|
[254] Chor.
Rausche leiser, edle Quelle,
Unser Lied ertönet dir,
Schweigend kamen wir zur Stelle,
Aber singend scheiden wir.
Gabst nicht du die Stimm' uns wieder,
Die zu Hause war erkrankt?
Billig denn durch laute Lieder
Dir zuerst sie freundlich dankt.
Eine Stimme.
Blasser war ich hergegangen,
Als der Mond dort über mir,[255]
Und mit Pfirsichrothen Wangen
Spiegl' ich heute mich in dir.
Chor.
Für der Freundin rothe Wange,
Für ihr Auge klar und hell,
Dein Geschenk allein! empfange
Unsern Dank, du Wunderquell.
Eine Stimme.
Jüngst noch schlich ich matt an Krücken
Zu dem Wunderquell' hinan,
Denkt Euch, Freunde, mein Entzücken,
Daß ich heute tanzen kann.
Chor.
Quell! wir hangen hier die Krücke
Unsrer Freundin, dankend auf,
Und zu diesem Denkmal' blicke
Hoffnungsvoll der Lahm' hinauf.
[256] Eine Stimme.
Ha! des Todes kalte Hippe
War dem Nacken schon so nah,
Und ich wandelndes Gerippe
Steh' itzt wie der Vollmond da.
Chor.
Ja! selbst dieses Freundes Leben
Ist, o Quelle, dein Geschenk.
Dein, bis wir der Erd' entschweben,
Sind wir dafür eingedenk.
Eine Stimme.
Krummer hatt' ich mich geschrieben,
Als ein Raths-Notarius.
Freude war mir's, mich betrüben,
Jetzt ist meine Freud' ein Kuß.
Chor.
Keinen fröhlichen Gedanken
Bracht' ihm selbst der Wein ins Herz,[257]
Doch aus dir, o Quelle, tranken
Seine Lippen wieder Scherz.
Eine Stimme.
Freund'! ihr hörtet sonst mich schreien,
Wenn das Seitenweh mich stach,
Laßt den Quell uns benedeien,
Der ihm seinen Dolch zerbrach.
Chor.
Ja! sey dreimal hochgepriesen,
Quelle, die du all' uns labst,
Dreimal hoch, daß du Elisen
Ihren Freunden wieder gabst.
Buchempfehlung
Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.
48 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro