Die Trennung

[72] Als die Jungfrau Lilialinda

Meinen Wonnerausch bemerkte,

Dem ich, schwelgend im Genusse

Ihrer Reize, war verfallen:

Strahlte auch aus ihrem holden

Antlitz seliges Entzücken,

Und sie wollte eben, glaub' ich,

Mich an ihres Leibes Dolden,

An den keuschen Busen drücken.


Doch verwandelt plötzlich schien sie,

Als ich nun – ein Kind der Erde,

Welches weibliche Avancen

Solcher Art nicht dulden darf –

An der Schwelle dieser Kirche

Salomonis hin mich warf,[72]

Flehend: »Noch in dieser Stunde

Mußt', o Engel ohne Gleichen,

Du zum heil'gen Ehebunde

Am Altar die Hand mir reichen!«


Leichenblaß und tief erschüttert

Erst, dann stolz empor sich richtend

Und verächtlich auf die Gräfin,

Welche höhnisch lachte, blickend,

Winkte sie mir, ihr zu folgen,

Führte mich hinab zur Gasse,

Führte mich nach ihrer Wohnung,

Tugend-Holzweg Nr. 80;

Führte mich zu ihrer Mutter,

Flog an deren Hals und schluchzte,

Weinte heiße, bittre Thränen.


»Lilia! Lilchen! Armes Kindchen!«

Rief die Mutter, gleichfalls weinend,

»Wär' es möglich? Ruhig, Lindchen!

Hätte jener Fremde wirklich

Dich in Deiner Jugend Schöne

Sich zur Gattin auserkoren?«
[73]

»Ja,« war der Geliebten Antwort

Mit von Schmerz gebrochner Stimme,

»Ja, es ist geschehen, was ich,

Liegt mir fern auch eitles Wesen,

Nimmer, nimmer konnte glauben!

Mich, die achtzehnjähr'ge Jungfrau,

Voller Lebens für die Liebe,

Und ihm dieses Leben weihend,

Mich, o es ist mehr als grausam!

Höhnt er durch erkünstelt Staunen

Ueber meines Leibes Schönheit,

Durch erlog'ne Liebesworte,

Und stößt dann zurück mich, wählend,

O ihr Götter! mich zur Gattin!«


Alle Fragen des Erstaunens

Ueber ihr verändert Wesen,

Die an Lilialinda früher

Ich schon richten wollte, hatte

Durch abwehrende Gebärden

Sie erstickt mir. Eben wollt' ich

Nochmals heilig ihr betheuern,

Daß es ja nur heiße Liebe,[74]

Die ich fühlte, die mich triebe,

Sie, die Göttliche, zu heuern:


Da begann vor'm off'nen Fenster

Eine Menschenschaar, in welcher

Meine Gräfin ich bemerkte,

Plötzlich, wie wenn Hunde heulen,

Einen Trauersang zu singen!

Und in's Zimmer trat ein Mufti,

Drehte bis das Lied zu Ende,

Sich auf einem Bein im Kreise,

Aehnlich wie die Königlichen

Solotänzer unsrer Erde

Alle ihre Werke schließen;

Schnitt dann eine ganz abscheulich

Dumme Fratze, welche hierorts

Gilt als überweltlich, heilig;

Gab der schönen Lilialinda

Warm und herzlich sie umarmend,

Schmatzend drei Mal sieben Küsse;

Machte dann an mir ein Zeichen,

Welches für die sittlich-reine

Erdenwelt inexpressibel;[75]

Trank hierauf von Amtes wegen

Sieben Schnäpse Salamander;

Stellte mich und meine Braut dann

Mit dem Rücken aneinander,

Und rief salbungsvoll und laut dann

Also seinen Muftisegen:


»Heil Dir, Jüngling, daß zur Gattin,

Ihren Reizen widerstrebend:

Frommen Sinn's Du Dir erwählet

Diese farbenprächt'ge, duft'ge,

Aufgeblühte Himmelsblume,

Namens Lilia Lilialinda,

Und dadurch für jetzt und ewig

Jedes Anspruchs auf die Wonne

Ihrer Liebe Dich begeben!

Heil Dir, Jungfrau, der das seltne,

Neidenswerthe Loos geworden,

Daß, trotz ihrer Leibesschönheit,

Und bevor die Blüthe solcher

Abgeknicket und verdorret,

Einen Gatten sie gefunden,

Der, entsagend all den Reizen,[76]

Ihr den frommen Rücken zukehrt!

Heil Dir, Jungfrau! Denn von nun an

Darf bei unsrer Tempelstraf' der

›Muftiheiligen Erleuchtung,‹

Des ›Verbrennens,‹ wie's profan heißt,

Uns, die Priester, ausgenommen,

Keiner der Verkehrten Welter,

Weder Greis, noch Mann, noch Jüngling,

Und am wenigsten Dein Gatte,

Sich Dir zärtlich nah'n, geschweige

Jenes staatlich zwar erlaubten

Aber immer frevelhaften,

Ungepriesterten, unfrommen

Laien-Liebesglücks genießen!

Und zum dritten Male: Heil Dir,

Daß die Würde Dir geworden,

Uns, den Muftis zu gehören,

Deren heil'ge Urgesetze

Ihnen nur die Lieb' gestattet

Mit der rechtmäßig getrauten

Frau Gemahlin eines Laien!


Komm' nun, holde Mufti-Nonne,

Mit mir in des Tempels Hallen,[77]

Wo bei Sang und Liebeswonne,

Hoch des Glaubens Korke knallen!

Und Du, Gatte, zieh' des Weges,

Kose mit den Mädchen allen,

Und geneuß des Privileges

Deiner Ehe nach Gefallen!«

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Die Verkehrte Welt. Berlin 1862, S. 72-78.
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