An meine Tobaksdose

[215] O du, die so viel Jahre lang

Mein Nachbar war im Schlaf' und Essen,

Mit mir den Rhein befuhr, und zu den Feueressen

Des Donners, auf den Brocken drang:

Verzeihe, daß dich mein Gesang

Hat undankbar bis jetzt vergessen.

Ist je aus meinem Kopf' ein Lied,

Werth der Unsterblichkeit, gekommen,

So dank' ich's dir allein! Denn die Ideen schwommen

Verwirrt umher, die Stirne glüht'

Und dampfte, aber nichts gerieth,

Bis ich aus dir Rappee genommen.[216]

Ich mißte, wenn's der Arzt gebot,

Drei Monat' allen Saft der Reben;

Wohl könnt' ich ohne ihn, drei ganze Jahre leben,

Vielleicht drei Tag' auch ohne Brod;

Doch, ohne dich! – Ich wollt', o Tod!

Dir lieber beide Hände geben.

Du, gute Dose, lehrtest mich

Die Einsamkeit als Jüngling lieben,

Bei Schwätzern oft Geduld, bei Narren Langmuth üben,

Mit Fröhlichen mich inniglich

Erfreuen, mit Betrübten mich

Noch herzlicher als sonst betrüben.

Was kaum ein Freund dem andern that,

Das thatest du. Du hingst wie eine Klette

An mir; du warst mein Trost, wenn ich im öden Bette

Den Schlaf vergebens zu mir bat,[217]

Mein Trost, wenn ich bei Akten spat

Noch gähnt' und gern geschlummert hätte.

Werd' ich dereinst zum letztenmal

Die dürren kalten Hände falten,

Und über meine Brust in beiden fest dich halten,

So wird mit Schluchzen mein Gemahl

Heraus dich brechen, und so kahl

Dein Rock auch ist, doch gern behalten.

Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 4, Frankfurt a.M. 1821, S. 215-218.
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