Die Wölfin von Skadar.

[141] – – – –

Das leichte Geräusch brechenden Holzes störte die Stille der Nacht – aber nicht die schweren Athemzüge der Schlummernden.

– – –

Dann wieder Alles lauschende Stille.

Sein Haupt ruhte an ihrer schwellenden Brust. Der halb geöffnete Mund des schlafenden Weibes mit den spitzen weißen Zähnen schien noch Triumph zu athmen über den errungenen Sieg. Zwischen den Brauen in der scharf geschnittenen Falte lag die ganze Leidenschaftlichkeit ihrer Seele. – –

Ein Schatten glitt unter dem Teppich hervor – wiederum eine lange Pause – dann legte sich eine kalte Hand auf die glühende Stirn des Griechen.

Eine unwillige Bewegung der Störung – die Lippen murmelten den Namen »Fatinitza«, dann schlief er weiter.

Eine zweite Berührung erweckte ihn. Träumerisch schlug er die Augen empor, in jener schwelgenden Ermattung des Genusses.

Vor ihm stand Gabriel der Zagartschane!

Er wollte emporfahren, die dunkle Gluth der Schaam, des gebrochenen Männereides überfluthete sein Gesicht – doch ernst und schweigend winkte der Czernagorze ihm Vorsicht, auf die lockende Genossin seines Lagers deutend. Dann trat er zurück in das Vorgemach, leise, unhörbar, wie er gekommen, und winkte dem Freunde zu folgen.

Es gelang Nicolas, sich langsam aus den umschlingenden Armen der Türkin zu winden und vom Lager herabzugleiten auf den Boden, ohne daß seine Bewegungen sie erweckten. Einige[142] Augenblicke darauf huschte er in das Nebengemach, wo der Flüchtling stand und aus dem Arsenal an der Wand sich vorsichtig prüfend bewaffnete. Ein Blick zeigte dem Griechen, wie der Kühne hier herein gelangt. Die Jalousie des schmalen Altans war geöffnet, die verdeckenden leichten Gitterstäbe waren an einer Stelle gebrochen.

Der Czernagorze wandte sich zu ihm.

»Zum zweiten Male ist der Ruf des Blutbruders in der Stunde der Gefahr vergeblich nach dem Genossen erklungen; zum zweiten Male fehlte Nicolas Grivas, als Andreas der Zagartschane seiner Hilfe bedurfte. Wird er auch zum dritten Male seine Stimme nicht hören, wird er seinen Kampf theilen um Leben und Freiheit, oder will er ruhen in den Armen der Liebe und den Freund allein sein Heil versuchen lassen?«

Der Jüngling beugte sich beschämt.

»Verdamme mich nicht, Gabriel, meine Seele war umnachtet, mein Wille gelähmt. Ich theile mit Dir Tod und Leben!«

»Wohl! ich danke Dir für die rettende Feile und das Seil, die Du mir gesendet. Aber es war um ein Stockwerk zu kurz und vergeblich schaute ich mich um nach der versprochenen Hilfe. Da lenkten die freundlichen Wila's mein Auge auf diesen Altan, und indem ich mich am Seil hin und her schwang gleich dem Vogel in der Luft, wie ich oft als Knabe gethan, wenn ich die Felsennester der Möwen ihrer Brut beraubt, gelang es mir, die Stäbe zu erreichen und Fuß zu fassen. Das Übrige weißt Du. Hast Du Deinen Kahn in der Nähe?«

»Ich war gefangen wie Du, heute Abend durch meine Unvorsichtigkeit. Nur die undurchdringlichen Mauern des Kerkers konnten mich fern von Dir halten. Der rettende Kahn liegt mindestens eine halbe Stunde weit außerhalb der Stadt unter den Felsen.«

»Dann giebt es nur einen Weg für uns. Wir müssen schwimmend aus dem Bereich der Festung zu entkommen suchen. Bist Du bereit?«

»Ich bin's!«

»Diese schweren Waffen nützen uns Nichts,« flüsterte der vorsichtige Krieger, »laß uns von uns legen, was uns hindert. Suche wie ich einen leichten Yatagan und birg ihn in Deinem Gürtel.«

Indem der Grieche nach der bezeichneten Waffe faßte, stieß er an eine zweite, und diese fiel klirrend zu Boden.[143]

Erschrocken blickten Beide empor – der Teppich vor dem Zugang des Schlafgemachs wurde zur Seite gerissen, in demselben, wie der Tiger zum Angriff bereit, kauerte das nackende Weib, die gluthsprühenden Augen auf die Freunde gerichtet.

»Verräther!«

Der einzige Laut zischte durch ihre Lippen; mit einem Sprunge warf sie sich nach der Thür, aber der Czernagorze stürzte ihr zuvor und umfaßte mit aller Kraft ihren Leib. Ein wildes Ringen begann zwischen den Beiden, eine übermenschliche Stärke und Geschmeidigkeit schien die Muskeln und Glieder dieser Frau zu stählen, gleich einem Proteus wand sie sich in dem starken Männerarm und rang Brust gegen Brust. Aber kein Laut, kein Ruf der Hilfe entschlüpfte ihren Lippen, nur der keuchende Athem, der zischende Ton der Wuth begleitete diesen Kampf.

An der Thür jedoch scharrte und kratzte es wüthend und immer wüthender. Das grimmige Raubthier witterte die Gefahr, den Kampf seiner Gebieterin, und versuchte, ihr zum Beistand zu eilen.

»Mach' ein Ende! komm zu Hilfe! ich vermag diesen Teufel in Weibergestalt nicht länger zu bändigen.«

Zwei Mal hatte Nicolas Grivas den Stahl für den Blutbruder erhoben gegen das dämonische Weib, das eben noch an seinem Herzen gelegen, – zwei Mal traf ihn mitten in der Furie des Ringens ein kalter verächtlicher Strahl ihres Auges – und Hand und Waffe sanken machtlos nieder. Da, wie ein Ausweg des Himmels, fiel sein Auge auf einen zur Seite am Boden liegenden persischen Shawl, und im Nu hatte er ihn aufgerafft und schlang ihn um Kopf und Schultern des Mädchens. Gabriel hob sie zugleich empor, im nächsten Augenblick hatte er sie auf das eben verlassene Lager geworfen und keuchend umschlangen Beide die wild sträubenden Glieder mit Tüchern und Decken, wie die Hand sie erreichen konnte, und zogen die Knoten um sie fest. Auch jetzt noch entfloh kein Schrei ihrem Munde, nur das Athmen der Wuth vernahmen sie durch das dicke Gewebe des den Kopf umhüllenden Shawls.

Aber draußen am Eingange des Gemaches tobte und wüthete es fort, mit gewaltiger Kraft sprang der Wolf an der Thür empor und stieß ein klagendes Geheul aus, daß es weit durch die Räume des alten Gemäuers scholl.[144]

Gabriel riß den Freund mit sich fort, der zitternd auf das Werk seiner Hände schaute, die gebundene verhüllte Gestalt, die jetzt ruhig und bewegungslos, gleich als erkenne sie das Nutzlose jedes weiteren Sträubens, auf den Kissen lag.

»Sie stirbt! sie erstickt!«

Doch der Czernagorze drängte ihn zum Altan.

»Was kümmert uns ein Weiberleben! Hinunter! Hörst Du nicht, daß von dieser Bestie Geheul schon die halbe Feste in Allarm ist? Mir nach, Blutbruder, und die Heiligen seien uns gnädig!«

An der Pforte donnerten Waffen und Hände, – unter den gewichtigen Schlägen sprangen die Riegel – –

Mit weitgestrecktem Sprunge warf sich der Czernagorze vom durchbrochenen Altan hinab in die dunkle Fluth, im nächsten Augenblick folgte ihm der Grieche.

– – –

Als Beide emportauchten, glänzte heller Lichtschein von der Öffnung des Balkons über die Fläche des Wassers – im Umwenden glaubte der Jüngling Gestalten darauf zu sehen, darunter einen weißen fliegenden Mantel, einen Moment nachher blitzte ein Schuß, die Kugel fuhr über ihnen hin in's Wasser.

»Nieder!« rief der Czernagorze ihm zu, »halte Dich rechts!« Und die Schwimmer sanken auf's Neue fast auf den Grund und strichen weit aus.

Als sie Luft zu schöpfen nochmals emportauchten, waren sie außer dem Bereich der augenblicklichen Gefahr, aber weit entfernt davon, gerettet zu sein. Die Richtung, die sie zu nehmen gezwungen worden, führte sie hinaus in den See. In den verlassenen Festungswerken wurde es lebendig, Lichter bewegten sich an den Öffnungen hin und her, ehe sie noch zehn Minuten weiter getrieben waren, auch am Strande, und ein Kanonenschuß donnerte über die Fläche des Wassers, Allarm rufend und die Schildwachen zur Aufmerksamkeit mahnend.

Mit allen Kräften griffen die beiden rüstigen Schwimmer aus, denn sie wußten, daß jede Minute Verlust war, und daß es um Tod und Leben gälte, so rasch als möglich über den Rayon der Festungsmauern hinaus zu gelangen, ehe sie auf dem Wasser verfolgt werden könnten, und den verborgenen Kahn zu erreichen.

Aber die Kleider, deren sie sich nicht hatten entledigen können,[145] zogen immer schwerer und schwerer und hinderten ihre Anstrengungen, und die Kräfte des Czernagorzen waren durch die Entbehrungen der Haft geschwächt. Rüstiger schwamm der junge Grieche, an der See geboren und Herr des Elements, und ermunterte den Freund zu neuen Anstrengungen.

Doch weit rechts noch lag das rettende Ufer und kaum noch war Zuflucht dort zu hoffen, denn in kurzen Zwischenpausen dröhnten die Allarmschüsse fort.

Gabriel war ermattet.

»Rette Dich selbst, Blutbruder, und grüße Stephana und die schwarzen Berge!«

Er sank; aber der Grieche war hinter ihm d'rein und hob ihn empor.

»Bei der gebenedeieten Mutter Gottes von Ostrog,« flehte er, »verliere den Muth nicht, Hilfe ist nahe – ich höre Stimmen!«

Und gleichsam als Antwort auf den Scheidegruß des tapfern Czernagorzen hallte sein Name durch die Nacht über die Wellen, und hinterdrein klang der Schlachtruf der Familie Martinowitsch, ihr heilig' Erbtheil seit der Mordnacht der Weihnachten von 1703: Sve Oslobod1!

»Hier Czernagora!« tönte der Gegenruf des Griechen, wie er sich aus den Wellen hob. Triumph! Rettung! Durch die Nacht strich ein weißes Segel daher – ein jubelnder Schrei klang vom dunklen Bord, – Arme streckten sich nach ihnen aus – das waren Freunde.

Am Steuer stand der alte Beg, Hassan und der Vetter arbeiteten wie rasend an den Rudern – Stephana's, Bogdan's Arme streckten sich den Schwimmenden entgegen.

»Muth!«

In der nächsten Minute hob Nicolas den erschöpften Freund über den Rand des Bootes in die Arme seines Weibes und warf sich selbst ihm nach.

»Wendet! Fort!«

Erschöpft lagen die Beiden auf dem Boden des rettenden Fahrzeuges, das unter dem kräftigen Druck des Alten sich von der Festung ab- und den Bergen zuwandte.[146]

Stephana's Angst und Ungeduld hatte die Hilfe gebracht, indem sie den alten Beg bewog, mit dem Boote während der Nacht sich den Festungswerken zu nähern, statt an der bestimmten Bucht des östlichen Ufers des Kahns mit den glücklich Entkommenen zu harren. Als der erste Allarmschuß über den See donnerte, wußte die Familie, daß die Flucht vollzogen, und der kühne Eifer trieb sie vorwärts, die eigene Gefahr verachtend.

So war die Hilfe im glücklichen Augenblick erschienen.

Die Czernagorzenfrau bedeckte den Gatten mit ihren Küssen. Im schwarzen Hochland sind die Weiber treu und voll aufopfernder Liebe. Obschon sie wegen ihrer wunderbaren Thatkraft von ihren Männern zu den schwersten Arbeiten gebraucht werden, erleidet ihre Stellung dadurch doch keine Erniedrigung, und die Frau ist in moralischer Hinsicht keinesweges bloß das Spielzeug des Mannes, wie dies nur zu oft in civilisirten Ländern der Fall ist. In Czernagora ist das Weib wahrhaft unverletzbar; Fleiß, Keuschheit und Muth sind die drei schönen Tugenden, die sie zieren. Darum vertraut sie sich auch ohne Bedenken selbst dem Fremden, in der Gewißheit, daß er sich keine Unziemlichkeit gegen sie erlauben werde. Wagte er es dennoch, ihre Schaamhaftigkeit zu verletzen, so würde der Tod des einen oder des anderen Theils die gewisse Folge davon sein. Ein czernagorzisches Mädchen liebt nur in der Aussicht auf Heirath, den treulosen Verführer aber trifft der Tod.

Diese heilig bewahrte Schaam und Sitte des Volkes wird das Furchtbare der nachfolgenden Scenen charakterisiren.

Über dem Wiedergewonnenen hinweg reichte Stephana dem Griechen die Hand und konnte nicht enden in lobpreisenden Dankesworten für seine That. Auch der alte Beg und die Andern bezeugten ihm Dank und Achtung für die bewiesene Aufopferung und Treue, und mehr als ein Mal drohte das Gefühl bitterer Schaam ihn zu überwältigen. Das war um so lastender der Fall, als der alte Glaware2 den Hergang der Flucht zu wissen verlangte, und Gabriel, der sich an der Brust des treuen Weibes erholt hatte, eilig das Wort ergriff, den Freund aus der Verlegenheit zu ziehen, und der Familie kurz erzählte, wie Nicolas ihm Feile und Strick gesandt hatte, wie er verhindert worden sei, mit dem Kahne zu seinem Beistande zu erscheinen, und nun mit ihm[147] zusammen schwimmend die Flucht versucht habe, daß diese aber durch einen Zufall zu früh entdeckt worden und ihre Verfolgung nach sich gezogen.

Die Berathung, wie dieser am besten zu entgehen, nahm jetzt Aller Aufmerksamkeit in Anspruch. Der alte Beg war der Ansicht, daß sie jeder Gefahr glücklich entgangen seien, da der Pascha von Scutari schwerlich um der Flucht eines einzelnen Gefangenen willen viel Aufhebens machen und außergewöhnliche Mittel zur Verfolgung in Bewegung setzen würde. Gabriel und Nicolas jedoch schauten einander bedenklich an und waren der Meinung, man dürfe keine Anstrengung versäumen, um so rasch als möglich die czernagorzischen Ufer zu gewinnen. Ohne den Namen der Wölfin von Skadar auszusprechen, wußte der Grieche doch seine Besorgniß auch Stephana mitzutheilen, und sie gewann um so mehr Begründung, als die Gesellschaft bald darauf von der Höhe des Thurmes, dessen Kerkern Jene so glücklich entronnen waren, ein mächtiges Feuerzeichen emporlodern sah, ein Signal, das sonst gewöhnlich nur bei den Kriegsüberfällen üblich war, um den verschiedenen Posten entlang der Seeufer die Anwesenheit des Feindes zu melden. In Zeit von einer halben Stunde stammten links nach Antivari hin und rechts gegen das Hochgebirge bereits mehrere ähnliche Feuer an den beiden Ufern und verkündeten die Aufmerksamkeit in den verschiedenen Kastells.

Der See von Skadar hat eine Länge von nahe an sieben Meilen bei einer wechselnden Breite von etwa zwei. Nur das nördliche und nordwestliche Ende, an dem sich die Moratscha und der Czernojewitsch in den See ergießen, wird von Czernagora selbst begränzt, und zwar im Norden von der Rietschka Nahia, im Nordwesten von der Czernitza Nahia. Die nördlich gelegenen Inseln gehören, wie bereits erwähnt, zwar zum Gebiet von Montenegro, sind aber nur zu Zeiten, namentlich während des Fischfanges, bewohnt. Man beschloß daher, die rechte Seite des Sees zu halten und die Ufer der Rietschka zu gewinnen, der heimischen Nahia des Alten, wo sein Ruf im Augenblick die Männer der zunächst wohnenden Plemen im Fall der Bedrohung herbeiführen konnte.

Nachdem man dies gethan, wurden die Wachen bestimmt, um stets mit erneueten Kräften an den Rudern arbeiten zu können. Der alte Beg erklärte, das Steuer nicht verlassen zu wollen, – seine eisernen Muskeln widerstanden jeder Anstrengung.[148]

Die erste der Wachen hielten der Grieche, Hassan Lekitsch der Arnaut und der Vetter, Iowan genannt. Die beiden Letzteren waren an den Rudern beschäftigt, der Erste hielt das Seil des Segels, das sich noch immer lustig im beginnenden Morgenwinde blähte. Es mochte jetzt zwei Uhr nach Mitternacht, oder die vierzehnte Stunde des Tages, wie man auch hier nach italienischer Sitte rechnet, sein, und über die Bergspitzen begann der erste Schein der Dämmerung zu brechen, während noch die tiefen Schatten der Nacht über dem See lagen.

Der Einäugige summte leise in jener unangenehmen monotonen Sangesweise der griechischen und orientalischen Stämme die Piesme vor sich hin, welche den Zug des Czernojewitsch Iwo zum Dogen des großen Venedigs und die Hochzeit des falschen Stanischa, des schönen Wojwoden von Dulcigno, Obrenowo Djuro, mit der Tochter der Inselstadt meldet, wie die Rache des echten Bräutigams und seine Flucht nach Schabljack.

Grivas dagegen träumte von der schrecklichen Scene, der er entronnen. Vor seinen geschlossenen Augen stand mit dem flammenden, verächtlichen, rachesprühenden Blick die Wölfin von Skadar. Dazwischen kehrte in seine Erinnerung das schwelgende Bild ihres Reizes zurück, und er beugte, im Innern vernichtet und von widerstreitenden Gefühlen zerrissen, das Haupt.

Die zweistündige Wache mochte zu Ende sein, – die Sonne war bereits aufgegangen und ihre Strahlen brachen durch die Schluchten der im Osten sich emporstreckenden Bergkämme, als Hassan den Hellenen aus seinem Hinbrüten weckte und ihm einen Wink gab, sich umzuschauen.

»Blicke mein griechischer Bruder nach der Seite, wo die Sonne sich in's Meer senkt, und sage mir, was er über den leichten Nebeln sieht, die dort noch das Ufer verhüllen. Der junge Falke der Maina hat scharfe Augen!«

Grivas schaute angestrengt nach der angedeuteten Stelle.

»Das ist sicherlich ein dunkler Rauch, welcher sich über die Nebel bewegt. Sollten wir so nah' einer der Inseln sein und dort Beistand finden?«

»Mein Bruder täuscht sich. Siehst Du nicht, daß der Rauch sich bewegt?«

»Was habt Ihr? Nach was späht Ihr aus?« unterbrach sie der Beg.[149]

»Birschik jok3! wir werden nur verfolgt,« entgegnete gleichmüthig der Arnaut. »Der Bey hat jenes höllische Schiff uns nachgesandt, das der Scheitan erfunden und das allein läuft, ohne Segel und Ruder.«

»Du meinst ein Dampfschiff?«

»Ne apalum, was kann ich thun? Der Bey hat von den Franken seit dem Kriege das Schiff machen lassen, und er hat Leute, die es führen.«

In der That war in dem letzten Kriege die Nothwendigkeit rascher Verkehrsemittel immer dringender an den Tag getreten, und die türkische Regierung hatte auf die Vorstellungen Omer Pascha's eines der kleinen eisernen Lustdampfboote, welche zwischen dem Bosporus und Constantinopel fahren, nach Dulcigno gesandt, wo es von französischen Maschinisten auseinander genommen und die Bojana aufwärts bis Scutari transportirt, dort aber wieder zusammengesetzt worden war. Den Czernagorzen war zwar die Beschaffenheit und Schnelle der Dampfschiffe nicht mehr unbekannt, da sie von der Höhe ihrer Berge fast täglich dieselben die schöne Adria durchziehen sehen können, doch war eben der türkische Dampfer auf dem nördlichen Theil des Sees noch zu wenig benutzt worden, um ihnen weitere Besorgniß einzuflößen, und der Grieche hatte bei der aufgeregten Stimmung seines Gemüths wenig oder gar nicht auf die Anwesenheit des Schiffes zwischen den Festungswerken von Scutari geachtet.

Jetzt wurde ihm jedoch die Gefahr, die sie bedrohte, im Augenblick klar und er setzte sie dem alten Krieger deutlich und rasch auseinander. Während Gabriel und Stephana, die Arm in Arm im Vordertheil des Bootes schliefen, und der junge Martinowitsch geweckt wurden, verzogen sich die letzten Nebel und man erblickte deutlich den Dampfer in Entfernung von kaum noch einer Meile in südwestlicher Richtung hinter den Flüchtenden, doch offenbar seinen Cours am westlichen Ufer entlang haltend.

Grivas und Gabriel begriffen sehr wohl, daß man bei der Entdeckung der Vorbereitungen zu ihrer Flucht auch überzeugt gewesen sein würde, selbst wenn man dasselbe später nicht bemerkt haben sollte, daß ein Fahrzeug der Flüchtigen in der Nähe harre, und daß ihre Flucht demnach zu Wasser fortgesetzt werde. Wäre[150] es den Beiden gelungen, in der beabsichtigten Weise um Mitternacht zu entkommen, so konnte die Flucht nicht vor dem nächsten Morgen bemerkt werden, und dann waren sie außer dem Bereich jeder Verfolgung.

Jetzt war es freilich anders. Die Richtung des Dampfers, der offenbar mit voller Kraft fuhr, zeigte die Absicht, die Flüchtigen, wenn sie sich nach der Czernitza Nahia gewandt haben sollten, vorher zu erreichen, oder im entgegengesetzten Fall sie von diesem näher belegenen Ufer Montenegros abzuschneiden und nach der andern Seite, dem türkischen Gebiet, zu drängen.

Offenbar konnte man in dieser Entfernung noch nicht das kleine Boot bemerkt haben und es galt, dies wo möglich zu verhindern. Eine kurze Berathung folgte, ob man das leicht verrathende Segel einziehen und sich nur auf die Kraft der Ruder verlassen, oder den noch immer günstigen Morgenwind benutzen sollte. Beides war gefährlich, denn kaum die Hälfte des Weges war zurückgelegt. Der Beg entschied sich für die weitere Benutzung des Segels, da ohnehin die erste der zu Montenegro gehörenden Inseln, Stavena, bereits vor ihnen lag und man hoffen durfte, an ihrer Wetterseite der Beobachtung des Feindes zu entgehen. Alle halfen an den Rudern und bald schoß das Boot unter den Felsenufern der Insel dahin.

Der Beg wandte das Steuer noch mehr nach Osten und so gelang es ihnen, anscheinend unbemerkt nach weitern zwei Stunden des Ruderns, während dessen der Morgenwind erstorben war und man das Segel eingezogen hatte, die zweite der Inseln, Sanct Nicolaus, anscheinend unbemerkt zu erreichen. Das Dampfschiff war unterdeß weit heraufgekommen und hatte den Fahrstrich des Bootes bereits überholt, hielt sich aber immer noch am jenseitigen Ufer. Hier unfern der nördlichen Spitze der Insel, in einer kleinen ziemlich geschützten Felsbucht beschloß der Beg, Halt zu machen und den Tag zu verbringen; denn da sich über die Insel hinaus der See bedeutend verengt, wäre es fast nicht möglich gewesen, der Aufmerksamkeit der Verfolger ferner zu entgehen, während wenn diese, wie zu erwarten stand, ihren Weg fortsetzten, die Flüchtlinge ganz ungestört hier sich verborgen halten und das schützende Dunkel der Nacht abwarten konnten.

Das Boot lag gesichert in der Felsenbucht, in seinem Innern ruhten die Männer von der Anstrengung des Morgens und der[151] sich steigernden Hitze des Tages. So vergingen mehrere Stunden, ohne daß sie belästigt wurden. Bogdan, zuerst als Späher auf eine der Felsspitzen geschickt, hatte berichtet, daß das Dampfboot hinter der letzten der Felseninseln, Morakowitsch, verschwunden sei. Das hohe Ufer verhinderte ihn, zu bemerken, daß der Dampfer, nachdem er einer Barke begegnet war, von der er die Kunde erhielt, daß kein Boot aus dieser Seite des Sees entkommen sein konnte, an der letzten Insel hielt und Bewaffnete aussetzte, um dieselbe nach den Flüchtlingen zu untersuchen.

Gabriel hatte jetzt die Wache und war an's Ufer gestiegen; die Gesellschaft saß nach ihrem einfachen Mahl, aus der trocknen Castradina und Maiskuchen bestehend, noch immer im Kahn, um jeden Augenblick bereit zu sein. Nur der alte Beg hatte seltsamer Weise den Antheil an der Speise von sich gewiesen, er saß still in sich gekehrt, mit starrem Blick, gleich als habe er ein zweites Gesicht, und summte wieder leise die Piesmen seines Stammes vor sich hin, deren so manche die Thaten seiner eignen Jugend feierten. Plötzlich fuhren Alle empor bei dem nahen Knall eines Schusses. Wenige Angenblicke darauf stürzte in kühnen Sprüngen von Fels zu Fels Gabriel bleich und blutend zur Bucht, noch ehe seine Stimme sie erreichen konnte, zur Flucht winkend. Im Nu war Alles in Bewegung, das Boot abgestoßen und dem Eingang zugetrieben. Hier, wo die Ufer zusammentraten, sprang Gabriel in das Fahrzeug.

»Fort, fort, um aller Märtyrer willen, die Ungläubigen sind uns auf der Spur! Sie sind zurückgekehrt und durchsuchen die Insel; ein Trupp hat mich entdeckt, als ich nach dem Schiff spähte.«

Mit erneuter Kraft warfen sich Alle auf die Ruder, auch Gabriel, dem die Kugel nur leicht die linke Hüfte gestreift hatte. Das Boot flog in das freie Gewässer, aber ein wildes Jauchzen, der Knall vieler Gewehre verkündeten ihnen, daß sie auch bereits entdeckt worden.

Während der rasenden Arbeit sich umschauend, erblickte Grivas auf der Höhe der Felsen die Verfolger, drohend die Gewehre durch die Luft schwingend, deren Kugeln die Flüchtlinge nicht mehr erreichen konnten; unter den Gestalten der Männer den wehenden Feredschi einer Frau. Ihr ausgestreckter Arm deutete nach der Küste, ihre Befehle jagten die Arnauten nach allen Seiten.

[152] Fatinitza, die Wölfin von Skadar, Fatinitza die Rächerin, war auf ihrer Spur!

Die Lage der Verfolgten war noch immer keine so verzweifelte, als es im ersten Augenblick geschienen hatte. Durch den Zeitverlust, den ihre Gegner nothwendig beim Wiedereinschiffen auf den Dampfer und das Herumbringen desselben um die Ausbuchtungen der Insel erleiden mußten, war ihnen ein bedeutender Vorsprung gesichert. Überdies ist dieser Theil des Sees wegen der vielen aus dem Grunde sich erhebenden Felsen und Klippen schwieriger für größere Schiffe zu befahren. So gelang es den Verfolgten denn wirklich, die Ostseite der dritten Insel zu erreichen, während die Türken, denen die Schwierigkeiten des Fahrwassers gleichfalls bekannt waren, an der Westseite des langgestreckten Eilands hinfuhren, um an dessen Spitze im freien Wasser den Czernagorzen den Weg zu verlegen.

Über die Felsen der Insel hin konnten die Verfolgten die Rauchsäule des Schiffes bereits in gleicher Linie mit ihrem Boot streichen sehen, als der alte Glaware das Steuer wandte und quer über den Seearm nach einem Vorgebirge des östlichen Ufers abhielt. Auf seinen Wink strengten Alle ihre Kräfte an den Rudern auf's Neue an und das Boot flog über die Wellen. Die Entfernung der Insel vom Ufer betrug hier eine starke halbe Meile. Während das Dampfboot etwa in gleicher Entfernung um die Nordspitze der Insel bog und die weitere Flucht nach der noch anderthalb Meilen entfernten Mündung des Czernojewitsch – dem sichernden Ufer der Rietschka Nahia – versperrte, war das Boot der Czernagorzen bereits auf Büchsenschußweite am Ufer und näherte sich einer Einbuchtung, als aus dem Gestein des Ufers plötzlich leichte Rauchwolken emporkräuselten und Schüsse ihnen entgegenblitzten. Zwischen den Felsen zeigten sich die weißen Pferde der Albanesen, Posten erschienen auf den Vorsprüngen.

»Das Segel auf!« befahl der Beg, dessen eines Auge in dieser von Minute zu Minute sich mehrenden Gefahr wieder kühn und fest umherblitzte. »Gelingt es uns, das Vorgebirge zu umfahren, ehe jenes dem Teufel verschriebene Schiff heran kommt, so gewinnen wir das Ufer. Diese Kinder des schwarzen Hundes sollen die freien Söhne der Berge nicht fangen, denn um auf jene Seite des Vorsprungs zu gelangen, brauchen sie Zeit.«[153]

Die Moslems auf dem Dampfschiffe begriffen zwar das Manöver der Flüchtlinge, doch war es ihnen nicht möglich, vor diesen das Vorgebirge zu erreichen, und nach einer rasenden Anstrengung von etwa zehn Minuten schoß das Boot gesichert zwischen den Klippen der nördlichen Seite hin, um sich eine bequeme Landungsstelle zu suchen, während ohne Resultat mehrere Karonadenschüsse vom Bord des Dampfers nach ihnen abgefeuert wurden.

Als das Boot das Ufer berührte, das noch von keiner Wache des Feindes besetzt war, sprangen Alle eilig heraus, das Fahrzeug seinem Schicksale überlassend und eilten nun, ihre Waffen mit sich nehmend, in die Schluchten der Zenta.

Jowan, dem diese Gegend von früheren Fischerfahrten bekannt war, machte hier den Führer. Sie waren ungefähr eine Viertelmeile diesseits der kleinen Feste Zabljak gelandet, die in den Kriegen zwischen Montenegro und den Türken von Alters her eine so bedeutende Rolle gespielt und auch zu Anfang des letzten Krieges von den Czernagorzen wieder genommen und beim Abzug am 25. December zerstört worden war.

Seit dem geschlossenen Frieden hatte man zwar versucht, die Befestigungswerke wieder herzustellen, doch war dies erst zum geringen Theil gelungen und nur ein kleiner Posten hielt sie besetzt, so daß man hoffen durfte, ohne Gefährdung sie zu umgehen, wenn nicht vorher schon der Befehl zu ihrer Verfolgung dort eingetroffen. Von der nächsten Höhe, die sie gewonnen, sahen sie jedoch, daß das Dampfschiff jetzt seinen Lauf nach der halbzerstörten Feste genommen und sie beinahe erreicht hatte. Es galt demnach, sich tiefer in das Gebirge zu werfen, um auf dem Umweg das von Zabljak noch eine starke Meile entfernte Gebiet von Montenegro nach Überschreitung der Ziewna zu gewinnen.

Es war bereits hoch am Nachmittag, als sie hier die Fortsetzung ihrer Flucht begannen und in die Berge östlich von Zabljak drangen, so viel als möglich die Richtung nach Norden beibehaltend, um sich ihrem Ziel zu nähern. Aber ihre Vorsicht und ihr Muth waren vergeblich, denn die Furie, die auf ihren Fersen war, verstand zu wohl ihren Vortheil, um ihnen Zeit und Raum zum Durchbruch zu gönnen, und fand in einer vor wenigen Tagen von Podgoritza her in die kleine Feste eingerückten Reiterabtheilung neue Hilfe. Der Offizier ihres Vaters, welcher mit einem Haufen wilder Albanesen sie auf dem Dampfer begleitet hatte, war ihrem[154] Willen blindlings gehorsam, und ehe eine Viertelstunde nach der Landung vergangen war, flogen ihre Boten bereits nach den Reiterposten, welche durch die schnellen Sendboten des Paschas von Skadar her entlang der ganzen Küste des Sees noch während der Nacht und des Morgens zum Fange der Flüchtigen aufgeboten worden waren, und deren nächster jenseits des Vorgebirges bereits die Czernagorzen an der Landung verhindert hatte. Zugleich brach ein starker Hause aus der Feste auf, um das Ufer der Ziewna und Moratscha zu besetzen und so den Füchtigen den Weg abzuschneiden.

Die Folgen zeigten sich bald. Als der kleine Trupp der Czernagorzen gegen Abend, von dem Beg geführt, aus den Bergen brach, um den ersten Fluß zu überschreiten, wurden sie vom Ufer her mit Flintenschüssen empfangen, und selbst die tollkühne Tapferkeit des greisen Führers mußte die Übermacht der Gegner anerkennen und ihr weichen. Unter einer alten Steineiche sammelten sich die Sieben und hielten Berathung, während immer drohender das Netz der Verfolger sich um sie zusammenzog.

»Die Stunde ist gekommen,« sprach feierlich der alte Glaware, »da wir Bog, dem großen Würger, gehorchen müssen. Wir wollen kämpfen und sterben, wie unsere Väter gethan. Das Haus Iwo's wird untergehen in diesen Bergen.«

»Du redest weise und recht, Vater,« sagte Gabriel, »aber bedenke, ob es nicht möglich ist, uns hier auf irgend einem festen Punkt zu halten, bis uns Hilfe käme von unsern Stammverwandten. Der erste Flintenschuß eines Moslems weckt hundert Mal das Echo an den schwarzen Felsen von Czernagora.«

Der Alte schwieg brütend.

»Weiter hinauf im Gebirg,« sprach Jowan, »steht die Kula, die früher einem Gliede der Gradjani gehörte, das in's Niederland gezogen war. Wenn wir sie erreichen, können wir einem Angriff widerstehen. Nur den Boten gilt es zu unseren Brüdern zu finden.«

Der Greis blickte ihn finster an. »Willst Du den Glawaren der Martinowitsch lehren, was er auf diesem Felde zu thun hat, das sein Fuß hundert Mal im Kampfe durchmessen, ehe Du den eigenen Namen lallen konntest? Was geschehen soll ist beschlossen. Höret!«

Alle drängten sich um ihn.

Der Einäugige nahm den schrecklichen Mumienkopf von seinem[155] Halse und betrachtete ihn. »Namik Halil, mein Todfeind, ich sende Dich jetzt, um das Blut derer zu retten, die Du im Leben gehaßt und verfolgt hast, denn unversöhnlich ist die Rache der Martinowitsch. – Gabriel, mein Sohn durch den Leib meiner Tochter, nimm Abschied von Deinem Weibe, denn sie und das Kind« – er deutete auf Bogdan – »werden den Gang wagen, um die Krieger der Rietschka zu wecken mit der Botschaft ihres alten Führers.«

»Vater!« baten Stephana und der Jüngling erschrocken.

»Still! die Kinder der schwarzen Berge wissen zu gehorchen, wenn der Glaware ihres Hauses spricht. Ihr Beide werdet Euch hier unter dem Felsen verbergen, bis der Schatten der Nacht hereinbricht. Dann werden die Feinde fern sein auf unserer Spur und Ihr könnt ungehindert davon schleichen. Du, Bogdan, eilst zu den Kula's der Lubotini und Kozieri und rufst sie zu den Waffen; Du, Stephana, bringst dies Haupt zu den Wohnungen unserer Brüder, der Gradjanen4, an den Ufern der Czernojewitsch und sagst ihnen, Iwo Martinowitsch sende es zum Zeichen, daß er des Knalls ihrer Flinten benöthigt sei in der Stunde der Gefahr. Die Frauen wandern frei durch diese Berge, selbst der Moslem ehrt ihr Recht, und die Gefahr ist gering für Dich. Wäre es auch anders – Du bist aus dem Blut meines Stammes. Sagt den Männern der schwarzen Berge, in der verlassenen Kula des Popowitsch Gradjani würden sie uns finden, mit unserm schnellen Blei die Ungläubigen zu Boden streckend. Wenn Ihr Euch eilt, kann die Hilfe zur Stelle sein, ehe die Sonne ihren Strahl über die Berge der Zenta auf die grünen Wellen des Sees wirft. Ich habe gesprochen! Die Wila's mögen Euch und uns gnädig sein!«

Alle wußten, daß gegen die Entscheidung des Beg keine Einrede galt. Auch war der Auftrag, der den Beiden geworden und bei dem vielleicht dessen selbst unbewußt der Glaware von dem geheimen Wunsch mit geleitet sein mochte, sein Blut und seinen Namen zu erhalten, offenbar weniger gefährlich, als die Aufgabe,[156] die den Männern blieb. Stephana, das grausenvolle Sendzeichen des Vaters in ihre Schürze bergend, und der junge Bogdan knieeten vor dem Familienhaupt nieder, seine Hand küssend; der Greis machte in jener eigenthümlichen Weise der griechischen Völker mit seinem linken Daumen segnend das Zeichen des Kreuzes über sie und entfernte sich rasch. Stephana warf sich an die Brust des nur eben wieder gewonnenen Gatten und schien sich kaum von ihm losreißen zu können. Aber die drängende Gefahr gewährte hier keine Zeit und die Czernagorzenfrau wußte deren Werth zu schätzen. Noch im Arm ihres Mannes reichte sie dem Griechen die Hand und bat ihn, den Geliebten nicht zu verlassen. Dann verschwand sie rasch mit dem Bruder in eine ginsterbedeckte Felsenspalte, während die Männer dem Beg nacheilten.

Schweigend setzten diese einige Zeit ihren Weg fort, absichtlich an einer geeigneten Stelle sich einem im Thale unten bemerkten Posten der Verfolger zeigend, was von diesem mit einigen nutzlosen Schüssen beantwortet wurde. Nach einer weiteren halben Stunde gelangten sie aus eine sich in leichter Abdachung nach Süden senkende Vergebene, zum Theil mit Gebüsch und wilden Kastanienbäumen besetzt, auf der, an eine schützende hohe Felswand gelehnt, die halbzerstörte Kula stand, die sie zu ihrem Zufluchtsort erwählt hatten. Dieselbe war ein viereckiges thurmartiges Gemäuer von Kalksteinen, in der Hauptmauer noch wohl erhalten und nur das obere Stockwerk mit dem Gebälk eingestürzt. Kein Feind war zu sehen, und rasch nahmen sie von der Ruine Besitz, häuften Schutt und Balken vor den Zugang und machten die schmalen Fensteröffnungen in den dicken Mauern für die Vertheidigung frei. Der Platz bot für kühne und standhafte Männer einen nicht üblen Zufluchtsort, und Alle empfanden dies, als sie nach rasch vollendeter Arbeit sich um den Häuptling am Boden lagerten und nochmals ihre Waffen untersuchten, während Jowan an einer der Schießscharten scharfen Auges Wache hielt über die Umgebung.

Die Sonne begann bereits hinter den jenseitigen Bergspitzen zu verschwinden, als der Czernagorze das Zeichen gab, daß die Feinde nahten. Im Augenblick waren alle Fünf auf ihrem Posten, alle mit den langen Flinten des Hochlands bewaffnet, da Bogdan die seine, als am raschen Lauf ihn hindernd, an Gabriel gegeben hatte. Ein ziemlich starker Trupp berittener Arnauten sprengte[157] die Bergebene herauf und machte etwa zwei Büchsenschüsse von dem Gemäuer Halt. Offenbar glaubten die Türken, daß sie auf der Spur ihrer Gegner seien, denn sie prüften sorgfältig die ganze Fläche, jedes Gesträuch, jedes Felsenversteck durchspähend und bald nahte ein kleiner Haufe den Ruinen der Kula, mißtrauisch die Verrammelung des Zugangs betrachtend, die Waffen zum augenblicklichen Gebrauch in Händen.

Der greise Beg ließ sie bis auf etwa sechszig Schritt herankommen, dann stieß er mit seiner donnernden Stimme den gefürchteten Schlachtruf seiner Familie aus und gab Feuer. Gabriel, Grivas, Jowan und auch der Arnaut Hassan folgten seinem Beispiele, und drei der Reiter stürzten von den Pferden, während die Andern erschrocken Kehrt machten und davon sprengten, der Eine gleichfalls verwundet im Sattel schwankend. In wenigen Augenblicken waren unter dem tobenden Allahruf die Türken außerhalb der Schußweite unter den Kastanienbäumen versammelt, die Pferde wurden gekuppelt und angebunden, während zwei der Reiter mit der Kunde davon jagten, daß die Flüchtigen gefunden seien, und der Führer der Schaar vertheilte seine Leute über die Fläche, von allen Seiten das Gebäude im weiten Halbkreise umgebend.

Während die kurze Dämmerung, die im Süden Tag und Nacht scheidet, hereinbrach, begann das Gefecht, und die Schüsse der Plänkler knatterten munter gegen die Öffnungen des Gemäuers, aus dem hin und wieder ein Schuß aus den langen Flinten der Czernagorzen antwortete, wenn Einer oder der Andere der Moslems unvorsichtig sich zu weit vorwagte. Der Schein des Vollmonds, der den ersten Theil der Nacht erhellte, zeigte klar alle Gegenstände rings umher. Plötzlich übertönte ein wilder Jubelruf der zurückgebliebenen Türken das einzelne Knallen der Flinten. An der Spitze eines zweiten Trupps heran jagte eine Frau im weiten, weiß durch die Nachtluft flatternden Mantel, den Schleier um das Haupt gewunden, die Büchse in der Hand, im Gürtel Pistolen und Handjar, – vor dem weißen Araber her in mächtigen Sprüngen mit gesträubtem Haar der Wolf, ihr Begleiter.

Um das Pferd der kühnen Reiterin sammelte sich die Schaar, Befehle flogen von ihren Lippen nach rechts und links, in drei Haufen theilte sich der wohl an fünfzig Mann starke Trupp, und langsam, lautlos rückten sie jetzt von drei Seiten gegen den Thurm.[158]

»Bei Allah!« sagte Hassan zu den Kampfgefährten, »wir werden einen schweren Stand haben. Kennt Ihr den Teufel in Weibergestalt, der sie zum Angriff führt? Es ist Fatinitza, die Wölfin von Skadar, von der das Volk erzählt, daß sie das Blut ihrer Feinde trinkt. Es ist unser Kismet5, hier zu sterben.«

Der alte Beg grinste in teuflischem Hohnlachen.

»Ist es die Wölfin von Skadar, so will ich sie fällen, wie das Thier, dessen Namen sie führt!«

Die Flinte lag an seiner Wange, der Finger berührte den Drücker, doch vergebens schnappte der Hahn auf die Pfanne, das Gewehr versagte, – zum ersten Male seit langen Jahren.

Der Greis setzte es erstaunt und abergläubisch zu Boden.

»Bei Bog, dem großen Würger, – sie ist gefeht.«

»Ich sagte es Euch vorher, Beg Iwo! Sie hat den bösen Blick und keine Menschenhand kann sie verletzen. – Aber zur Wehr, Männer; die Krieger des Halbmonds sind über Euch und Allah will es, daß ich gegen die eigenen Brüder fechten soll.«

Der Moslem erfüllte wacker die Pflicht des Gastfreundes. Seine Flinte war die erste, die knallte und einen seiner früheren Kameraden zu Boden streckte. Der Einäugige, Nicolas, Gabriel und Jowan empfingen die auf ein Zeichen der schönen Megäre gegen den Bau Heranstürzenden mit einer Salve. Jede Kugel fand ihren Mann, aber über die Leiber der Fallenden sprangen mit wildem Geschrei die Albanesen vorwärts und das Handgemenge begann an jeder Öffnung der Mauer. Pistolenschüsse, die Hiebe der Yatagans und der Säbel klangen hin und her; an den engen Öffnungen der Fenster mit leichter Mühe von Jowan und dem Lekitsch – Khan zurückgeschlagen, drängte sich der Hauptangriff zur weitklaffenden Öffnung der ehemaligen Thür. Über die Balken, Steine und Brandtrümmer versuchten die blutigen Arnauten in's Innere zu dringen, in ihrer Mitte, Allen voran, keine Gefahr scheuend, Fatinitza, während das Geheul des Wolfes grimmig durch das Toben des Gemenges scholl.

»Sve Oslobod!« klang der Kampfruf des Alten, dessen gewichtige Hiebe, wo sie niederfielen, Tod und Verderben brachten, da – als seine Faust mit der schweren Waffe wieder erhoben, warf sich das Mädchen ihm entgegen, ihr dämonisches Auge traf[159] das seine und ihr Handjarhieb seine Stirn, daß er blutig zurücktaumelte.

»Maschallah! Der Sieg ist unser!«

Aber eine Hand erfaßte ihren Arm, als sie hereinspringen wollte in den vertheidigten Raum – eine zweite umschlang ihren Leib, Auge blitzte in Auge, der funkelnde Blick des Weibes und das finstre Auge des Mannes, mit dem sie ihr Lager getheilt, – und weit hin mit gewaltigem Stoß schleuderte er über die Trümmer hinweg die Geliebte, daß ihr Körper den Boden maß und heulend der Wolf sich auf die Gefallene stürzte.

Die rasche That des Griechen entschied den Sieg; die Arnauten ließen bestürzt ab von dem Sturm und eilten zu der Gebieterin, die sie forttrugen; die Schüsse der Czernagorzen, die Luft und Zeit gewannen, jagten die Letzten davon.

Eine Pause schien auf den blutigen Kampf zu folgen. Alle Vertheidiger des Thurms mit Ausnahme des Moslem waren verwundet und verbanden jetzt die leichten Verletzungen, so gut es gehen wollte, sich der auf den Charakter und die Sitte ihrer Gegner gegründeten Hoffnung hingebend, daß das Mißlingen des ersten Anlaufs ihnen für lange Zeit Ruhe schaffen würde, in der die Hilfe erscheinen konnte. Auch drüben unter dem über Schußweite entfernten Haufen der Verfolger war es still, man sah nur, wie sie Holz an verschiedenen Stellen zusammenschleppten, um Feuer ringsum anzuzünden, damit bei dem frühen Untergang des Mondes im Schatten der Nacht ihre Beute nicht entweichen, oder im blutigen Überfall ihnen unbemerkt nahen könne.

Nur das Stöhnen, die Seufzer der Verwundeten, die zu schwer verletzt worden, um sich von der blutigen Stätte des Kampfes fortschleppen zu können, unterbrach die Stille um die Ruinen.

Der alte Beg, die treue Flinte zwischen den Beinen, saß auf einem Stein; das Mondlicht, durch eine der Öffnungen hereinbrechend, überglänzte das narbenbedeckte wilde Antlitz. Der Hieb Fatinitza's war durch den dicken Bund des Turbans gebrochen worden und hatte nur schräg seine Stirn getroffen, von der unter der umgelegten Binde dicke Blutstropfen hervorquollen und das Gesicht durchfurchten, ohne daß er sich die Mühe gab, sie zu trocknen. Sein eines Auge, von dem überstandenen Kampfe entflammt, blitzte feurig umher.

»Bei den Gebeinen der heiligen Märtyrer von Ostrog, wir[160] haben diese Hunde zurückgejagt, wie unsre Väter am Berge Perjnick6 den stolzen Seraskier jagten drei Sonnen lang. Die Wila's würden uns sicher zum Sieg verhelfen, wenn der böse Geist nicht das Weib unter sie geführt hätte mit dem schlimmen Blick. Mir ahnet Böses, Khan Hassan Lekitsch!«

»Ich spucke auf diese Weiber!« sagte der Moslem verächtlich. »Möge daß Grab ihrer Mütter besudelt werden, sie haben einem Manne noch nie Gutes gebracht. Es ist unser Schicksal, Beg.«

»Du irrst, Khan,« meinte der Glaware, »nur die Frauen mit dem bösen Blick bringen Unheil, die guten haben uns die Wila's zum Segen gegeben und wir ehren die Mutter unserer Kinder. Die Ungläubigen freilich geben ihnen nur halbe Seelen. Reiche mir das große Horn, Zagartschane, das meine ist leer und die Waffen müssen bereit sein.«

»Was meinst Du, Vater?«

»Das Horn, das große Horn mit dem Pulver, das Bogdan Dir gegeben hat, der es trug,« sagte der Alte ungeduldig.

»Um Gott, – Bogdan hat mir Nichts gegeben, – ich habe das Horn nicht!«

Der Greis sprang empor. – »Das Horn! das Horn!« rief er wild. »Unser Leben hängt von dem Pulver ab!«

Alle suchten ängstlich umher und befragten sich gegenseitig – das Stierhorn mit dem Pulvervorrath des Alten fehlte, – Bogdan, der es getragen, hatte in der Eile der Trennung vergessen, es mit der Flinte an Gabriel zu geben. Die Männer, die noch vor wenigen Minuten dem wilden Feinde kühn in das Weiße des Auges geschaut, sahen sich erbleichend an – es ist etwas Furchtbares selbst für den Tapfersten, in der Stunde der Gefahr sich der Waffe beraubt zu sehen.

»Wie viel Pulver haben wir noch?«

Man sah nach – zwei der Flinten, die Gabriel's und Jowan's, waren noch geladen, auch ein Pistol enthielt noch den Schuß – die Pulverflaschen des Griechen und des Moslems waren leer.

Der Beg stützte finster das Haupt in die Hand.[161]

»Mein eigen Blut ist mein Verderben, – der greise Adler der schwarzen Berge hat die Krallen verloren, er ist ein Kind in der Hand seiner Feinde!«

Und wie antwortend hoch über ihnen klang ein Rabenschrei durch die Luft und das Echo des Felsens trug ihn nieder.

Der Beg und Gabriel richteten sich empor, ihre Augen schienen das Dunkel durchbohren zu wollen, die Nerven ihres Gehörs gespannt, wie sie, dem Wilde gleich, das den Jäger wittert, durch die Nacht lauschten.

Und wieder – aber leiser und näher klang der Schrei des Raben.

Gabriel warf sich an die Brust des Freundes, der alte Primore7 schwang jubelnd die Flinte um das Haupt.

»Stephana! das ist Stephana – das treue Weib! – Sie haben unsere Noth errathen, sie bringt uns das Pulver!«

Da krachte in der Nähe ein Schuß – wildes Geschrei auf allen Seiten – über die Berghalde flog eine weiße Gestalt in rasendem Lauf nach den Schatten des Thurmes zu – an dem Eingange harrten die Freunde und rissen mit blutenden Fingern Balken und Steine zur Seite.

»Stephana!«

»Gabriel!«

Aber aus den Schatten rings umher, gleich Gespenstern, tauchten die dunklen Gestalten der Albanesen auf allen Seiten empor, zwischen ihr und den rettenden Mauern, – ein wilder verzweifelter Schrei, und in den rohen Armen der Männer wand sich die treue Czernagorzenfrau.

»Hinaus! Rettet mein Weib!«

Über die eigene Verschanzung empor klimmten die Verfolgten. Ihnen entgegen donnerte eine Salve der Türken – weit aus breitete der wackere Hassan Lekitsch die Arme und drehte sich rund um sich selbst, ehe er zu Boden stürzte.

»Kismet! – Lebt wohl Ihr Brüder – die Houri's des Paradieses winken mir!« – so starb er.

Der Beg riß Gabriel und den Griechen zurück.

»Ein Weib für fünf Männer – und ob es der eigene Saamen ist, das Hochland bedarf seiner Krieger!«[162]

Er warf sich vor die Öffnung, die Anderen zurückwehrend. Gabriel verhüllte das Gesicht, vor Schmerz wild aufstöhnend. –

Stephana, das treue Weib, das den Freunden das zurückgelassene Pulver bringen wollte und das Dunkel des untergehenden Mondes abgelauert hatte, wurde auf den Armen der Moslems zurückgeschleppt zu den Füßen der Wölfin von Skadar. In ihrem Gewande fand man das Pulverhorn, das sie in die Hände der Feinde geliefert.

»Wer bist Du, Weib?«

»Stephana Zagartschana, des Mannes Frau, den Ihr schmählich gefesselt hieltet in Skadar.«

»So bist Du das Weib des Flüchtigen, der meinem Vater entronnen?«

»Du sagst es, blutige Bula8. Der Mund einer Czernagorzenfrau redet nimmer Lüge.«

»Und Dein Mann befindet sich in jenem Thurme mit dem Schändlichen, dessen Verrath ihn befreit hat?«

»Geh' hin und frage selbst.«

»Spiele nicht mit der Wölfin von Skadar, Weib, denn wisse. Dein Schicksal ist ein schlimmes und Dein Blut wird büßen für das, was Jene gethan. Keiner darf athmen, der sagen mag, er hätte Fatinitza's Schmach gesehen. Was wolltest Du bei den Verlorenen?«

»Die Tochter des Iwo Martinowitsch, des großen Beg der Rietschka, fürchtet den Tod nicht. Sie gehört zum Gatten und Vater in der Stunde der Gefahr.«

Ein wilder Jubelruf brach im Kreise der Arnauten aus, als sie hörten, daß der berühmte Krieger des Hochlands in ihrer Gewalt sei. Trotz der furchtbaren Lage, in der sie sich befand, schwellte Stolz die Brust der edlen Czernagorzenfrau, als sie diese Anerkennung für den Ruf ihres Vaters vernahm.

Einer der Albanesen zeigte das Pulverhorn, das man bei der Gefangenen gefunden.

»Bei dem Propheten, Herrin, ich glaube, daß diese Tochter eines Hundes den Männern dies Pulver bringen wollte, woran es den unreinen Thieren von jeher gefehlt hat. Allah bilir, Gott allein weiß es.«[163]

»Geht und schaut in die Mündung der Flinten meiner Tapfern, sie werden Euch Antwort geben,« entgegnete die Czernagorzin kühn. »Aber eilt Euch, denn die Söhne der schwarzen Berge nahen, um ihren großen Beg zu suchen und hörten seinen Ruf nach den Kriegern.«

Die finstre Falte zwischen den Brauen des Türkenmädchens zog sich dunkler und drohender. »Dann ist es Zeit, daß Dein Schicksal erfüllt werde. Bindet das Weib!«

Mehrere der Arnauten warfen sich auf die Unglückliche und schnürten ihre Arme zusammen.

»Mein Pferd!«

Der Schimmel stampfte unter ihrem Druck. Am Sattel sprang lechzend der Wolf in die Höhe.

»Zu den Waffen, Tapfere von Skadar! Nehmt die Brände, daß sie leuchten zu dem Fest, das wir Jenen bereiten wollen, auf daß man erzählen möge von Fatinitza's Rache, so lange die schwarzen Berge stehen. Bringt das Weib.«

Fatinitza voran nahte sich der Zug der Kula, aus der vier Männer ihm bleich und finster entgegenstarrten.

Etwa sechszig bis siebenzig Schritt von dem Thurm entfernt stand ein junger, weitästiger Kastanienbaum. Vor ihm befahl die Türkin die mitgebrachten Brände zusammen zu werfen, daß die Flammen hoch aufloderten und einen weiten Lichtschein umherwarfen, in welchem den Männern im Thurm keine Einzelnheit der furchtbaren Scene entgehen konnte.

»Schnürt sie an den Baum, das Antlitz den Rebellen zu!«

Der Befehl ward vollzogen.

»Reißt ihr die Kleider ab, – geschändet soll sie vor Euch stehen! – Wie ich es vor Jenem stand!« setzte die zuckende Lippe leise hinzu.

»Barmherzigkeit, Du bist ein Weib!« Es war die einzige Bitte, die dem Munde der unglücklichen Frau sich entwand. – Barmherzigkeit? – Bei dem Löwen der Wüste, bei dem Tiger der Dschungeln suche Barmherzigkeit, nicht bei den Männern Albaniens.

Gleich Bestien warfen sie sich auf die Czernagorzin und rissen und schnitten die Gewänder herunter, daß der keusche Leib unverhüllt vor den rohen höhnenden Blicken der Männer stand. Die Wölfin von Skadar trieb das Pferd bis dicht zu der entehrten[164] unglücklichen Frau und schaute mit finsterem Blick auf sie nieder. Dann streckte sie drohend die Hand nach der Kula.

Da blitzte und krachte ein Schuß aus dem dunklen Gemäuer.

– – –

In der Kula standen die Männer starren Auges, den Blick unverwandt auf den herankommenden Zug gerichtet, die Faust um die treue Flinte geklammert, als wollten die Finger sich in das Eisen krampfen. Nur das tiefe Stöhnen des unglücklichen Gatten unterbrach die unheimliche Stille.

»Das Pulver! das Pulver!« murmelte der Greis vor sich hin.

Man sah Stephana an den Baum schnüren; die Flamme zu ihren Füßen ließ deutlich jeden ihrer Züge erkennen, fast den Strahl ihres Auges, wie er Hilfe suchte bei den nahen Freunden.

Jetzt warfen die Arnauten sich auf ihr Opfer.

»Sie morden sie – hinaus, ihr zu Hilfe!« raste der Zagartschane, doch nochmals riß die Hand des Greises ihn zurück.

»Noch nicht – sie schänden nur das Blut der Martinowitsch.« Seine Stimme war hohl, fast klanglos.

Gabriel taumelte.

»Verdammniß über den Teufel in Weibergestalt! Fahre zur Hölle!«

Seine Flinte lag an der Wange, der Schuß knallte, – doch noch schneller als sein Finger am Drücker war die Hand des Griechen, die den Lauf in die Höhe schlug.

»Halt ein! Du tödtest sie

Die Kugel schrillte hoch durch die Luft.

War es Stephana, war es Fatinitza, die Nicolas Grivas mit den Worten und der That meinte – nur Gott weiß es.

»Fluch Dir und ihr Blut über Dich! Zerrissen sei das Band des unseren!«

Gabriel warf die Flinte zu Boden und wandte sich mit einer erhabenen Geberde der Verachtung von dem bisherigen Freunde. –

Nur ein Schuß noch blieb in der Hand der Verfolgten. Der alte Beg streckte die Rechte nach der Flinte aus, die Jowan hielt:

»Gieb!«

– – –

Die Arnauten waren auseinander gestoben bei dem Schuß der waffenlos Geglaubten. Nur Fatinitza hielt mit eherner Ruhe.[165]

»Seit wann haben die Tapferen von Skadar Furcht vor dem Blei der schwarzen Hunde? – Hierher, Abdallah!«

Der Mohr, den sie gerufen, nahte dem Pferde. Er empfing ihre Befehle und fletschte in teuflischer Bosheit die thierischen Züge, indem er langsam das Messer aus seinem Gürtel zog und zu der Gefesselten trat, deren Auge zum Himmel erhoben war, deren Lippen ein Gebet zum Allmächtigen sprachen.

»Dschidelim! Eile Dich! ...«

Ein wilder Schmerzensschrei riß sich trotz der heldenmüthigen Entschlossenheit von den Lippen der Ärmsten – –

– – –

»Vater! – Sie martern mein Weib zu Tode!«

Der Alte schauerte – sein Auge starrte wie in einer Vision, die seinen Geist zu umnachten begann.

»Die Engel im Himmel werden dem Blute Iwo's beistehen in seinem Märtyrerthum. Einer der Moskowiten, mit denen ich bei Ragusa focht, war im Lande gewesen, fern über der großen See, und erzählte, wie da die gefangenen Krieger gemartert werden von ihren Feinden und doch ihr Triumphlied singen unter den Schmerzen des Todes. Ist die Christenfrau aus Iwo's Stamm weniger muthig als die Heiden der Wälder über der Salzsee?«

»Es ist ein Weib – laß mich hinaus, Vater –«

»Zurück, Knabe, und vernimm das Todtenlied der Martinowitsch!«

Und mit lauter eintöniger Stimme begann der Greis das Heldenlied: Sve Oslobod. –

– – – – –

»Giftige Nattern säugte der Busen des Czernagorzenweibes, so möge er weiter die Bestien der Wildniß nähren! D'rauf, Scheitan!«

Der schwarze Henker warf das blutrauchende Fleisch der abgeschnittenen Brust dem lechzenden Wolfe hin und senkte mit teuflischen Vergnügen das Messer zum zweiten Male in den Leib der Märtyrerin9!

»Vater! Gabriel! – Um der ewigen Barmherzigkeit willen, den Tod!«[166]

Und wieder krachte ein Schuß – der letzte der Czernagorzen! – aber diesmal taumelte der schwarze Mörder zu Boden und das Haupt der Gemarterten fiel auf die Schulter nieder – im Tode brechend dankte ihr Auge noch hinüber nach der Kula: dieselbe Kugel hatte Henker und Opfer durchbohrt. –

Auf das Bollwerk des Thurmzuganges sprang die riesige Gestalt des einäugigen Greises, wahnwitzig schwang seine Hand die noch rauchende Flinte um das Haupt.

»Hierher, blutige Mörder von Skadar! Hierher, feige Söhne des falschen Propheten! Die Männer der schwarzen Berge rufen nach Euch!«

Und Fatinitza warf ihr Roß gegen die Kula.

»Zum Kampf! Allah il Allah! zum Kampf!«

Von allen Seiten klang das furchtbare Angriffsgeschrei und die Schaar stürmte gegen die kleine Heldenzahl, Schüsse knallten, Waffen blitzten, Stöhnen der Wuth und des Schmerzes, über die Steine und Balken klommen die Albanesen; hinein in's dichteste Gewühl stürzte sich der Zagartschane – wie sein Schatten hinter ihm drein Nicolas Grivas, während am Eingang des Thurmes der grimmige Beg und Jowan Martinowitsch den Helden- und Todeskampf kämpften und von unzähligen Wunden durchbohrt, sterbend noch mit dem Blick voll unauslöschlichen Hasses den siegenden Feind bedrohten. Zwei Mal hatte Grivas sich vor den zürnenden Freund geworfen und den Todesstreich von ihm abgewehrt, jedes Mal wandte der Zagartschane sich nach einer andern Seite, Beide die Mörderin zu erreichen strebend. Mit wildem Jubel schwangen die Albanesen schon in ihrem Rücken das abgeschnittene Haupt des Beg auf einer Flintenspitze, – unwillkürlich wich das trotzige Weib vor den wüthenden Rächern zurück, den Zügel des Rosses anziehend; an Grivas Hals warf sich die Wölfin, aber ein Handjarstoß zerschnitt ihr den blutigen Rachen und Kehle, – da durchbohrte aus nächster Nähe ein Schuß die Brust Gabriels, daß ein dunkler Blutstrom mit dem Athemzug aus seinem Munde quoll. Über dem Stürzenden schwang Nicolas den blitzenden Stahl:

»Dies Mal, Blutbruder, löse ich den Eid!« und sein Hieb spaltete den Schädel eines Arnauten, der sich auf den sterbenden Freund warf.[167]

»Lebendig, lebendig fangt ihn!« kreischte die Stimme Fatinitza's und ihre Geberde jagte die Zaudernden dem Kämpfer entgegen.

Da trachten neue Schüsse in geringer Entfernung. Durch die Nebel des Morgengrauens brachen von der Bergseite her dunkle Gestalten, – die Czernagorzen, die Junaks der Rietschka Nahia, – eine kräftige, militairische Figur im grauen russischen Capot in ihrer Mitte ertheilte Befehle – Oberst Berger, den Bogdan in der nächsten Brastwo10 mit mehreren Begleitern umherstreifend gefunden.

»Vater Iwo! Gabriel! die Kinder der schwarzen Berge kommen!« tönte ermuthigend die Stimme des Jünglings durch das Kampfgewühl und das wüste Geschrei der von allen Seiten flüchtenden Albanesen.

Zu spät!

Ein schwerer Kolbenschlag traf von hinten des Griechen Haupt und warf ihn, aus zehn Wunden blutend, zu Boden über den todten Freund. Das Blut der Blutbrüder vermischte sich – der heilige Eid war gesühnt – sein brechendes Auge traf die Mörderin.

»Das Kreuz! das Kreuz! – Gabriel – Vater – Stephana, wo seid Ihr?«

Die Wölfin von Skadar sprang vom Roß. Mit übermenschlicher Kraft hob sie den blutenden Körper quer auf den Sattelknopf des Pferdes und schwang sich wieder hinauf. Im Druck der spitzen Steigbügel hob sich der Renner mit der doppelten Last zum Sprunge und seine Hufe warfen die Flüchtenden zur Seite.

Weit aus griff der Schimmel. Von den Schüssen der Czernagorzen umdonnert, den blutigen Körper des seiner Liebe Verfallenen auf Sattel und Arm, sprengte das Türkenmädchen durch den Pulverdampf.

In den wallenden Nebeln des Morgenlichts verschwand der flatternde Mantel.

Hinter ihr aber hielt der Tod seine reiche rächende Ernte!

1

Ganz befreit! – Zugleich der Name der Piesme, welche jene That besingt.

2

Familienoberhaupt.

3

Es ist Nichts!

4

Die Nahia von Glubotina oder Rietschka – Nahia, der mittlere Theil von Czernagora, der an der Mündung des Czernojewitsch und der Moratscha das nördliche Ufer des Skadar-Sees begränzt und die wildesten Berggegenden enthält, zählt fünf Stämme: die Lubotini, die Kozieri, die Zeklini, die Dobarski und die Gradjani. Das Thal der Moratscha zwischen Zabljack bis Podgoritza heißt die Zenta.

5

Schicksal.

6

Czarew-Laz (des Kaisers Abhang), wo 1712 ein Heer von 50,000 Mann unter Achmed Pascha von den Kriegern der schwarzen Berge fast gänzlich vernichtet wurde.

7

Benennung aller serbischen Stämme der Küstenländer.

8

Türkenfrau.

9

Dergleichen Abscheulichkeiten sind – historisch – leider noch im letzten Kriege vorgekommen. Wir erzählen – die Feder versagt fast den Dienst – Thatsachen!

10

Gemeinde.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 1, Berlin 1856, S. 141-168.
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