Daphne. Chloe

[87] Daphne.


Sieh, schon steigt der Mond hinter dem schwarzen Berg herauf, schon glänzt er durch die obersten Bäume. Hier dünkt es mich so anmuthsvoll, laß uns hier noch verweilen; indeß wird mein Bruder die Heerde wohlbesorgt nach Hause führen.


Chloe.


Lieblich ist diese Gegend, lieblich des Abends Kühlung; laß uns hier verweilen.


Daphne.


Sieh, da an der Seite des Felsen, das ist der Garten des jungen Alexis. Komm, laß uns über den Zaun sehn. Im Land ist dies der lieblichste Garten; keiner so niedlich geordnet; keiner ist so gut gepflegt.


Chloe.


Seys denn, wir wollen.


Daphne.


Kein Hirt weiß die Pflege der Pflanzen wie er. Ists nicht so?


Chloe.


O ja!


Daphne.


Sieh, wie alles mit gesundem Wuchse aufblühet, was an der Erde wächst, und was an Stäben sich emporhält. Dort rieselt Wasser vom Fels; sieh wie es, ein Bächgen, durch die Schatten des Gartens fließt. Sieh, auf dem Felsen, wo die Quelle sich stürzt, hat er von Geißblatt eine Laube[87] gepflanzt; da muß man wol ganz die weite schöne Gegend sehn.


Chloe.


Mädgen, du lobest mit Hitze. Lieblich ist alles. Lieblicher der Garten des braunen Alexis, als alle Gärten des Landes; schöner seine Blumen, als alle Blumen; so angenehm, wie diese, rieselt keine Quelle; kein Wasser ist so kühl; kein Wasser ist so süß.


Daphne.


Aber du lachest Chloe!


Chloe.


Ey nicht doch. Sieh, ich breche diese Rose; sage mir, ist ihr Geruch nicht süsser als aller andern Rosen? Lieblich als hätte Amor selbst sie gepflegt.


Daphne.


A[c]h! Sey nicht schalkhaft.


Chloe.


Nun, aber – – – Verdrücke den Seufzer nicht, der deinen Busen hinaufdringt.


Daphne.


Ach! Du bist boshaft; komm laß uns gehn.


Chloe.


So plötzlich? Mir gefällts hier so wohl, so wohl. Doch horche – – – Ich höre rauschen. Da unter dem Hollundergesträuch sieht man uns nicht. Ha! Sieh, er ist es selbst. Still, sage mir ins Ohr, er ist doch wol auch schöner als jeder andre Hirt?


Daphne.


Ach! Ich gehe.


Chloe.


Ich lasse dich nicht: Sieh, er staunt, er seufzt; gewiß ein Mädchen sizt ihm tief im Busen. Kind, deine Hand zittert. Fürchte dich nicht, es ist ja kein Wolf da.


Daphne.


Laß mich, ach laß mich!


Chloe.


Still! Horche – –

Im Schatten des Hollundergesträuches standen die Mädgen verborgen. Indeß hob Alexis, unbewußt daß er behorcht ist, mit lieblicher Stimme diesen Gesang an:

Du blasser stiller Mond, sey Zeuge meiner Seufzer; und ihr, ihr stillen Schatten, wie oft habt ihr Daphne, Daphne, mir nachgeseufzt! Ihr Blümgen, die ihr mich umduftet, Thau blinkt auf euern Blättern, wie der Liebe Thräne auf meinen Wangen blinkt. O dürft ich, dürft ichs ihr sagen, daß ich sie liebe, mehr als die Biene den Frühling liebt! Jüngst fand ich am Brunnen sie; einen schweren Krug hatte sie mit Wasser[88] gefüllt. Laß mich die dir zu schwere Last des Kruges nach deiner Hütte tragen. So stammelt ich: Wie bist du gütig, so sprach sie. Zitternd nahm ich den Krug, und blöde, und seufzend, den Blick zur Erde geschlagen, gieng ich an Daphnens Seite, und dürft ihr nicht sagen, daß ich sie liebe, mehr als die Biene den Frühling liebt. Wie hängst du traurig da, an meiner Seite, kleine Narzisse; diesen Mittag noch in frischer Blühte, izt verwelkt! Ach so, so werd ich junger Hirte verwelken, wenn Daphne meine Liebe verschmäht! Ach, wenn sie meine Liebe verschmäht, dann werdet ihr, ihr Blumen, ihr mannigfaltigen Pflanzen, bisher meine Freude, meine süsseste Sorge, dann werdet ihr ungepflegt alle verwelken; denn für mich blüht keine Freude mehr. Wildes Unkraut wird euch dann ersticken; und verwachsne Dornbüsche werden mit ungesundem Schatten euch decken. Ihr Bäume, die ihr die süssesten Früchte truget, von meiner Hand hier gepflanzt; von Laub und Früchten entblößt, werden eure todten Stämme traurig aus der Wildniß emporstehn, und hier, hier werd ich mein übriges Leben verseufzen. Mögest du dann, indeß meine Asche hier ruhet, mögest du in den Armen eines liebenswürdigem Gatten jedes süsseste Glück in vollem Maasse geniessen! Doch nein, was plagt ihr mich, ihr Bilder schwarzer Verzweiflung? Noch blühet meine Hoffnung. Lächelt sie doch freundlich, wenn ich zögernd neben ihr vorübergehe. Jüngst blies ich am Hügel auf meinem Rohr, als sie durch die nahe Wiese gieng; sie stand stille. Kaum hatt ich sie erblickt, so zitterten meine Lippen und jeder meiner Finger; und blies ich gleich so schlecht, doch blieb sie stehn und horchte. O wenn ich einst sie als Braut in eure Schatten führe, dann sollen eure Farben höher glühen, ihr Blumen; dann düftet ihr jeden Wolgeruch zu! Dann bieget, ihr Bäume bieget, die schattigten Äste zu ihr herunter, mit süssen Früchten behangen!

So sang Alexis. Daphne seufzte, und ihre Hand zitterte in ihrer Freundin Hand. Aber Chloe rief ihm: Alexis sie liebt dich! Hier steht sie unter dem Hollunderbaum; komm küsse[89] die Thränen von ihren Wangen, die sie vor Liebe weint. Schüchtern trat er hin; aber sein Entzücken kann ich nicht sagen, als Daphne, schamhaft an Chloens Busen geschmiegt, ihm gestand daß sie ihn liebe.

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 87-90.
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