Will auch 'n Genie werden

[120] Ich bin doch wohl ein rechter Thor,

Was auffällt, so zu meiden!

Mich nicht durch irgend etwas, vor

Der Welt zu unterscheiden,

So schlecht und recht, fast wie ein Tropf,

Der Nase nachzuschleichen,

Und jedem, wenn's mit seinem Kopf'

Nur richtig ist, zu gleichen.

Gebt aber Acht! Man soll, im Fall'

Mir Witz und Glück nicht fehlen,

In kurzer Zeit wohl überall

So viel von mir erzählen,

Daß Fremde, zwanzig Meilen weit,[121]

Mit Wagen und mit Pferden,

Um mich zu sehn, mich Seltenheit,

Nach Ellrich kommen werden.

Wer wird dann Schachte noch besehn?

Wer Hütten? Keine Seele!

Verödet wird der Brocken stehn,

Und leer die Baumannshöhle.

Wer mich sah liegen, stehn und gehn,

(Zeigt das mein Bild von Geyser?)

Der hat fürwahr genug gesehn,

Und fühlet stracks sich weiser.

Denn alle Schnellkraft der Genies

Will ich in mir vereinen;

Was Zimmermann bejaht' und prieß,

Will ich verschrein, verneinen;

Was Winkelmann verneint, verschreit,

Laut preisen, grob bejahen,

Und kurz, Copernik schimpf' ich heut'

Und morgen Tycho Brahen.[122]

Die Sprach' – kommt mir ein Drang, ein' Grill' –

Verhunzen werd', verdrehen,

Soll, traun! schier der 's verstehn mir will,

Gleich'n Hahn nach'm Morg'nlicht krähen.

Und wäre noch die Eselin

Von Bileam am Leben:

Schrein sollte sie: J-A! darin

Ist Kraft und Drang und Streben!

Ich nehme, wenn's die Obrigkeit

Erlauben will, zwei Frauen,

Und lasse der Empfindsamkeit

Capell' und Altar bauen.

Zum Priester wird sich, wie bekannt,

Herr Säugling trefflich schicken,

Dem laß ich denn ein Meßgewand

Von Gold und Perlen sticken.

Doch, ich Patronus, merkt das wohl!

Geh' im zerrißnen Kittel,

Hab' aber alle Taschen voll[123]

Yorikischer Capittel.

Doch laß ich, wenn mir's Kurzweil schafft,

Die Hülfe fleh'nden Armen,

Durch meinen Schweitzer, Peter Kraft,

Zerprügeln oh'n Erbarmen.

Scheint eine Physiognomie

Mir neu von Bau und Falten,

So frag' ich nicht: »Herr! wollen Sie?«

Kraft muß mir gleich ihn halten,

Bis Barnsdorf1, den ich bloß für dieß

Gesicht mir lasse kommen,

Den sonderbaren Schattenriß

Für mich hat aufgenommen.

Fällt mir es ein, so kann ich ja

Wohl auch nach Hofe gehen;

In aller Absicht werd' ich da

Mich gar nicht übel stehen;[124]

Denn Bischoff und Champagner Wein

Kann ich wie Wasser saufen,

Und, werfen Nachts wir Fenster ein,

Gewiß am schnellsten laufen.

Fußnoten

1 Zu Hannover, der ein Gewerbe daraus machte, Schattenrisse aufzunehmen.


Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 4, Frankfurt a.M. 1821, S. 120-125.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon