Der Sturm

[126] Auf dem Vorgebürge, an dessen Seite der schilfreiche Tifernus ins Meer fließt, sassen Lacon und Battus, die Hirten der Rinder. Ein schwarzes Gewitter stieg fernher auf; ängstliche Stille war in den Wipfeln der Bäume, und die Seevögel und die Schwalben schwirreten in banger Unruhe hin und her: Schon hatten sie die Heerden vom Gebürge nach ihrer Wohnung geschickt; sie aber blieben auf dem Gebürge zurück, die fürchterliche Ankunft des Gewitters, und den Sturm auf dem Meere zu sehn. Fürchterlich ist diese Stille, so sagte Lacon: Sieh, die untergehende Sonne verbirgt sich in jenen Wolken, die Gebürgen gleich am Saume des Meeres aufsteigen.


[126] Battus.


Schwarz liegt das unabsehbare Meer vor uns. Noch ruhig; aber eine bange Stille, die bald mit fürchterlichem Tumulte wechseln wird. Ein dumpfes Geräusche tönt fernher, wie das Geheul der Angst und eines allgemeinen plötzlichen Unglücks etwa von ferne gehört wird.


Lacon.


Sieh, langsam steigen die Gebürge der Wolken; immer schwärzer, immer fürchterlicher heben sie ihre Schultern hinter dem Meer hinauf.


Battus.


Immer fürchterlicher wird das dumpfe Geräusche; Nacht liegt auf dem Meere; schon hat sie die Diomedischen Inseln verschlungen, du siehst sie nicht mehr. Nur flimmert noch die Flamme des Leuchtethurms von jenem Vorgebürge in der schauervollen Dunkelheit. Aber jetzt, jetzt fängt das Geheul der Winde an; sieh, sie zerreissen die Wolken; treiben sie wütend empor; sie toben auf dem Meere, es schäumt – – –


Lacon.


Fürchterlich kömmt der Sturm daher. Doch gern will ich ihn wüten sehn: Mit Angst gemischte Wollust schwellt ganz meinen Busen. Wenn du willst, so bleiben wir; bald sind wir das Gebürge herunter in unsrer wohlverwahrten Hütte.


Battus.


Gut, ich bleibe mit dir. Schon ist das Gewitter da; schon toben die Wellen an unserm Ufer, und die Winde heulen durch die gebogenen Wipfel.


Lacon.


Ha sieh, wie die Wellen toben, ihren Schaum in die Wolken emporspritzen, fürchterlich wie Felsengebürge sich heben, und fürchterlich in den Abgrund sich stürzen. Die Blitze flammen an ihren Rücken, und erleuchten die schreckenvolle Scene.


Battus.


Götter! Sieh, ein Schiff; wie ein Vogel auf einem Vorgebürge sitzt, sitzt es auf jener Welle. Ha! Sie stürzt. Wo ist's nun, wo sind die Elenden? Begraben, im Abgrund.


Lacon.


Trieg' ich mich nicht, so steigt's dort auf dem Rücken jener Welle wieder empor. Götter! Rettet, o rettet sie. Sieh, sieh, die näheste Welle stürzt mit ihrer ganzen Last[127] auf sie her. O was suchtet ihr, daß ihr so, euer väterliches Ufer verlassend, auf ungeheuern Meeren schwebt! Hatte euer Geburtsland nicht Nahrung genug euern Hunger zu sättigen? Reichtum suchtet ihr, und fandet einen jammervollen Tod.


Battus.


Am väterlichen Ufer werden eure Väter und eure Weiber und eure Kinder vergebens weinen; vergebens für eure Rückkunft in den Tempeln Gelübde thun. Leer wird euer Grabmahl seyn; denn euch werden Raubvögel am Ufer fressen, verschlingen die Ungeheuer des Meers euch nicht. O Götter, laßt immer mich ruhig in armer Hütte wohnen! Zufrieden mit wenigem, nähre mein Anger mich, und mein kleines Feld und meine Heerde.


Lacon.


Strafet mich Götter wie diese, wenn je Unzufriedenheit in meinem Busen seufzt; wenn ich je mehr wünsche, als was ich habe: Ruhe und mässige Nahrung!


Battus.


Laß uns hinuntergehn; vielleicht das[s] die Wellen von diesen Elenden ans Ufer werfen. Leben sie noch, so haben wir den Trost sie zu retten; sind sie todt, so beruhigen wir doch ihren Geist, und geben ihnen ein ruhiges Grab.

Sie giengen hinunter ans Ufer, und fanden im Sand ausgestrekt einen schönen Jüngling todt. Mit Thränen begruben sie ihn am Ufer. Trümmer des Schiffes lagen im Sande zerstreut; und sie fanden unter den Trümmern eine Kiste, öffneten sie, und schwere Reichtümer von Gold waren drinnen. Was soll uns das, sagte Battus?


Lacon.


Behalten wollen wir's; nicht um reich zu seyn, davor bewahren mich die Götter! Um's zurückzugeben, wenn's ein Eigentümer sucht; oder einer der's mehr nöthig hat als wir.

Ungenutzt, und ungesucht, lag der Schatz lange bey den beyden; da liessen sie draus am Ufer einen kleinen Tempel bauen. Sechs Säulen von weissem Marmor hielten den schattigten Vordergiebel empor, und in der Vertiefung stand die Bildsäule des Pan. Der Zufriedenheit war dieser Tempel geweiht, und dir, gütiger Pan!

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 126-128.
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