædigster Prinz! Er wirst sich vor ihm auf die Erde.

EVANDER. Das ist ein wunderlicher Mensch. Was[54] willst du? Suchest du was verlohrnes hier auf der Erde?

DER ANDRE. Nein, mein Prinz! erlaube mir diese Demythigung vor dir, und – – –

EVANDER. Das ist wunderlich; so hat mein freundlicher Hund sich geberdet, wenn er mich lange nicht gesehen hat. Aber warum thust du das?

DER ANDRE. Um deiner Huld mich zu empfehlen, und dir zu sagen, dass ich von deinen getreuesten Sclaven sey.

EVANDER. Ein Sclave? ich habe Mitleiden mit dir; durch was fyr ein Unglyk bist du in dies Elend gerathen? Wie ich gehœrt habe, so ist das das elendeste Schiksal, in das die Menschen kommen kœnnen.[55]

DER ANDRE. Mein Prinz! Ich bin keiner von jenen elenden Sclaven, die durch Unglyk oder Verbrechen ihre Freyheit verlohren haben. Es ist meine eigene Wahl; aus Ehrfurcht fyr dich opfre ich meine Freyheit deinem gnædigen Willen auf; ich werde nur glyklich seyn, wenn – – –

EVANDER. Was ich aus deinen wunderlichen Reden verstehe, so dynkts mich, du seyest ein veræchtlicher Narr. Was das fyr Leuthe sind! Ich bin ganz verwirrt; ich wynsche, dass das alles ein Traum sey! Da ist einer von ehrwyrdigerm Ansehen; ô sage mir, Freund! ob ich wache oder træume? Ehrwyrdiger Mann! An dir werd ich doch einen vernynftigen Menschen finden.[56]


Quelle:
S[alomon] Gessner: Schriften. Band 3, Zürich 1762, S. 54-57.
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