Der gelehrte Kater

[173] Ein Kater sitzt vor'm dicken Buch

Die Brille auf der Nase;

Man sieht's, er denkt gewaltig klug

Ob einer dunklen Phrase.

Er zieht die Stirne kraus und krumm,

Legt sie in hundert Falten;

Es geht ihm Viel im Kopf herum,

Denn er studirt die Alten.


Die schönsten Frauchen schleichen dort

Am stillen Schornsteinplatze;[174]

Wie sie miauen fort und fort:

Er liebt nicht eine Katze!

Lieb', Freundschaft, Schönheit prallen ab

Von seiner Brust, der kalten;

Sein Inn'res ist ein weites Grab,

Drinn spucken nur die Alten.


Er wäscht sich nicht, er kämmt sich nicht;

Er bleibt in seinem Schmutze:

Was scheert mich mein gemein Gesicht,

Wenn ich die Seele putze!

So schnurrt den Muhmen er Bescheid,

Die ihren Vetter schalten:

Was brauch' ich eure Sauberkeit

Im Schattenreich der Alten!


Komm' mit! sagt ihm sein Kamerad,

Hier nebenan im Häuschen,[175]

Da schmausen wir ganz delicat,

Da gibt's die fett'sten Mäuschen!

Der Kater wirft zwar einen Blick

Durch seines Bodens Spalten,

Doch zieht er sich sogleich zurück

Und hungert bei den Alten.


Der König seines Vaterlands,

Das ist ein arger Sünder;

Die Bürger all' des Katerlands

Sie schreien wie die Kinder.

Das ganze Reich ist voll Miaus

Ob des Tyrannen Walten:

Der Kater macht sich gar Nichts draus,

Denn er ist bei den Alten.


Die Feinde dringen in das Land,

Die großen Metzgerhunde;[176]

Von jeder Mauer, jeder Wand

Hört man die Schreckenskunde;

Man zieht die Krallen vor, um

Wauwauer abzuhalten!

Nur Einer, das gelehrte Vieh,

Bleibt ruhig bei den Alten.


Im ganzen Reiche rundherum

Murrt man von ihm am Schlimmsten;

So manchen Kater nennt man dumm,

Doch ihn den Allerdümmsten:

Er lachte, sang und liebte nie,

Wenn wir die Lust umkrallten;

So laßt denn das gelehrte Vieh

Verfaulen bei den Alten!


Er starb. Kein Kater, keine Katz'

Hat kläglich drob miauet;

Im Gegentheil: sein Studienplatz

Ward ekelhaft besauet.[177]

Sein Wissen, das mit ihm verscharrt,

Schrien sie, er mag's behalten!

Wir leben in der Gegenwart

Und schnurren auf die Alten!

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Verbotene Lieder, Bern 1844, S. 173-178.
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