III. Im Gefecht! Czetate.

[282] Der Oberbefehlshaber der russischen Armee hatte beschlossen, die Operationen gegen den linken Flügel der türkischen zu beginnen und diese aus der kleinen Walachei zu verdrängen. Zu dem Ende galt es, Kalafat zu cerniren, und General-Lieutenant Graf Anrep-Elmpt, der bei dem Einrücken in die Fürstenthümer die Avantgarde kommandirt hatte und jetzt in Krajowa befehligte, erhielt die entsprechenden Ordres. Kalafat liegt, wie ein Blick auf die Karte lehrt, in einer kurzen Biegung der Donau nach Nord-Osten, ehe sie sich zur serbischen und ungarischen Gränze wendet. Dem entsprechend bildeten die Bewegungen der Russen auf der Basis der Donau die zwei Seiten eines Dreiecks, indem zwei mit einander in Verbindung bleibende Colonnen von Krajowa aus vorrückten. Das Corps des Generals Dannenberg bewegte sich von Karakal über den Schyl in den Rayon Radowan und lehnte seinen äußersten linken Flügel an die Mündung des Flusses, über die Deszneizia hinaus; die fünfte leichte Division des General-Lieutenants von Fischbach dagegen besetzte in einem forcirten Marsch die Straße, welche von Kalafat längs des Donauufers gegen Orsowa und das eiserne Thor führt. Radowan bildete somit den Winkel der combinirten Position. Diese Bewegungen waren in den letzten Tagen des December ausgeführt worden, hatten natürlich die Aufmerksamkeit der Türken erregt, und es war vor der Rückkehr des Muschirs nach Nicopolis in Folge der neuerdings durch die Spione über die Vorwärtsbewegung des Feindes eingegangenen Nachrichten beschlossen worden, die drohende Festsetzung der Russen nördlich von Kalafat bei Czetate um jeden Preis zu verhindern.

Gegen diesen günstig zur Vertheidigung und Befestigung gelegenen Ort war die (erste) Infanterie-Brigade des General-Majors Bellegarde, bestehend aus dem Jekaterinenburgischen Infanterie-Regiment Nr. 19 unter Oberst Uwasnow-Alexandrow und dem Tobolskischen Regiment Nr. 20, vorgeschoben worden, und Oberst Baumgarten nahm mit dem letzteren hier Stellung, nachdem bereits am 31. December in der Nähe ein heftiges aber erfolgloses Gefecht stattgefunden hatte. Schweres Geschütz mit Pionieren und Schanz-Arbeitern hatte Krajowa am 2. Januar verlassen, um die Stellung bei Czetate zu befestigen.[283]

Diese Nachrichten waren es, welche Oberst Pisani durch die geheime Correspondenz der Gräfin Laszlo erhalten hatte, die trotz der Kriegsgefahr, und während viele walachische Bojaren im Gegensatz nach Ungarn und Siebenbürgen flüchteten, zu Anfang December von ihren nahegelegenen ungarischen Besitzungen auf einem ihr gehörenden Gute in der Nähe von Radowan und Krajowa in dem von den russischen Truppen besetzten Gebiet erschienen war. –

Die Scene, welche wir in dem vorigen Capitel beschrieben, ereignete sich am Donnerstag den 5. Januar. Obschon der nächste Tag der Sonntag der Moslems war, hatte man doch nicht zögern wollen, bis die Russen sich stärker befestigt hätten, und der Angriff war für den nächsten Tag bestimmt.

Um 4 Uhr Morgens verließen die Türken, 13 Infanterie-Bataillone, 6 Kompagnieen Jäger, ein Regiment türkischer Kosaken und zwei starke Abtheilungen der berittenen Irregulairen mit 28 Geschützen, im Ganzen etwa 18,000 Mann stark, die Verschanzungen von Kalafat und rückten gegen Czetate vor. Ismaël-Pascha, der Tscherkesse, kommandirte die Vorhut und das Haupttreffen, unter ihm der Ferik (Divisions-General) Mustapha-Pascha und der Livas (Brigade-General) Osman-Pascha. Achmet-Pascha, der Commandeur von Kalafat, befehligte die Reserven.

Zwei der türkischen Bataillone mit zwei Kanonen wurden auf der Straße in den Dörfern Maglavit und Gunia zurückgelassen, um die Verbindung mit Kalafat aufrecht zu erhalten. Sieben Bataillone sollten die Reserve bilden. –

Das Dorf Czetate liegt auf einem Hügel, welcher auf mehrere Meilen hin die umliegende Fläche überragt und auf beiden Seiten von Schluchten eingefaßt ist. Die östliche ist von ziemlicher Tiefe, zerklüftet und steil und verliert sich in einen kleinen See, unter welchem sich eine Fläche bis zur Donau erstreckt; die andere, weniger furchtbar, windet sich gegen die Spitze des Hügels hinter dem Flecken, indem sie eine Art Hohlweg bildet, den man jedoch ohne Schwierigkeit von einem Ende zu dem andern passiren kann. Die Straße von Kalafat schneidet mitten hindurch in nordwestlicher Richtung, nachdem sie zwischen den Schluchten aufgestiegen ist. Auf der Höhe über dem Flecken, rechts von der Straße, hatten die Russen eine starke Verschanzung aufgeworfen, die für den Fall eines Rückzugs als Zufluchtsort dienen konnte. Vor Czetate und dies deckend, liegt der Weiler Fonton-Banali, den Oberst Baumgarten mit dem[284] Regiment Tobolsk, einer Schwadron Husaren des Regiments Fürst von Warschau und einer Abtheilung des Donischen Kosaken-Regiments Nr. 36 mit 6 Kanonen der leichten Batterie Nr. 1 von der 10. Artillerie-Brigade unter Oberst Sagoskinn besetzt hielt. Die Reserve der Position unter General-Major Bellegarde stand, da man den raschen Angriff keineswegs erwartete, fast zwei Meilen zurück in dem Dorfe Motsesseï.

Der Oberkommandirende, General-Lieutenant von Anrep, hatte sein Quartier in etwa gleicher Entfernung zur Rechten in dem Dorfe Boleschti genommen. –

Es war bereits spät am Abende, als eine Ordonnanz einen Offizier weckte, der in einer ärmlichen Hütte des letztgenannten Dorfes auf seinem Mantel schlief, und zu dem General beschied. Capitain von Meyendorf, dieser war der Offizier, war rasch empor und in wenig Minuten bei dem Kommandirenden. Einige Offiziere waren in dem Gemache versammelt, Kosaken hielten am Eingang einen walachischen Bauer, dem die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt waren, am Strick. Der General selbst war offenbar in großer Aufregung und sah wiederholt Briefe durch, die auf dem Tische lagen.

»Gut, daß Sie kommen, Herr Adjutant, es giebt für uns Alle zu thun. Wir werden eher Gelegenheit haben, als wir es hofften, die Befehle des Fürsten auszuführen und mit den Türken anzubinden. Meine Kosaken haben in der Nähe der Deszneizia diesen Nachmittag bei einer Streifpartie einen Spion aufgegriffen, den Hettmann Poduroff mir so eben zuschickt. Seine Papiere sind von Wichtigkeit und zeigen, daß unsere Stellung bei Czetate vielleicht morgen schon angegriffen wird.«

»Desto besser, Excellenz.«

»Das mag sein, aber nicht besonders erfreulich ist es, zugleich daraus zu erfahren, daß der Verrath nicht müde wird, in unserm eigenen Feldlager sein Nest zu bauen. Wenn ich mich recht erinnere, kennen Sie die ungarische Gräfin Laszlo, die sich seit Monatsfrist – wie sie angab, um ihr Eigenthum in den Kriegsdrangsalen möglichst zu schützen, – auf Schloß Badowitza zwischen Radowan und Krajowa aufhält. Ich erinnere mich wenigstens, Sie in Unterhaltung mit ihr gesehen zu haben, als die schöne Dame uns in voriger Woche in Krajowa besuchte.«[285]

Der Capitain verbeugte sich, um die Röthe zu verbergen, die sein Gesicht überflog.

»Ich habe die Ehre, die Frau Gräfin von Wien aus zu kennen und besuchte sie noch vor einigen Tagen mit mehreren Offizieren.« Er verschwieg, daß gerade die Nachricht von ihrer Anwesenheit auf den walachischen Gütern ihn veranlaßt hatte, den Fürsten um den Auftrag zur Überbringung von Depeschen an General Anrep und zur Einleitung wichtiger Verbindungen mit dem serbischen und bulgarischen Ufer zu bitten, die ihn jetzt seit vierzehn Tagen im Hauptquartier des westlichen Corps beschäftigten.

»Werden Sie es glauben, Capitain, daß gerade diese Dame den Spion bei uns gespielt und die Mittelperson abgegeben hat, durch welche der schlaue Fuad fortwährend mit unsern Bojaren verkehrt und uns so manche Verlegenheit bereitet?«

Der Offizier erblaßte, doch suchte er sich rasch zu fassen.

»Unmöglich, Excellenz,« stotterte er.

»Die Beweise halte ich in der Hand, Herr Capitain. Hier dieses Paket mit gedruckten Proclamationen an die Bojaren und das Volk trägt die Unterschriften Omer's und Fuad-Effendi's; dieses Couvert, das man bei dem Boten fand, enthält Briefe an verschiedene Bojaren, und ein Blatt, offenbar an die Gräfin gerichtet, in welchem man – der Schreiber ist nicht genannt, – für die letzten Nachrichten dankt, die sie nach Widdin über unsere combinirten Bewegungen gegen Kalafat und die neuen Zuzüge unserer Truppen gemacht hat. Der Brief schließt mit der Benachrichtigung, daß der Muschir zwar heute Morgen Widdin verlassen, aber den Befehl geben werde, unsere Linien bei erster Gelegenheit zu durchbrechen, und bittet die Gräfin um weitere Kunde über die Dispositionen. Offenbar hat der Verkehr meiner Offiziere in ihrem Hause, den ihre täglichen Einladungen so sehr beförderten, ihr alle diese Nachrichten verschafft.«

»Und darf ich fragen, was Euer Excellenz beschlossen haben?«

»Ich muß natürlich Bellegarde und Baumgarten benachrichtigen lassen, auf ihrer Hut zu sein. Sie, Herr Capitain, beauftrage ich, da Ihnen die Person der Gräfin hinlänglich bekannt ist, morgen bei Tagesanbruch sich mit einem Zug Husaren nach Schloß Badowitza auf den Weg zu machen, die Gräfin zu verhaften und ihre Papiere in Beschlag zu nehmen. Sie liefern die schöne Spionin[286] nach Krajowa ab, wo sie nach meiner Rückkehr ihrer gebührenden Züchtigung nicht entgehen soll.«

»Euer Excellenz erlauben mir die Bemerkung, die Gräfin ist österreichische Unterthanin.«

»Hier ist sie Walachin, Herr Capitain, und die Österreicher selbst haben uns belehrt, wie man mit diesen ungarischen Damen umspringt. K tschortu1! ich will sie peitschen lassen, wie die Österreicher, und sie mit Kosaken über die Gränze bringen, daß das Beispiel allen Weibern künftig die Einmischung in die Politik verleiden soll!«

»Excellenz, es ist eine Dame – ich war im Hause ihres Oheims täglicher Gast!«

»Eine Spionin ist sie, Herr,« fuhr der General auf, »und als solche verdient sie behandelt zu werden. Was blieb sie nicht in Wien, statt hierher zu kommen und die Verrätherin zu spielen? – Aber ich sehe, wie die Sache steht, Sie liegen eben so gut in den Netzen der schönen Rebellin, wie diese Herren hier, die schon allerlei Ausflüchte versucht haben. Ich muß einen weniger galanten Offizier schicken, wenn ich sicher sein will, daß die Dame nicht einen Ausweg findet. Skolimoff – rufen Sie mir den Capitain der sechsten Ssottnie her – ich weiß nicht, wie der Kerl heißt, aber tauglich dazu ist er.«

»Chotumofski, Excellenz!«

»Bon! Rasch, damit die Sache zu Ende kommt. Sie, Rittmeister Kowaleff, nehmen den Boten mit sich und lassen ihn an den ersten besten Baum außerhalb des Dorfes aufknüpfen, mit einem dieser Plakate auf der Brust. Es mag den Kanaillen zur Warnung dienen. Herr Capitain, da Sie die Galanterie dem Dienst vorziehen, muß ich Ihnen eine andere Beschäftigung geben. Sie werden sogleich zu Oberst Baumgarten aufbrechen und ihm die Nachrichten mittheilen, die Sie eben gehört haben, damit er auf seiner Hut ist. Ich werde morgen ihm Verstärkung senden und wahrscheinlich selbst seine Stellung besichtigen.«

Der Capitain verbeugte sich. Näher zu dem General tretend, fragte er leise:

»Haben Euer Excellenz keine Botschaft von Alexo, dem Wirth in Widdin?«[287]

»Nein, und deshalb eben hab' ich mich anders besonnen und sende Sie nach Czetate, für den Fall, daß eine solche eintreffen sollte, da Sie der Chiffern kundig sind. Ich weiß nicht, ob man dem Menschen weiter trauen kann, nachdem er uns über diesen Verrath im Unklaren gelassen, aber vielleicht fehlte ihm selbst die Kenntniß davon. Der Bursche, den ich eben condemnirt habe, kennt den Wirth nicht. Er ist von dem Gut der Gräfin und hatte, nach seinem Geständniß, nur den Auftrag, am Donauufer vorige Nacht eines Boten von drüben zu harren. Wir werden in den nächsten Tagen von Ihrem Zigeuner Gebrauch machen müssen. Er ist der Zuverlässigste von Allen, so jung er ist. Und nun Adieu, Capitain, und grüßen Sie den Obersten.« Er wandte sich zu einem andern Offizier und Capitain Meyendorf verließ die Hütte. Draußen begegnete ihm schon der befohlene Kosaken-Offizier, ein alter graubärtiger Hauptmann mit rohem finsterm Gesicht.

Der Capitain schauderte, indem er, in seinen Mantel gehüllt, an ihm vorüber ging, dann setzte er eilig und in tiefem Nachdenken den Weg zu seinem Quartiere fort.

Als der Capitain in die walachische Hütte, die er mit mehreren anderen Offizieren theilte, zurückkehrte, befahl er der Ordonnanz, sofort seine beiden Pferde zu satteln. Dann ging er und weckte im Stall einen Mann, der dort schlief.

»Steh' auf, Mungo, Du sollst mich begleiten.«

Der junge Zigeuner, dem im Lager von Budeschti am Vorabend der Schlacht von Oltenitza der Offizier das Leben gerettet, sprang sofort empor und schüttelte das Heu, auf dem er gelegen, aus den Haaren. Er hatte seit jener Zeit sich den Russen angeschlossen und, das gefährliche Gewerbe des Leichendiebes und Marodeurs aufgebend, das nicht minder verzweifelte eines Spions angenommen. Da seine Wanderungen ihn nicht allein durch die ganze Walachei, sondern auch häufig in das bulgarische Uferland bis zur serbischen Gränze hin geführt hatten und er das Türkische und Bulgarische geläufig sprach, war er von den russischen Heerführern bereits vielfach zu diesen verächtlichen Diensten, die er mit großer Gewandtheit ausführte, benutzt worden, namentlich zur Unterhaltung einer Verbindung mit den bulgarischen Haiducken und den Resten der alten Hetärie. Obschon der Capitain wenig Sympathieen für ihn empfand, hatte der Bursche seit jener Zeit doch so große Anhänglichkeit an ihn gezeigt und ihm seine Dienstleistungen,[288] wenn er eben nicht anderweitig umherschweifte, so unabweisbar aufgedrängt, daß er es sich endlich gefallen ließ, den Zigeuner mit seinem gewöhnlichen Reitknecht die Sorge um seine Pferde theilen zu sehen. Da bei den beschlossenen Bewegungen gegen Kalafat die Anknüpfung und Verbindung mit den russenfreundlich Gesinnten in Widdin und im Hauptquartier des Muschirs von größter Wichtigkeit war, wurde ausdrücklich der junge Zigeuner mit dem Capitain nach Krajowa gesandt und hatte von hier aus bereits zwei Mal das türkische Ufer und Widdin betreten, wo Alexo, der Wirth, als Agent beiden Parteien mit großer Schlauheit diente.

Die Pferde standen bereit, der Capitain schwang sich auf, und indem er seinen Reitknecht zurückließ, befahl er Mungo, das zweite Pferd zu besteigen und ihm zu folgen.

Als sie über die Vorposten hinaus auf dem Wege in der Richtung von Czetate waren, ließ der Capitain sein Roß langsam und achtlos schreiten, in düsteres Nachsinnen verloren. Endlich schien sein Entschluß gefaßt, er hielt den Zügel an und rief Mungo herbei.

»Ich habe gesehen, daß Du ein guter und verwegener Reiter bist. In welcher Zeit glaubst Du, daß ich mit meinem Halbblut die Deszneizia jenseits Radowan erreichen könnte?«

»Wenn Du das Pferd anstrengst, Capitain, in fünf Stunden.«

Der Offizier ließ seine Uhr repetiren.

»Es ist Mitternacht! Also gegen sechs Uhr. Die Kosaken werden kaum vor dieser Zeit aufbrechen und vor Mittag das Schloß nicht erreichen – sie hat demnach, auch wenn ein Hinderniß den Boten verspäten sollte, Zeit genug zur Abreise. Steig' ab, Mungo, und wechsle mit mir das Pferd.«

Der Zigeuner gehorchte stillschweigend.

»Du kannst mir jetzt das Wenige, was ich für die Rettung Deines Lebens in Budeschti that, wett machen mit einem Dienst, wenn es Dir wirklich Ernst mit Deinem Dank ist, wie Du mich so oft versichert hast.«

»Befiehl, Herr, Mungo wird Dir's beweisen, und wenn es sein Leben kostet.«

»Kennst Du das Dorf und das Schloß Badowitza?«

»Ich kenne es nicht, aber ich habe davon gehört in Krajowa.[289] Es wohnt eine vornehme Dame dort, die der Capitain neulich besucht hat.«

»Wohl! Höre mich genau an, denn von Deiner Botschaft und deren Eile hängt Wichtiges ab. Die Dame ist die Gräfin Laszlo, die Herrin des Schlosses. Du reitest, so rasch Du kannst, nach dem Schloß der Gräfin und suchst unter irgend einem Vorwande, ohne daß es ihrer Umgebung und dem Posten, der vielleicht noch im Dorfe liegt, auffällt, zu ihr zu gelangen.«

»Ich werde es.«

»Sobald Du sie siehst, verlange ein geheimes Gehör und sage ihr: der Warner aus dem Prater von Wien lasse sie bitten, noch in derselben Stunde abzureisen und möglichst rasch die ungarische Gränze zu erreichen. Um Mittag würde es zu spät sein. – Hast Du die Worte gemerkt?«

Der Zigeuner wiederholte sie.

»Aber, Herr, die Dame wird fragen, wer ihr die Worte sendet, oder wenigstens nach einem Beglaubigungszeichen bei einem Boten, wie ich bin.«

Der Offizier hatte bereits seine Brieftafel in der Hand und reichte ihm ein zusammengeschlagenes, vor dem Abreiten im Quartier geschriebenes Papier.

»Die Vorzeigung desselben wird, wenn die Gräfin einen Beweis fordert, genügen. Zugleich wird es Dir bei den Militairpikets, die Dich anhalten könnten, als Ausweis dienen. Es enthält einfach die Worte: ›Mein Diener Mungo reitet in meinen Geschäften nach Krajowa.‹ – Und nun, Bursche, gieb mir einen Beweis Deiner Schlauheit und Treue und schone das Pferd nicht.«

Er reichte ihm das Papier und wandte das seine, doch schon nach wenigen Schritten kehrte er nochmals um und rief den Zigeuner zurück.

»Es ist möglich, daß es morgen ein heißes Treffen giebt und Du mich bei der Rückkehr nicht mehr finden könntest. Nimm diese Börse und meinen Dank für Deine Dienste, und – wenn Du die Gräfin sprichst, sage ihr, sie möge meiner freundlich gedenken!«

Er wandte kurz das Pferd und sprengte davon, während der Zigeuner den Renner nach der entgegengesetzten Richtung spornte. –

Der Morgen war klar, der Himmel wolkenlos, nicht ein Windhauch bewegte die Luft, und als die Sonne aufging, bildeten das friedliche Thal der Donau, noch stellenweise mit Schnee bedeckt,[290] und der große Strom, der langsam seine gelben Wässer dahinwälzte, ein Bild des Friedens und der Ruhe, das die blutigen Scenen nicht ahnen ließ, die so rasch folgen sollten.

Bald nach 7 Uhr nahte die türkische Avantgarde dem Weiler am Fuße des Hügels, auf dem Czetate stand.

Ismaël-Pascha mit Iskender-Bey und dem Ferik Mustapha befanden sich an der Spitze der Colonne. Weder in dem Weiler, noch auf der Höhe von Czetate zeigte sich in dem ersten Licht des Tages eine Spur der Russen.

Die Colonne machte Halt, der Pascha recognoscirte einige Augenblicke das Terrain, dann wandte er sich zu seinen Begleitern.

»Halte Deine Bataillone bereit, Mustapha, und lasse Nefwik-Bey mit seinen Jägern vorrücken und sich über das Feld verbreiten. Ich werde ihm selbst meine Befehle geben. Mashallah! ich glaube, die Moskows sind davon gelaufen, ehe wir gekommen sind.«

»Du irrst, Pascha,« sagte der Graf; »mein Fernrohr zeigt mir, daß das Dorf besetzt ist und Artillerie dort steht. Wenn Du mir gestatten willst, will ich meine Irregulairen an dem Wasser entlang ihnen in den Rücken führen.«

»Allah sende ihnen Verderben! Es geschehe, wie Du sagst, Freund Bey, auf Dein Haupt komme es. Wir müssen die Höhe dort gewinnen, wir sind nicht die Esel der Moskows. Wallah! da ist der Neffe des Muschirs. Höre, Bey, Du sollst die Ehre des ersten Angriffs haben. Rücke langsam vor und nimm jene Häuser.«

Nefwik und Iskender-Bey eilten nach verschiedenen Seiten davon.

Während der Letztere, gedeckt durch das Terrain auf der rechten Seite von Czetate, mit seinen beiden Regimentern Irregulairer und sechs Kanonen den kleinen See im Galopp umging, eröffnete sich bereits in der Fronte der Kampf. Die fünf Compagnieen Jäger unter Befehl Nefwik-Bey's breiteten sich rechts und links aus und begannen langsam den Hügel gegen den Weiler hinan zu steigen, zuweilen en tirailleurs feuernd, jedoch ohne eine Antwort hervorzurufen. Sie waren etwa noch 400 Schritt von dem Weiler entfernt, als plötzlich ein einzelner Kanonenschuß donnerte und sofort sich noch zwei andere Geschütze demaskirten und ein scharfes Feuer eröffneten. Das Heckenfeuer der Infanterie fiel ein und von der Spitze des Hügels begannen die vor Czetate aufgefahrenen drei Kanonen mit Paßkugeln und Granaten ihr Feuer, während die[291] am unteren Abhang mit Kartätschen schossen. Nur die letzteren thaten Schaden, während die ungeschickt gezielten Schüsse der obern Batterie über die Anstürmenden weggingen und die Granaten in der Luft platzten, noch ehe sie die feindlichen Colonnen erreicht hatten.

Den Jägern Nefwik's folgte Mustapha-Pascha mit vier Bataillonen Nizam, von Hadschi-Mustapha, dem kommandirenden Offizier der Artillerie, unterstützt. Die türkischen Geschütze – die vorzüglichste Waffe der ganzen Armee – schossen ungleich besser als die russischen, und ihre Paßkugeln schlugen fest und sicher in die Gebäude des Weilers.

Zwei Mal setzten die Jäger unter dem Ruf: »Allah! Allah!« an, zwei Mal wurden sie von den Chargen der Russen geworfen. Wüthend spornte Ismaël-Pascha sein schwarzes Pferd gegen den Nizam und trieb ihn gegen die Gebäude, während die türkischen Kanonen der Avantgarde folgten.

Oberst Baumgarten vertheidigte die bedrängte Position mit großer Kühnheit gegen den überlegenen Angriff. Die Husaren und ein Bataillon des Regiments Tobolsk waren nach Czetate zurückgesandt und die Übermacht des Feindes war daher erdrückend. Der Nizam griff den Weiler mit dem Bajonnet an und an vielen Punkten focht bereits Mann gegen Mann. Doch noch hielten die Russen tapfer Stand.

Den Hügel von Czetate herab jagte ein Adjutant.

»Major Topoltschann meldet, daß die Kavallerie des Feindes die Position am See umgangen hat und mit einer reitenden Batterie das Dorf im Rücken angreift. Das zweite Bataillon und die Husaren sind bereits im Feuer.«

Die Kunde war entscheidend; die Wegnahme des Dorfes, ehe man sich nach der Redoute auf der linken (rechte russische) Flanke zurückziehen konnte, hätte das Detaschement des Weilers gänzlich abgeschnitten.

Der Kommandirende sah die Nothwendigkeit des Rückzuges. Major Kolomeïtseff erhielt den Befehl, mit dem ersten Bataillon und den Kosaken denselben zu decken und langsam zu folgen. Der Weiler stand bereits in hellen Flammen, als die drei Geschütze den Hügel hinauf jagten und dort auf der Höhe ihre Gefährten ablösten. An der Spitze des dritten Bataillons durcheilte der Oberst das Dorf und warf sich auf der hintern Abdachung den[292] Baschi-Bozuks Iskender-Bey's entgegen, von der Schwadron Husaren flankirt, während die Soldaten des ersten und zweiten Bataillons sich in den Häusern zu verschanzen begannen.

Die Irregulairen, die bereits einige Vortheile errungen, verloren dieselben und wichen, obschon die Aga's wüthend auf die eigenen Leute losschlugen.

Der günstige Augenblick war verloren, die Russen hatten das Dorf mit ihrer ganzen Macht besetzt und eröffneten ein furchtbares Musketenfeuer auf die von zwei Seiten vorrückenden Colonnen.

Achmet Pascha sandte zwei Bataillone der Reserve zur Unterstützung vor; mit einer doppelt überlegenen Macht wurde das Dorf angegriffen, während die türkische Kavallerie Ordre erhielt, sich in der Schlucht auf der Linken, durch welche quer der Weg von Czetate nach Norden führt, festzusetzen und so den Rückzug zur Redoute abzuschneiden.

Das Gefecht auf den Hügelseiten war überaus blutig; die türkischen Jäger litten furchtbar, und die erste Compagnie derselben wurde buchstäblich vernichtet. Unter dem wüthenden Allahgeschrei stürmte der Nizam das Dorf. Schritt um Schritt mußte durch Blut erkauft werden. Die Russen machten jede Mauer, jede Hütte zu einer Festung. Zweiunddreißig Offiziere wurden hier verwundet, eilf davon getödtet! Man sah sie ihre Mütze in die Stirn drücken und, den Säbel in der Faust, sich in die Massen stürzen, um den Tod zu finden, lieber als daß sie wichen.

Dennoch drangen die Türken siegreich vor – es war zum ersten Male, daß im Angriff der Nizam Lorbeeren errang!

An der kleinen Kirche des Ortes hielt Oberst Baumgarten mit seinen Offizieren, darunter der Regiments-Adjutant Zagreba, dem das Blut fortwährend am rechten Bein von einem Schuß im Schenkel herabfloß, ohne daß der Tapfere der Verwundung achtete. Auch Major Kolomeïtseff blutete bereits aus zwei Wunden. Zur Seite des Obersten befand sich Capitain Meyendorf, der seine Dienste als Adjutant angeboten.

Der Oberst wandte sich zu ihm:

»Bellegarde und Graf Anrep lassen lange auf sich warten, Herr; man muß dieses Schießen in Motsetseï gehört haben, und wir schlagen uns schon drei Stunden.«

»Die Position ist unmöglich länger haltbar, Oberst.«

»Ich sehe es und Major Topoltschann hat es mir gleichfalls[293] melden lassen. Es ist Zeit, daß wir unsern Rückzug sichern. Reiten Sie zu Sagoskin und sagen Sie ihm, daß er sich fertig hält mit den Geschützen. Die Husaren werden die tête nehmen, die Kosaken die Geschütze flankiren, und das zweite Bataillon soll diesmal die Ehre haben, die Arriere zu bilden. In zehn Minuten müssen wir auf dem Wege sein, und wenn Sie mich das Tuch schwenken sehen, soll Rittmeister Sszamarin mit seinen Husaren im Galopp die Schlucht forciren. Sie bleiben bei ihm.«

Der Capitain salutirte, während der Oberst bereits dem Regiments-Adjutanten weitere Befehle gab, und ritt zu der Batterie, die an der andern Seite der Kirche über die Häuser hinweg, in denen man sich Mann gegen Mann schlug, ein unregelmäßiges Feuer gegen die unterstützenden Colonnen des Feindes unterhielt.

»Achtung! Kartätschen in die Geschütze! – Die Pferde vor!« – Die Befehle waren in drei Minuten vollzogen.

Die Trommeln schlugen zum Avanciren. Das zweite und erste Bataillon machten eine Charge mit dem Bajonnet auf den Feind. –

Der Oberst schwenkte das Tuch, – die Trompeter bliesen zur Attaque und gleich einer Windsbraut galoppirte der Rest der Schwadron Husaren vom Regiment Fürst von Warschau die Straße entlang und stürzte sich in die Schlucht zur Linken. Hinter ihnen d'rein jagte die Batterie.

Hier hatte sich, gedeckt gegen die russische Artillerie vom Dorf und von der Redoute, die türkische irregulaire Kavallerie aufgestellt mit sechs Geschützen, welche die Straße beherrschen sollten. Der Angriff erfolgte jedoch so rasch und plötzlich, und die Verwirrung war im Augenblick so groß, daß die türkischen Geschütze nicht an's Feuern kommen konnten, und vier derselben von den Russen genommen wurden. Indem sich die Husaren und Kosaken rechts und links von der Straße ab und auf die Irregulairen warfen, gelang es der russischen Batterie, die Schlucht zu passiren und alsbald auf der entgegengesetzten Seite Posto zu fassen, von wo sie den Aus- und Eingang derselben bestreichen konnte.

Zugleich warf sich das dritte Bataillon Tobolsk über die Seiten der Schlucht, während das erste und zweite den Anprall des Nizam, durch dessen Öffnung jetzt die türkischen Kosaken zur Verfolgung heransprengten, zurückhielten und den Rückzug deckten.

Das Mordio, der Allahruf und das Hurrah der braven Infanterie[294] zwischen dem Donner der Geschütze und dem Knattern der Flinten war sinnbetäubend, das Gemetzel in der Schlucht selbst und auf dem leicht ansteigenden Abhang zur Redoute wahrhaft furchtbar, das Blut rann, wie Augenzeugen berichten, in kleinen Bächen auf der gefrornen Erde herunter.

Mit scharfen Hieben trieb der Bey seine Arnauten in's Gefecht, um womöglich den Zug der Russen über die Straße zu durchbrechen.

Zwei Mal gelang es ihm, zwei Mal wurde er auf's Neue zurückgedrängt.

Als er zum dritten Mal über die Straße brach, schloß sich die Colonne hinter ihm und etwa dreißig Gefährten. Bereits war das zweite Bataillon auf dem Rückzug, während das erste sich noch heldenmüthig jenseits der Schlucht am Rande des brennenden Dorfes schlug, und die russische Artillerie auf der halben Höhe der Redoute Stellung genommen und ihr Feuer eröffnet hatte.

Iskender-Bey, der tapfere Argonautenführer, schien verloren, – ringsum die starrenden Bajonnete, während die langen Piken der Kosaken und die Säbel der Husaren seinen kleinen Haufen bedrängten. Ein Hieb hatte bereits seinen linken Arm gelähmt, doch der verwundete Löwe schien seine Kraft zu verdoppeln und war überall.

Aber die starrende Mauer der Bajonnete, gegen die er sein Pferd spornte, widerstand seiner Tollkühnheit, um ihn fielen die Bozuks, die ihn begleitet, der On-Baschi Hussein, Abdallah, der Syrier, kaum Zehn noch hielten Stand.

Da führte der Graf, das Verzweifelnde seiner Lage erkennend, gleich wie Roland im Thal von Ronceval das Horn, die silberne Pfeife, die er zum Kommandogebrauch an gleicher Kette auf der Brust trug, an die Lippen und drei gellende, schneidende Töne schrillten durch die Luft, über alles Kampfgetöse weithin vernehmbar.

Capitain Meyendorf hatte sich mit den Husaren auf den Trupp geworfen, der den Bey schützte, und sein Degen kreuzte sich mit dem Säbel des Führers.

»Ergeben Sie sich, Graf, Sie sind gefangen.«

»Einem Russen? Niemals! Tysiąc byci mać mordowało!« Sein Hieb sauste zur Seite, doch glücklich parirte der Adjutant, daß nur leicht die Spitze des Säbels seine Wange ritzte. Von der andern Seite umdrängten die Husaren den kühnen Polen und kräftige Hände erfaßten ihn.[295]

»Nehmt ihn gefangen – Schonung dem Tapfern!« Da brauste und tobte es heran, gleich einer Sturmesbraut. »Allah! Hurrah!« und rechts und links flogen die Russen zur Seite, Roß und Mann übereinander stürzend, Lanzen brachen sich Bahn, Handjars und Säbel blitzten: »Hussah, Bey! Jacoub'a ist hier!« und die tolle Arnautenbande mit dem Aga an ihrer Spitze hieb rasend den Führer aus der Gefahr! –

Die Redoute war glücklich erreicht, die Geschütze derselben und die Feldbatterie donnerten gegen den Feind und hinüber gegen Czetate – sechshundert russische Krieger deckten den Kampfplatz, über achthundert waren verwundet.

Ismaël-Pascha sammelte die Bataillone, um sie zum Sturm gegen die Redoute zu führen, als ein Adjutant Achmet's herbei jagte und das Anrücken der russischen Truppen von Motsetseï meldete.

Es war bereits um Mittag. In dunklen Colonnen, kaum noch eine halbe Meile entfernt, kamen die Russen gegen die rechte Flanke des Feindes an unter General-Major Bellegarde: das Jägerregiment Odjessa, geführt von General-Major Schigmond, der Rest des Alexandrinskischen Husaren-Regiments Fürst von Warschau, geführt vom Oberst und Flügel-Adjutant Alopäus, eine Feldbatterie von sechs Geschützen und ein Schwarm von Kosaken, im Ganzen zwischen 7- und 8000 Mann. Die Infanterie bildete das Mitteltreffen, die Kavallerie und Artillerie war auf den Seiten aufgestellt und ihr Marsch direkt gegen die Kalafater Straße gerichtet, um den türkischen Truppen den Rückzug abzuschneiden.

Die Reserven Achmet-Pascha's, aus fünf Bataillonen bestehend befanden sich am Fuß des Hügels, und er ließ sie Front gegen den anrückenden Feind machen. Die türkischen Truppen bewiesen hier große Standhaftigkeit, denn die Nachricht, daß der Feind die Rückzugslinie bedrohe, ist auch bei den bestdisciplinirten wohl geeignet, Verwirrung anzurichten.

An der Seite des Hügels, unter der Schlucht auf der Rechten, war eine Art von alter Fenz, die einen viereckigen weiten Raum einschloß, der von den Einwohnern wahrscheinlich zur Schafhürde benutzt worden war, jedoch schon vor langer Zeit, da der Graben halb angefüllt ist. Dennoch gewährte er noch immer eine günstige Position zur Vertheidigung. Die türkische Infanterie unter dem Livas Osman-Pascha entwickelte sich zur Rechten über diese Einzäunung,[296] drei Bataillone in Linie, zwei in Reserve, die rechte Flanke durch eine Batterie von 4 Zwölfpfündern, die linke durch 6 Feldstücke gedeckt. Die Kavallerie aus dem genommenen Czetate wurde zurückgerufen und auf der Linken aufgestellt, das Regiment türkischer Kosaken vor den Irregulairen.

Der Anmarsch der russischen Truppen bot einen imposanten Anblick. Nichts konnte die Festigkeit ihres Marsches übertreffen, jede Linie schritt wie ein Mann und alle Distancen wurden so genau innegehalten, als ob sie in St. Petersburg paradirten. Als sie näher herankamen, ritten vier Offiziere vor, um den Grund zu recognosciren und zogen sich dann wieder zurück. Gleich darauf änderten die russischen Reservebataillone ihren Marsch und rückten mit zwei Geschützen gegen die Schlucht vor, machten aber Halt, als sie diese ungangbar fanden. Zugleich eröffnete die russische Artillerie ihr Feuer, und die türkische erwiederte dasselbe.

Es zeigte sich jetzt jener bedeutende Unterschied dieser Waffe in beiden Lagern, der schon zwei Jahre vorher Kaiser Nicolaus gegen den General Wrangel, als dieser Petersburg besuchte, zu den Worten hingerissen: »Das habe ich Ihnen (den Preußen) zu verdanken!«

Die russischen Geschütze feuerten viel zu hoch und ihre Kugeln thaten anfangs wenig oder gar keinen Schaden, bis es ihnen endlich gelang, die Distance zu finden. Die türkische Artillerie dagegen, von Hadschi-Mustapha kommandirt, räumte furchtbar auf unter den anrückenden Colonnen und riß weite Lücken in die lebenden Mauern. Aber mit jener stoischen Haltung, die der russischen Infanterie eigen ist, schlossen sich im Augenblick wieder die Reihen, und bewegten sich mit derselben Ruhe vorwärts.

Ein türkisches Feldgeschütz wurde demontirt, einen Augenblick ließ das Feuer nach. Dies benutzten die Gegner, um sich zu einer dichten Colonne zu schließen und zum Bajonnetangriff auf die türkischen Linien vorzubereiten. Die Trommeln wirbelten den kurzen Sturmmarsch und die Colonnen kamen heran.

Aber der Kartätschenhagel der türkischen Geschütze fegte die Spitzen nieder. Zwei Mal setzten die Russen an, und zwei Mal siegte die menschliche Natur über den Gehorsam des Kriegers, und sie wurden zurückgedrängt unter dem Allahruf der ermuthigt jetzt vorgehenden türkischen Linien; einige Augenblicke waren die russischen Geschütze ohne Deckung und fast in der Gewalt der Moslems,[297] als General-Major Schigmont, selbst verwundet, die Jäger zum dritten Mal gegen den Feind führte und die Husaren und Kosaken sich in seine Flanken warfen, ohne daß es den Führern der türkischen Kavallerie gelang, den Angriff aufzuhalten.

Die Türken wurden nach der Straße zurückgeworfen. Zugleich erhielt Achmet-Pascha die Nachricht, daß der General-Lieutenant Graf Anrep mit den starken Reserven von Boleschti auf Modlavit (Maglawit) anrücke und so ihn im Rücken bedrohe.

Zwei Stürme Ismaël-Pascha's auf die Redoute waren unterdessen von Oberst Baumgarten zurückgeschlagen worden.

Achmet-Pascha gab den Befehl zum Rückzug nach einem fast achtstündigen Kampf.

So tapfer sich die Türken geschlagen, so traurig zeigten sich jetzt die schlechten Anstalten ihres Heerwesens. Der größte Theil der Verwundeten, über 500 Mann, mußte hilflos auf dem Schlachtfelde zurückgelassen werden. Die Truppen unter Bellegarde zählten eine gleiche Anzahl von Todten und fast das Doppelte an Verwundeten; die Türken hatten während des zwiefachen Kampfes gleichfalls über 1000 Mann verloren, so daß nach der Schlacht an 3000 Todte und Verwundete auf dem Platz lagen. Der Boden war so mit Leichen bedeckt, daß kaum 48 Stunden hinreichten, sie zu beerdigen.

Um 3 Uhr traten die Türken unbehindert ihren Rückzug an, denn die Munition begann beiden Gegnern auszugehen, und sie erreichten Kalafat, ohne von den Colonnen des General Anrep angegriffen zu werden. Am nächsten Morgen hatte das letzte Bataillon sein Quartier bezogen. Sie ließen 6 Kanonen in den Händen der Russen zurück, und deren anrückende Übermacht blieb Herr des Schlachtfeldes; aber der Zweck war erreicht, und die Stellung bei Czetate geworfen. – –

Es war am andern Vormittag, als den unter der zerstörten Mauer einer Hütte von Czetate im todesähnlichen Schlaf liegenden Capitain Meyendorf eine schüttelnde Hand weckte. Vor dem Auffahrenden stand Mungo, der Zigeuner, bleich, erschöpft, kaum sich aufrecht erhaltend.

»Dein Auftrag? sprich, hast Du ihn glücklich ausgeführt?«

Der junge Bursche schüttelte den Kopf.

»Ich kam zu spät. Die Streifwachen hielten mich auf, erst[298] um acht Uhr Morgens erreichte ich das Dorf – die Dame war fort – das Schloß in Flammen!«

»Es ist unmöglich, – die Kosaken konnten vor Mittag nicht eintreffen!«

»Nicht die Kosaken, Herr, die verrätherischen Dorobandschen und ein türkisches Streifcorps überfielen das Dorf, plünderten und führten die Dame gewaltsam mit sich fort. So erzählten mir die Bauern und Diener.«

»Und Du bist ihrer Spur nicht gefolgt?«

»Ich that es, Herr. Die Marodeurs, über 200 Mann stark, schlugen sich durch die schwachen russischen Posten und erreichten die Donau unweit Kalafat. Ich kehrte zurück, um Dich zu benachrichtigen. Drei Stunden von hier stürzte Dein Pferd todt von der Anstrengung, – ich machte den Rest des Weges zu Fuß.«

Der Offizier athmete hoch auf.

»Gott sei Dank, was kümmert mich das Pferd!« – Im nächsten Augenblick versank er in tiefes Nachsinnen. »Die Gefahr ist noch nicht vorüber,« murmelte er, »sie darf nicht hierher zurückkehren und muß gewarnt werden, und ich – muß wissen, ob sie in Sicherheit ist!« – Er wandte sich laut zu dem Zigeuner: »Wann soll der Knees der Haiducken mit Dir in Widdin zusammentreffen?«

»Heute oder morgen, Herr!«

»Nimm meinen Mantel, armer Junge, und suche einige Stunden zu schlafen, dann folge mir nach Boleschti, Du wirst der Beutepferde genug und billig finden. Aber höre, versieh Dich womöglich, ehe Du Dich zur Ruhe legst, mit zwei türkischen Anzügen von den Gefallenen, wir werden ihrer bedürfen. Auf Wiedersehen, Mungo.«

Der Capitain schritt in tiefen Gedanken davon, sein Pferd zu suchen.

1

Zum Henker!

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 2, Berlin 1856, S. 282-299.
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