Lokkspeise

[25] Meinem Vater in der Grube

Dank ich noch für seine Liebe.

Er hat einst durch seine Lehren

Dis mein iunges Herz gebildet;

Er gab mir, durch seine Lehren,

Liebe zu den schönen Künsten,

Und ein Herz voll Lehrbegierde.

Laßt uns doch die Väter loben,

Die uns nicht mit harten Worten,

Die uns mit Vernunft und Schmeicheln

Klug und Lehrbegierig machen.

Laßt uns künftig unsern Kindern

Lust und Liebe grösser machen.

Laßt uns unsre lieben Väter

In der Lehrart übertreffen!

Ja! ich will schon meine Kinder

Stärker zu den Künsten reitzen,

Als mich einst mein Vater reitzte.

Knabe, sprach er: Lerne schreiben,

Denn sonst kannst du bei dem Fürsten

Künftig keine Schätze sammlen.

Hurtig lernt ich alles schreiben,[25]

Denn ich liebte Kutsch und Schätze.

Aber, warlich, meine Knaben

Sollens doch noch schneller lernen,

Denn ich will sie besser reitzen.

Liebste, ia! so will ich sagen,

Liebste Knaben, lernt doch schreiben,

Denn sonst könnt ihr einst im Alter

Keine Liebesbriefe wechseln.

O! wie werden sie dann lernen.

Lerne tanzen, sprach mein Vater,

Denn es macht geschikkte Glieder,

Und ich lernte hurtig tanzen;

Aber hätt' er nur gesprochen:

Lieber Sohn! man kann beim Tanzen

Manche schöne Hände drükken,

Die sich sonst nicht drükken lassen,

Und man kann im sanften Drükken

Klugen Schönen alles sagen,

Was wir sonst nicht sagen dürfen;

Drum so rath ich, lerne tanzen:

O! so würd ich ietzt im Tanzen

Dich, o Lani! übertreffen.

O! wie will ich meine Kinder

Zu den Wissenschaften reitzen!

O! was vor gelehrte Knaben

Werden meine Lehren ziehen!

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Versuch in scherzhaften Liedern und Lieder, Tübingen 1964, S. 25-26.
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