Erster Abschnitt

Von Adlerkant und Nettchen will ich singen! –

Was? singen? nun das wäre wahrlich schön!

Ich muß die Luft beim Sprechen schon erzwingen!

Wer würde mir denn für die Schwindsucht stehn?

Auch ließ' ich gern wohl eine Leier klingen;

Nur hab' ich nie ein solches Ding gesehn.

Drum will ich bloß erzählen, welchen Lohn –

Allein wozu vorher den Inhalt schon?

O Muse! – ja! da sitzt die Muse gleich!

Und hätt' ich laut, wie Ajar einst, geschrien,

So würde doch, aus Helikons Gesträuch,

Nicht eine sich herab zu mir bemühen.

Darum, ihr Herrn, versichr' ich bieder euch,

Das, was ihr hört, sind meine Phantasien. –

Nun, Herr Poet! frisch! setz' er sich in Wuth!

Denn macht er's gut – je nun! – so macht er's gut!

Verlangt er mehr? Er kennt die Welt noch nicht!

Und billig sollt' ein Dichter doch sie kennen.

Bei seinem Fleiß', muß er sein Holz und Licht

Noch oben ein, für ihre Gunst, verbrennen.

Indeß steht er dabei so übel nicht;

Um Rang und Gold kann jeder Schurke rennen,

Der Dichter nur lauft fast noch ganz allein

Die grade Bahn, sich selbst genug zu seyn.

So sey es denn, geneigte Hörer, drum!

Habt ihr Verstand? so möcht' ich euch gefallen!

Doch wäret ihr – wie drück' ich's aus? hum! hum! –

Gott Stupors Spießgesellen und Vasallen:

So kenn' ich euer Privilegium,

Verehr' es tief mit den Autoren allen,[6]

Und schicke mich darinn, so gut ich kann. –

Prologs genug! Das Stück hebt endlich an.

Herr Adlerkant war Steuersekretär;

War groß – wie groß? das hab' ich nicht gemessen!

Er war auch reich – wie reich? das weiß nur er!

Ob nun der Mann Verstand dabei besessen?

Verstand! Verstand! – Sagt, brauchte Rabener,

Als Steuerrath sich rund und fett zu essen,

Und ein Geschäft zu treiben, wie er trieb,

So ganz den Geist, der sich unsterblich schrieb?

Zum Ueberfluß' besaß Herr Adlerkant,

(Denn, was ist Witz? fragt Hamburg nur und Bremen.)

Viel feinen Witz, und folglich auch Verstand;

Wenn's anders nicht die Herren übel nehmen,

Die diesen kaum, und jenen nie gekannt,

Doch oft – wie fein! – zu sagen sich nicht schämen:

Ein schöner Geist zu werden, ist nicht schwer;

Er braucht nur Witz; und Witz, was ist das mehr?[7]

Durch seinen Witz kam unser junge Mann

Beim Kriegesrath von Brunnenhain – in Gnade.

Ein schöner Geist, ein Bürgerlicher, kann

Mehr nicht als die verlangen. Zur Parade

Hat man im Zimmer gern das Buch, doch nicht den Mann:

Und desto besser denn für ihn, dem grade

Nichts lieber ist, als daß, wenn ja die Schrift,

Nur nicht ihn selbst, die Schmach des Umgangs trifft.

Der Kriegesrath war alt und fein genug,

Den Edelmann zur Unzeit nicht zu spielen.

Was seinen Stolz ein wenig niederschlug,

War, oft den Werth von Bürgergold zu fühlen.

Das Heirathsgut der Fräulein Töchter trug

Nur just so viel, als, Liebesglut zu kühlen,

Mama Natur den Mädchen allen gibt;

Doch, wann macht das die Freier schon verliebt?

Man weiß, daß in Romanen und Gedichten

Die Mädchen schön bis zum Entzücken sind.[8]

Vor Körperreitz pflegt Niemand auch zu flüchten,

Denn Niemand ist bei diesen Reitzen blind.

Was Wunder? daß, den Zank einmal zu schlichten,

Die Schönste stets den Helden nur gewinnt?

Drum ist Verstand bei Töchtern wenig werth;

Die Schönheit nur (des Goldes) wird begehrt.

Was fang' ich nun mit meiner Heldin an?

Die kleinste Stadt mag leicht ein Mädchen zeigen,

Die sich mit ihr an Schönheit messen kann.

Drum will ich auch wohlweislich hier verschweigen,

Worüber sonst oft lang ein Dichter sann,

Welch Kolorit und Wuchs der Heldin eigen,

Wie lang die Stirn, wie groß die Nase war?

Es wird kein Bild, und malt' er auf ein Haar.

Antonia, die Heldin der Geschichte,

Ein Töchterchen des Herrn von Brunnenhain,

Trug ihren Geist im Aug' und im Gesichte,

Und nahm damit schnell wie die Schönheit ein.

Das Fräulein las empfindungsvoll Gedichte,[9]

Kam, durch Gesang, Musik und Malerein

Zu mehr Geschmack, als nöthig möchte seyn,

Den Herrn Gemahl mit Erben zu erfreun.

Des Fräuleins Herz war, um es kurz zu sagen,

Den mehrsten Mädchenherzen völlig gleich.

Es war so gut, so gut zu ganzen Tagen,

Als wär' es schier ein kleines Himmelreich;

Doch Heuchelei und List und Wollust lagen

Zu andrer Zeit, wie Mörder im Gesträuch',

Darin versteckt. Ihr Mädchenkenner, sprecht!

Sieht mein Porträt schief, oder sieht es recht?

Ein Mädchenherz erforscht ein weiser Mann,

Mit kaltem Blut', kaum, kaum in ganzen Jahren,

Wenn er's auch Tag für Tag belauschen kann;

Ja selbst nicht dann, wenn er nicht selbst erfahren,

Was Mädchen sind. Doch rath' ich jedem an,

Er möge ja sein Lehrgeld weislich sparen.

Ein scharf Gesicht ist oft nicht wünschenswerth;

Man sieht nur mehr, als man zu sehn begehrt.[10]

So hoff' ich denn, man wird aus diesen Gründen

Geneigt verzeihn, daß unser Adlerkant,

Wo Kenner nichts als bloß ein Mädchen finden,

Verliebt und jung, nur einen Engel fand.

Ein Liebender tappt, wie bekannt, im Blinden;

Und leitet auch ein Freund ihn bei der Hand,

Vergebens wird er leiten, wird er schrein:

Da kommt ein Sumpf! er stolpert doch hinein.

Dankt's der Natur, ihr Schönen, allermeist,

Daß Liebe, selbst der Weisen Auge, blendet!

Studirten erst sie euer Herz und Geist:

Wer weiß, ob ihr so hurtig Männer fändet?

Wie käm' es sonst, daß wenn der Faden reißt,

Den Liebe knüpft, das Blatt so schnell sich wendet?

Wir Männer danken wenig der Natur;

Werth gibt uns erst die fleißigste Kultur.

Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 4, Frankfurt a.M. 1821, S. 6-11.
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