Trinklied

[39] Seht den iungen Bacchus an!

Seht doch! wie er trinken kann;

Seht die Augen, die Geberden

Sollen unsre Muster werden,

Wenn die Gläser, voll von Wein,

Aug' und Herz und Geist erfreu'n.


Treue Brüder, laßt euch rathen,

Thut doch, was die Alten thaten,

Gebt Verdiensten ihren Lohn,

Krönet diesen Bacchussohn;

Daß die Tugend auf der Erde

Lieblich und erkennet werde.
[39]

Den die Weisheit sichtbar schmükkt,

Der sich doch zum Bacchus schikkt,

Den man sieht sein Amt verwalten,

Und des Abends Piknik halten,

Der noch nie bestrafet ist,

Weil man ihn dabei vermißt;


Der noch keinen Trunk vermieden,

Der sich selbst darzu beschieden,

Den kein voller Römer schrekkt,

Dem der Wein am besten schmekkt;

Der verdient zum rechten Lohne

Von den Brüdern eine Krone.


Brüder! seht den Bruder an,

Wie der Bruder trinken kann!

Unter allen Bacchussöhnen

Muß man ihn zum König krönen,

Brüder, ia, er muß es seyn,

Seht! er schenkt schon wieder ein.

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Versuch in scherzhaften Liedern und Lieder, Tübingen 1964, S. 39-40.
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