Aug' um Auge, Zahn um Zahn!

[72] Wir kehren zurück in die Kula von Protopapas.

Ein grauenhafter – schrecklicher Kampf hatte sich dort entsponnen, um so schrecklicher, als er schweigend von beiden Theilen geführt wurde, und der einzige Zeuge, außer Gott – stumm war.

Der riesige Klephte warf sich auf die Türkin – den ersten ungehört verhallenden Auffschrei der weiblichen Angst, – den Ruf: »Nicolas, herbei!« benutzte er, um den seidenen Knebel ihr zwischen die Zähne zu pressen.

Von dem Augenblicke an sprachen nur ihre Augen – eine furchtbare, jeden Anderen, als den wilden Sohn des Taygetos entsetzende Sprache.

Der Kampf des gefesselten Mädchens, während die rohe Hand des Maini's ihre Kleider in Stücken riß, war lang – schrecklich! Die Brust keuchte in dem vergeblichen Widerstand unter der riesigen Kraft des Mannes, verdoppelt durch die wilde Erregung aller Nerven und Sehnen.

Dann unterlag sie endlich – ruhig, still – mit der Gleichgültigkeit der Verzweiflung. Nur in den dunkeln, krampfhaft starren Augen lag es wie ein furchtbarer Schwur.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Zu den fünf Gefährten, die mit ihren Yatagans das Grab des erschossenen Maini's gruben, trat Demetri-Bey und nickte schweigend mit grauenhaft frechem Blick an Georg Zanet, indem er ihm den Yatagan aus der Hand nahm und selbst zu schaufeln begann.

Der Mainot George Zanet hatte eilf Augen geworfen, er ging nach der Kula.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –[73]

Nach Georg Zanet kam Hassan Stavro – acht Würfelaugen!

Ihm folgte der Vetter des Erschlagenen – Constantin Comodouro – Sechs!

Ohne ein Wort zu sprechen, lösten sich die sechs Mainoten an der Gruft ab.

Als der Letzte – Panagotti Zanetacchi – zurückkehrte, war das Grab fertig.

Jetzt entfernten sich Alle Sechs nach dem Thurm, den Todten zu holen. Sie warfen keinen Blick nach dem Opfer der furchtbaren Rache, sondern faßten stumm den Körper und trugen ihn hinaus.

An der Wand lag die Türkin, der Knebel war längst aus dem Munde gefallen – aber kein Laut hatte mehr die grimmige Resignation unterbrochen, mit der sie nach dem erschöpfenden Kampf Alles geduldet. Gleich einer Todten lag sie da – das Auge geschlossen, geisterhafte Blässe auf dem Antlitz, und ihr langes, dunkles Haar floß wirr auf den Boden. Die mitleidigere Hand des Letzten hatte die leichte Decke ihres Mantels über die Unglückliche geworfen – darunter lag sie und nur ein krampfhaftes Zucken, das von Zeit zu Zeit über ihre Glieder schauerte, verkündete das Leben in der sonst regungslosen Gestalt.

Mit demselben eintönigen Gesang, der den Tod des Kriegers begleitet, begannen sie jetzt ihn in sein Grab zu legen.

Da scholl der Ruf des Generals von der Platform des Thurmes und Nicolas Grivas sprang von seinem Posten auf der Höhe des Walles herunter in die Umringung.

In demselben Augenblicke zischte es durch die Luft und prasselte es zwischen die Erde und die Steine des Walls und die einschlagende Kugel streute sie weit umher.

Ein schwerer Stein traf die Leiche, gleich dem rächenden Donnerstrahl des Himmels, und warf sie aus den Händen der Träger kopfüber in das Grab.

Alle Sechs waren von leichten Splittern leicht verwundet, – Schrammen nur, – wenige Blutstropfen, die kein Mann achtet, am Wenigsten der wilde Krieger der Maina.

Doch – sie waren gezeichnet!

»Zu den Waffen, Kameraden, an Eure Posten!« befahl der General, von der Stiege des Thurmes herabeilend. »Die Feuer angezündet und dann deckt Euch hinter den Wällen.«

Zwei schon vorher bereitete Feuer von Reisig und Geröhr[74] im Innern des Zuganges und möglichst gedeckt, qualmten alsbald empor.

Um dieselbe lagen Bündel von trockenen Zweigen, Laub, Binsen, Gras, mit Streifen leichten Zeuges durchwunden, in welche der Mantel und Schleier der Verkleidung des jungen Griechen zerrissen worden war.

Kugel auf Kugel schlug jetzt in kurzen Pausen an Thurm und Wall und endlich, als die Artilleristen das Ziel gefunden, in die Stein- und Holzbarrikade des Einganges.

Den Vertheidigern der Palanka schadeten die Kugeln wenig, sie lagen theils im Thurm versteckt, theils wohl geschützt hinter dem Wall; die Wachen aus den Schießscharten des Thurmes beobachteten ungefährdet die Gegner.

Die Kanonade hatte eine halbe Stunde gedauert und die Barrikade des Einganges am klaffenden Felsenspalt war jetzt zerrissen.

Dann schwieg das Feuer und von der Höhe des Thurmes tönte der Ruf der Wache:

»Sie kommen.«

Die Griechen sprangen empor aus ihren Verstecks und sammelten sich um den Führer, der bereits Jedem seinen Antheil am Kampfe bezeichnet hatte.

Nur Einer – Panagotti Zanetacchi – wurde als Wache auf den Thurm zurückgesandt, die Anderen machten sich zum Kampf bereit, Jeder untersuchte sorgfältig das Schloß seiner Flinte und der langen Pistolen und lüftete den Handjar.

Frische Reisigbündel wurden auf die Feuer gelegt, die anderen näher zur Gluth geschoben; dann nahm Jeder seinen Posten am Wall ein, so gut gedeckt als möglich und doch mit freiem Blick auf den nahenden Feind.

Und er kam heran – diesmal waren es die Arnauten Selim-Bey's, geführt in Stelle des Pascha's, von Abdallah, dem jungen Emir. Auf dem Felsenwall und zu beiden Seiten desselben drängte es wieder heran in dichten bunten Haufen, jeder Mann vor sich ein oder zwei große Reisigbündel tragend, die seinem Körper zugleich Schutz gewährten gegen die Kugeln der Griechen.

Aber die Kugeln der Mainoten blieben aus; der General hatte ihnen streng befohlen, den Schuß zu sparen, bis der Feind in größter Nähe und jede Kugel ihres Zieles sicher war.

Als die Anrückenden etwa die Hälfte des Dammes zurückgelegt[75] hatten, gab der Emir, den Säbel schwingend, mit dem arabischen Kampfruf: »Allah Akhbar!« das Signal zum Angriff und die ganze Masse, etwa Dreihundert an der Zahl, von denen die Hälfte in dichten Gliedern den Damm einnahm, stürzte in wildem Lauf vorwärts.

Sie waren zwanzig Schritt vom Felsspalt, als die Büchse des Generals das Zeichen zur Salve gab. Fast gleichzeitig knallten die sechs Flinten und die Kugeln warfen die Vordersten zu Boden oder hinab vom Felskamm auf ihre Kameraden. Einige Kugeln hatten in dem dichtgedrängten Haufen Mehrere verwundet, – keine gefehlt, aber die Arnauten hielten sich nicht auf mit einer Erwiderung des Feuers, sondern stürzten mit jener Todesverachtung vorwärts, die den Moslem auszeichnet. Über Todte und Verwundete drängten die Krieger zum Rande des Felsenspaltes, auf dessen Grund zu beiden Seiten bereits die Kameraden ihre Reisigbündel emporthürmten.

Zugleich warfen sie die ihren in den Grund, und viele Leiber, von den Pistolenkugeln der Mainoten in dieser Nähe durchbohrt, halfen den Spalt füllen.

In wenig Augenblicken war die Füllung bis auf einen Nest von Mannshöhe geschehen, und die wilden Krieger stürzten sich, von den Folgenden gedrängt, reihenweise hinab und begannen an der anderen Wand empor zu klimmen, an den Zacken des Gesteins sich haltend oder Einer auf des Andern Schultern.

In der Bresche standen jetzt Grivas, sein Neffe und drei der Maini's, mit dem Säbel, der Kolbe und dem Yatagan die Heraufstürmenden abwehrend, während die beiden anderen Mainoten fortwährend die Pistolen luden, und Panagotti Schuß auf Schuß von der Höhe des Thurmes in den dichten Haufen sandte.

Das Allahgeschrei, der Kampfesruf der Anstürmenden war furchtbar, sinnebetäubend; schweigend – jeden Athemzug zu einer Kraftanstrengung sparend, kämpften die Griechen. Herüber, hinüber knatterten die Pistolenschüsse, die Gegner schauten einander in's Weiße der Augen!

Und immer höher thürmte sich die Füllung des Spaltes, Reihe auf Reihe stürzte sich hinab und klomm empor, und für den zerhauenen Schädel, die vom Arm getrennte Faust, die zerschossene Brust, drängten zehn Andere empor!

»Allah Akhbar! Zum Kampf! Zum Kampf!«[76]

Der wilde Ruf des Führers spornte sie zu immer neuen Anstrengungen.

Die Griechen waren sämtlich verwundet bis auf den jungen Grivas, der vergeblich im Handgemenge den Tod zu suchen schien – ihn floh der finstere Gesell mit jener schneidenden Koketterie des Grabes, das den Begehrenden von sich stößt.

Demetri-Bey lag, zum Tode getroffen, am Boden; Georg Zanet kämpfte, an den Wall gelehnt, aus zwei Wunden Ströme von Blut vergießend, gleich dem sein Ende fühlenden Eber.

Zwölf Augen! – Eilf Augen! Ein Teufel schüttelt die Würfel! –

Da erscholl über das Toben des Kampfes hin ein schneidender Pfiff des Generals, der im Handgemenge wie jeder seiner Krieger focht.

Die beiden Schützen am Wall sprangen zu den Feuern und rissen die flammenden Bündel heraus, mit dem Fuße neue hinein schleudernd.

Wie qualmende rauchende Ballen flogen sie im nächsten Augenblick hinunter in die Masse der stürmenden Türken.

Die leichten Gewänder erfaßten die sprühenden Funken – die Stürzenden theilten das Feuer den aufgehäuften Faschinen, der Bekleidung der Erschlagenen mit – und von der Hand der Mainoten flog Bund auf Bund, in Flammen gehüllt, hinab in den Menschenknäuel.

Ein furchtbares Geschrei stieg zum blauen wolkenlosen Himmel, eine Mauer von Rauch und Qualm wälzte sich aus der Felsspalte empor – in sie zurück warfen die Kolbenschläge und Yataganshiebe der Mainoten die verzweifelnd Emporklimmenden.

Noch wenige furchtbare Augenblicke, dann verstummte der Kampfruf vor dem wahnsinnigen Geschrei des Schmerzes und die Arnauten wandten sich auf allen Seiten zur wilden Flucht.

Vergebens waren alle Anstrengungen des jungen Führers. Die Flucht der orientalischen Völker ist nie zum Stehen zu bringen.

Sie fühlten sich erst sicher im Schutz ihrer Kanonen; – zahlreich waren die Opfer an Todten und Verwundeten. Acht Griechen hatten den Sturm von dreihundert tapfern Kriegern abgeschlagen, die Palanka seit neun Stunden vertheidigt.

Hätten jetzt die Moslems auf die zum Tode Erschöpften einen neuen Sturm mit den frischen Kräften gewagt, die ihnen zu Gebote[77] standen, so wäre der Sieg ihnen sicher gewesen. Doch mit jener Langsamkeit, welche sie charakterisirt, mußten sie erst den erhaltenen Schlag überwinden und sich auf's Neue vorbereiten. –

Sehnsüchtig wandte General Grivas vor der Höhe der Kula den Blick nach Westen, wo seine fernen Tapfern gestanden und gefochten. Der Geschützdonner hatte aufgehört und die Befürchtung lag schwer auf seiner Seele, daß der Angriff der Türken seine Schaar zersprengt habe. Zum Wahrzeichen und als trotzige Herausforderung seiner Gegner ließ der General zugleich an einer Stange auf der Brüstung des Thurmes eine aus Stücken von Bekleidung der Gefallenen roh gebildete blaue Fahne aufstecken, an welche die Mainoten von Fetzen der Fustanellen die Form des griechischen Kreuzes geheftet hatten.

Ein wildes Geschrei der Türken und das wiederholte Feuern aus ihren Kanonen antwortete dieser Herausforderung. –

In dem den Kugeln am wenigsten ausgesetzten Gefängniß Fatinitza's hatten Demetri-Bey und Georg Zanet, Beide schwer verwundet, die Stelle des jetzt begrabenen Andunah eingenommen. Die Hilfe, die ihre Kameraden ihnen leisten konnten, war gering, der Krug mit Wasser, den die Maini's am Abend von der Quelle im Thalgrunde geholt, längst erschöpft, und doch ist der Durst nach Wasser bekanntlich gerade das, was die Verwundeten am meisten quält. Der Wall war von den Kugeln der Türken jetzt so demolirt, daß an ein Halten desselben nicht mehr zu denken war, und Grivas vereinigte seine verringerten Streitkräfte in dem zweiten Stockwerk und auf dem flachen Dach der Kula, nachdem die Steine und Balken, welche zur Barrikadirung des Wallzugangs gedient hatten, zur Befestigung der schmalen Pforte verwendet worden, welche in das Innere des Thurmes führte und die zum Glück durch ihre Seitenrichtung nicht den Kugeln der Geschütze ausgesetzt war.

Zu wiederholten Malen hatte es Nicolas Grivas versucht, sich zu dem verrathenen Türkenmädchen zu begeben, doch immer wieder war er am Eingange zurückgekehrt, von dem niederdrückenden Gefühl seines Verraths und dem Gedanken an ihre verächtliche Behandlung zurückgetrieben. Fatinitza, von dem Kampfgetöse aus ihrer Erstarrung erweckt, saß jetzt, den Mantel um sich gezogen, aufrecht an der Mauer. Ihr Antlitz war noch immer todtenbleich, doch ihre Züge waren jetzt finster und entschlossen, gleich aus Marmor gehauen wie die der Medeia! Die dunklen Augen, starr und[78] unbeweglich auf die beiden verwundeten Maini's gerichtet, funkelten und glühten doch in dämonischem Feuer.

So saß sie bereits stundenlang, ohne sich zu rühren, und die wilden Söhne des Taygetos schauderten vor dem Auge des geschändeten Türkenmädchens und kehrten ihr Gesicht nach der Wand des Thurmes, um ruhiger zu sterben.

Es war am Nachmittag gegen vier Uhr, als über die Berge von Westen her von Neuem der ferne Donner groben Geschützes an das Ohr der Mainoten schlug – bald darauf konnten sie selbst die Salven des Kleingewehrs undeutlich hören.

Zugleich sahen sie, daß die Türkei vor ihnen sich zu einem neuen Angriff rüsteten.

Der General versammelte die fünf noch kampffähigen Vertheidiger um sich. – »Kameraden, Brüder des heiligen Kreuzes«, sagte er, »unsere Freunde sind uns nahe, ob Sieger oder geschlagen, wir wissen es nicht, aber wir werden uns mit ihnen vereinen können, wenn es uns gelingt, die Fahne dort oben aufrecht gegen den Sturm zu erhalten, der uns droht. Unsere Bedränger werden dann genug zu thun haben, sich selbst zu wehren. Laßt uns daher den Thurm vertheidigen bis zum letzten Blutstropfen, es ist die einzige Aussicht auf Rettung und unsere Pflicht als Söhne Griechenlands. Nur die Flinte kann uns in diesem letzten Kampfe nützen, zielt fest, laßt keinen Schuß vergebens fallen und uns jetzt noch ein Mal unsere Hilfsmittel prüfen.«

Während Zanetacchi wieder als Wache zurückblieb auf dem Dache des Thurmes, stieg der General mit den übrigen Vier hinab in das zweite, und untere Geschoß, ihnen Anweisungen zum Kampfe ertheilend. Das obere Stockwerk ragte auf breiten steinernen Trägern etwa anderthalb bis zwei Fuß über das Erdgeschoß hinaus, und die Seitenwände waren mit schiefen trichterförmigen Schießscharten versehen, so daß von hier aus die nähere Umgebung des Thurmes unter wirksamem Feuer gehalten werden konnte. Die Schießscharten der untern dicken Mauern waren dagegen, wie bereits erwähnt, so hoch angebracht, daß von Außen nicht dazu zu gelangen war. Der schmale Eingang der Kula war vollständig mit Steinen und Balken verrammelt und durch die Schießscharten über ihm gedeckt. Grivas beschloß daher, seine wenigen Vertheidigungsmittel in dem zweiten Stockwerk zu concentriren, das den Wall und den innern Ring bestrich, und in dessen Schutz sie am[79] wenigsten den Kugeln der Gegner ausgesetzt waren. Um die Verwundeten dahin bringen zu lassen, betrat er die hintere Abtheilung – Nicolas und die drei Maini's folgten ihm.

Der junge Mann vermied, das Auge auf das Mädchen zu richten, und trat mit dem Oheim zu den beiden Verwundeten. Die Verblutung war indeß so stark gewesen und die Beschaffenheit ihrer Wunden so gefährlich, daß ein Transport in das obere Stockwerk ihnen unzweifelhaft große und nutzlose Schmerzen verursachen mußte; der General entschied daher, daß sie gelassen werden sollten, wo sie waren, da sie hier fast eben so sicher sich befanden. »Auch die Türkin mag hier bleiben«, befahl er, »sie ist hier am wenigsten im Wege.«

Jetzt erst wagte der junge Mann einen hastigen verstohlenen Blick auf das Mädchen, aber so kurz er auch war, zeigte er ihm doch die Zerstörung in ihrem Äußern, und er sprang wie vom Blitz getroffen auf sie zu mit dem Ruf: »Fatinitza – was ist geschehen? – um der Panagia willen, sprich!«

Mit einer rachsüchtigen Gleichgültigkeit gegen das Heiligste des Weibes warf das Mädchen durch eine Bewegung den Mantel von ihren Gliedern, und die um Brust und Hüften hängenden Fetzen ihrer Kleidung zeigten der Schaam Hohn sprechend den furchtbaren Kampf, den sie bestanden, und verriethen das schändliche Verbrechen, das an ihr verübt worden war.

Selbst der wilde Führer der Klephten schauderte zurück.

Die Stirnadern des jungen Mannes schwollen zu rothen Strängen an, nachdem Todesblässe einen Moment lang sein Gesicht bedeckt. Dann drehte er sich wild zu dem Kreise seiner Gefährten und seine Augen schienen Blitze zu sprühen, während seine Hand die Pistole aus dem Gürtel riß und den Hahn spannte.

»Verfluchte! – Ihr!«

In diesem Augenblick vernahm er das erste Wort von den Lippen des Mädchens, seitdem er sie verrathen. Sie schnellte empor auf ihre gebundenen Füße, und die gefesselten Arme von sich streckend, warf sie sich zwischen ihn und die Maini's, die bereits gleichfalls zu den Waffen gegriffen. Ihre Augen sprühten Haß und Verachtung, der Ton, mit dem sie ihm ihr »Halt ein, Verräther!« zuherrschte, schien von den Steinmauern wieder zu gellen.

»Nicht Du!« sagte sie mit bitterer Verachtung, »nicht Du, meineidiger Christ! Dein eigen ist Fatinitza's Schande, und verflucht[80] und verfolgt sei'st Du dafür bis zum Ende der Tage, das Dein Prophet verkündet hat!«

Dann sank sie zurück auf das Lager und blieb in finsterm Vorsichhinstarren gleichgültig gegen ihren Zustand liegen.

Der junge Mann hatte das Gesicht in seine Hände verborgen, denen die Pistole bei den vernichtenden Worten entfallen.

Der General schaute finster aus die Maini's. »Wer hat das gethan gegen meinen Befehl?«

»Wir Alle,« sagte trotzig Comodouro. »Dein Befehl, General, lautete, uns nicht am Leben der Türkin zu vergreifen! Was wir gethan, war das Vermächtniß unsers sterbenden Bruders – sein Tod ist gerächt worden an seiner Mörderin.«

Ein halb mitleidiger Blick des wilden und grausamen Häuptlings streifte die Unglückliche; dann wandte er sich schweigend nach dem Eingang und führte seinen Neffen hinaus.

Zur selben Zeit klang von der Höhe der Allarmruf Panayotti's: »Zu den Waffen! Die Moslems kommen!« und die Mainoten stürzten an ihre Posten. –

Fatinitza war mit den Verwundeten allein – mit wildem Frohlocken haftete ihr Blick auf der geschlossenen Thür und hörte sie den drohend näher dröhnenden Schlachtruf ihres Volkes, das »Allah il Allah!« das wild an allen Seiten der Palanka empor zu gellen schien.

In der That rückten die Türken diesmal von allen Richtungen gegen die kleine Feste, nur Wenige zurücklassend zum Schutz des verwundeten Pascha's und der Geschütze. Die Flintenschüsse der Araber, der Arnauten und des Nizams krachten vereint gegen den Thurm, und von den vier Seiten suchten die Moslems das Plateau, zu ersteigen.

Kugel auf Kugel aus den Schießscharten der Kula traf unter die Stürmenden, – jede Kugel warf ihren Mann von der erstiegenen Felswand, aber den Stürzenden folgten Andere, und die sechs Flinten der Vertheidiger konnten die Überzahl nicht zurückhalten, der jubelnde Ruf der Arnauten und der Ansturm gegen die Barrikade des Eingangs verkündeten bald der Türkin, daß die Ihren Meister des Plateau's geworden.

Hierhin an die Schießscharten, welche die Pforte bestrichen, warf der General jetzt seine besten Schützen, während die Übrigen[81] fortwährend die abgeschossenen Flinten luden. Ein Wall von Todten lag bald vor dem Eingang.

Das wilde Getümmel der Schlacht war der Augenblick, den die Wölfin von Skadar ersehnt. Das mißhandelte Mädchen erhob sich aus die Knie, – auf den Knieen rutschte sie langsam den beiden Verwundeten näher – die Augen mit teuflischer Freude auf diese geheftet.

Die sterbenden Mainoten sahen sie auf sich zu kommen, – näher und näher, gleich dem finstern Engel des Todes.

Sie blickten dem großen Würger furchtlos und trotzig in's Angesicht, aber sie begannen sich zu fürchten vor dem dämonischen Auge des rächenden Weibes.

Vergeblich versuchten sie zurückzuweichen, – ihre Glieder waren machtlos, die Arme bleischwer von dem vergossenen Blut; bei dem Bemühen, sich zu erheben und der Feindin zu begegnen, lösten sich die leichten Verbände, und auf's Neue quoll der rothe Lebenssaft aus den geöffneten Wunden.

Jetzt versuchten sie zu schreien, – der wüste Demetri-Bey rief angstvoll nach seinen Gefährten.

Ihr schwacher Ruf verklang unter dem Krachen der Flinten hoch vom Thurm, rings um den Thurm.

Jetzt war das Türkenmädchen am Nächsten – Demetri; – langsam, unter dämonisch befriedigtem Lächeln ihrer scharfen Züge erhob sie die gefesselten Hände und faßte das. Messer, das in dem Gürtel des Mainoten steckte.

Er vermochte nicht zu hindern, daß sie es hervorzog.

Dann beugte sie sich über ihn, – das Auge des Dämons haftend auf dem bangen starren Blick des Sterbenden. – –

Die gefesselte Hand stieß das Messer ihm zwischen die Zähne und bohrte es tief und immer tiefer bis zum Griff in den Hals des Maini's, die Zunge zerschneidend, die Röhren und Arterien des Lebens zerreißend.

Ein Strom dunklen Blutes quoll den zerschnittenen Hals herauf und floß über die Lippen; – auf diese bleichen und kalten Lippen, die frech und frevelnd die ihren entweiht, heftete der Dämon in Weibergestalt – der Vrokoklak – die seinen und tränkte sie mit dem Blute.

Dann erhob sie sich blutig und finster wieder auf die Knie und kroch zu ihrem zweiten Opfer.[82]

Andreas Zanet hatte mit stierem Auge das Ende seines Gefährten geschaut – der Todesschweiß der Angst perlte auf seiner Stirn, denn er zweifelte keinen Augenblick, den bösen Geist, den Vampyr vor sich zu sehen, der das Blut trinkt und die Seelen dem, ewigen Pfuhl überliefert. Aller Aberglauben seiner Religion füllte seine Seele und verzweifelnd sah er sich diesseits und jenseits verloren.

Die Vrokoklak war über ihm – sein Schicksal erfüllt – –

Lautlos, nur von den Schüssen der Stürmenden umdonnert, wiederholte sich die schreckliche Scene.

Dann kroch sie zurück, die junge schöne Megäre, das Pistol, das der verrätherische Geliebte von sich geworfen, unter ihrem Lager verbergend.

Fort und fort hörte sie die Schüsse um sich herkrachen – dann erhob sich plötzlich auf der Höhe des Thurmes ein lautes wildes Triumphgeschrei, das über den Lärm des Kampfes hinausgellte. Denn auf den Berghöhen im Westen zeigten sich starke Schaaren griechischer Krieger und begannen herabzuströmen. In ihrer Mitte flatterte die blaue Fahne mit dem weißen Kreuze.

Wie aus Verabredung schwieg für Minuten lang der Kampf an und aus der Kula.

Man konnte jetzt in größerer Nähe über den Bergen die Salven eines heftigen Gefechts hören, das die auf dem Rückzug begriffenen Schaaren des Generals Grivas an Abdi-Pascha lieferten.

Immer neue Abtheilungen quollen über die Bergkuppen, – von der Kula aus konnte man sehen, wie sie sich zum Angriff sammelten.

Deutlich konnte der General durch sein Fernrohr die Seinen erkennen – Anastasius Caraiskakis, den Czernagorzen Bogdan.

Vom Schmerzenslager des Pascha's her jagte Bote auf Bote, dem jungen Führer der Stürmenden den Befehl zum Rückzug zu bringen. Die steinernen Mauern der Kula trotzten seinem Zorn – die melancholischen Töne der gebogenen Hörner des Nizams gaben endlich das Signal zum Sammeln, und zähneknirschend führte der Emir die Seinen zurück zum Lager des Bey's, wo ihre Colonnen gegen die anrückenden Griechen Position nahmen.

An hundert Todte und Verwundete hatten die Türken in den drei Stürmen aus die Palanka verloren; zwölf Stunden lang hatte Grivas mit seinen acht Kriegern dieselbe gehalten! –[83]

Aus Ästen und Lanzen war schon früher eine Tragbahre gefertigt worden für den schwer verletzten Pascha. Auf dieser wurde er jetzt weiter geschafft, und langsam traten die Türken ihren Rückzug nach der Richtung des See's vor den andrängenden Griechen an und waren bald im Rücken der Palanka. In einiger Entfernung nahmen sie eine günstige Stellung ein und begannen von hier aus mit ihrer einen Kanone die Griechen ziemlich unschädlich in dieser Weite zu beschießen. Das andere Geschütz fiel in die Hände der Feinde, da es den Topschi's1 nicht möglich war, es so rasch von dem Felsengrate zurück zu schaffen, doch konnte es von jenen nicht benutzt werden, da es ihnen an Munition fehlte.

Jubelnd warfen sich die verwundeten Mainoten auf die Barrikade, die sie gegen die Feinde geschützt, und noch ehe ihre Befreier den Felsenaufgang erreicht hatten, waren die Balken und Steine fortgeräumt, von den erstern der Übergang über die Felsspalte hergestellt, in der noch die Leichen der Arnauten lagen, und Grivas mit den Mainoten eilte den Befreiern entgegen.

Es war wenig Zeit zu verlieren, denn Abdi-Pascha, der im Lauf des Morgens Verstärkungen aus Janina an sich gezogen, bedrängte hart den Rückzug der Griechen. Er hatte am Morgen den Posten des Capitani Caraiskakis angegriffen, als dieser eben erst durch den Knaben Mauro die Kunde von dem Leben seines Bruders und der Gefahr des Generals erhalten und eilig Boten nach dem Obersten Stratos gesandt hatte. Dieser bald darauf von dem Nizam Abdi-Pascha's und den Ägyptern von Arta her bedrängt, ohne daß General Tzavellas ihm zum Beistand eilte, schlug sich durch die Erstern, vereinigte sich mit der stark gelichteten Schaar des Caraiskakis, der bis Mittag sich am Kloster tapfer gehalten, und setzte mit ihm den Rückzug gegen Metzovo fort, Beide kaum noch hoffend, den General unter den Lebenden anzutreffen.

Um so größer war der Jubel und der Feuereifer der Griechen, als sie die improvisirte Fahne von der Brustwehr der Kula wehen und zugleich die Bedrängniß der Ihren sahen, und Caraiskakis hatte alsbald zum Angriff gerüstet, während Oberst Stratos noch auf den Berghöhen die Türken in Respekt hielt.

General Grivas übernahm nach einer kurzen freudigen Bewillkommung[84] seines Neffen sofort den Oberbefehl; und als ihm Anastasius und Bogdan sagten, daß sein Stiefneffe Nicolas in Janina am Leben, theilte er ihnen zu ihrem Staunen mit, daß derselbe den Heldenkampf der Verteidigung der Palanka mitgefochten und in wenigen Augenblicken sie selbst begrüßen werde. Ein Wink von ihm jedoch wehrte sie von der Palanka ab mit dem Bedeuten, daß Jener dort noch einen Auftrag allein zu vollziehen habe.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Während der General und seine vier verwundeten Mainoten zu den Freunden eilten, trat der junge Grieche in das Gefängniß Fatinitza's. Ein kurzer Blick auf die Maini's überzeugte ihn, daß sie todt, und näher tretend, kniete er an ihrem Lager nieder und durchschnitt schweigend die Bande an ihren Händen und Füßen.

»Fatinitza,« sagte er dann weich und stehend zu ihr, »höre mich, denn wenige Augenblicke nur sind mir und Dir zur Entscheidung vergönnt. Was ich gethan – meine Flucht, die Warnung an die Meinen – ich will es jetzt nicht verteidigen. Mein Bruder, mein Oheim waren unter den Bedrohten. Bei dem ewigen Gott, zu dem Christen wie Türken beten, ich konnte, ich durfte nicht anders, aber ich bin schuldlos an der Schmach, die Dich betroffen hat und bereit, sie mit meinem Herzblut zu sühnen oder zu rächen.«

Das Mädchen verharrte in ihrem verächtlichen Schweigen, ihr Blick war von ihm abgewandt.

»Höre mich, Fatinitza – wir sind Beide jetzt frei und im Schutz meines Oheims – folge mir nach Chios, wo meine Mutter ein kleines Eigenthum mir hinterlassen, fern von dieser Stätte und diesen blutigen Menschen. Folge mir und sei mein Weib.«

Dasselbe Schweigen.

»Fatinitza,« – flehte er verzweifelnd, – »so laß mich Dir folgen – ich will Dein Sclave sein, – Dich lieben – ich – will den Glauben Deines Propheten zu dem meinen machen, nur gegen mein Volk kann ich nicht kämpfen!«

Die Mirditin schaute ihn durchdringend an.

»Du brauchst den Glauben Deines Kreuzes nicht zu verrathen, meineidiger Christ,« sagte sie finster, – »Dein Weg geht dorthin – der meine dahin! Verlaß mich!«

»Fatinitza – höre mich!«

Er lag zu ihren Füßen.[85]

»Kannst Du vergessen,« unterbrach sie ihn mit finsterm Hohn, auf ihre zerrissenen Kleider deutend, – »Fatinitza, die man die Wölfin von Skadar nennt, und die eine Taube war gegen Dich, wird es nie! Ein Mal verzieh ich Dir den Verrath, denn ich liebte Dich! Jetzt hat meine Seele nur Haß für Dich und Deine Christenbrüder! Sieh hin – nicht an den Kugeln der Meinen starben die Beiden, Fatinitza's Hand sandte sie zur Hölle, ihre Lippen tranken ihr Blut, wie sie geschworen beim Grabe ihrer Mutter in furchtbarer Stunde. – Geh'! – Vier leben noch – Du bist der Fünfte, und wir sehen uns wieder!«

Er schauderte unter ihrem Auge und barg das Gesicht in den Händen. Endlich erhob er sich – überzeugt, daß jedes seiner Worte vergeblich wäre.

»So lebe denn wohl – Weib ohne Herz und ohne Vergebung – lebe wohl und möge Allah Dir gnädig sein, wie Gott meine Schuld mir an Dir vergeben möge. Ein Dämon hat mich in Deine Arme geführt, und ein Dämon, Du selbst, treibt mich von Dir. – In dem Vorderraum der Kula steht das Pferd des Arabers, – Nicolas Grivas ist kein Dieb an fremdem Eigenthum, – nimm es und kehre zu Deinem Vater zurück. In einer Stunde ist der Weg frei – ich werde sorgen, daß bis zu unserm Abzug Keiner den Thurm betritt, denn Bogdan, Dein Todfeind, ist unter den Meinen.«

Sie sah ihn kalt und verächtlich an und deutete nach der Thür, – noch einen Blick warf er auf sie, dann entfloh er.

Sie war wieder allein mit den Leichen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Allein war sie noch am Abend, als die ersten Sterne am Himmel zu funkeln begannen, denn Nicolas hatte sein Wort gehalten und jede Annäherung der Seinen an die blut- und fluchbedeckte Kula verhindert. Ohnedies blieb den Griechen wenig Zeit dazu, denn der General Grivas setzte eilig den allgemeinen Rückzug nach Metzovo hin fort, wo er die Führer in Thessalien an sich zu ziehen und so verstärkt auf's Neue, den Türken die Spitze zu bieten hoffte, die ihn noch eine Strecke weit verfolgten. – –

Von der Höhe der Kula hatte sie den Abzug der Griechen und der Ihren verfolgt. Mit jenem raschen Übergang des Tages zur Nacht, den die südlichen Länder bieten, wölbte sich über ihr bereits der dunkle Himmelsdom mit tausend blitzenden Sternen.[86]

Sie führte das Roß des Arabers hinaus aus dem Thurm und über den Felsendamm, auf dem noch die Leichen der Ihren der bergenden Erde harrten, in's Freie. Dort stand sie, an die Kruppe des Pferdes gelehnt, und schaute hinauf in die helle schöne Nacht, gleich als suche sie da mit den großen brennenden Augen Trost und Frieden, und die stürmisch schwellende Brust saugte gierig die kühle Luft des Abends, die Orangen- und Myrthendüfte, die der Windhauch der Gebirge von den elysäischen Gärten herübertrug.

Aber in dieser Brust blühte kein Paradies, schwarz und schwer wogte das Meer der Gedanken und Gefühle gleich dem acherontischen Strom, und in ihrem Herzen herrschten die Eumeniden, deren grauenvoller Altar einst wenig Meilen davon im pelasgischen Tempel von Paleassa, dem Paleste der Alten, an den acroceraunischen Küsten stand.

Einsam war sie und allein – sie wußte wohl, daß keine Heimkehr war zu den Ihren und daß selbst die Liebe des Vaters ihr nicht verzeihen durfte gegen die Sitten des Volkes, die streng und unnachsichtlich jeden Fehltritt des Weibes mit dem Tode bestrafen. Einsam und allein – verrathen von dem Geliebten, alle dämonische Gluth – allen dämonischen Haß allein im Busen tragend – kein Wesen auf der weiten Welt, das jetzt zu ihr stand, der Verlassenen, das Theil nahm an ihrem Kampf. – –

Und dennoch irrte sie sich! – Was raschelte durch die Oleander- und Myrthenbüsche und kam daher in langen Sprüngen und kos'te mit der lechzenden Zunge ihre Hand? – Scheitan, der Molosserhund, die treue Dogge, die den Wolf ihr ersetzt hatte, den Nicolas Grivas im Kampf für den Blutbruder ihr erschlagen.

Wenn der Albanese eine lange Reise antritt, wenn er auszieht, der Landsknecht des neunzehnten Jahrhunderts, der Schweizer des Morgenlandes, als Söldner zu dienen in den Corridors des Vatikans, im Schloß von Neapel, wie in den Serails von Bagdad, Cairo und Marocco, auf den Kreidewällen Malta's und in den Hallen der moldau-walachischen Bojaren, näht ihm sein Weib in seine Kleider einige Stücken von ihren eigenen Gewändern, so wie sie ihrerseits das, was ihrem Gatten am theuersten ist, bei sich behält. Diese Gegenstände hat sie immer unter den Augen, um daraus eine Vorbedeutung zu entnehmen. Bellt dann des Nachts ohne besondere Veranlassung sein Hund, so ist sie in bangster Sorge, denn sie weiß, daß er die Wehklagen seines Herrn erwiedert, der[87] eben in der Sandwüste von Tunis oder Palmyra gefangen genommen, oder vielleicht gar ermordet wird!

Um die Mittagszeit des Tages hatte die Dogge, die im Castro von Janina bei der stummen Sclavin Äjischa zurückgelassen worden, ein jammervolles Geheul erhoben, wie die Hunde thun, die den Sterbenden wittern, und ihre Pfoten hatten an den verschlossenen Thüren gekratzt. Da hatten die Wache haltenden Arnauten, das Omen achtend, die Thüren geöffnet, und hinaus und davon in mächtigen Sprüngen schoß die Dogge.

Als sie zu ihren Füßen sich schmiegte, mit jedem schmeichlerischen Zeichen der Treue und Anhänglichkeit, da wurde es zum ersten Male wieder warm um das Herz des wilden, verrathenen und geschändeten Mädchens, und sie beugte sich über den Hund und erwiederte seine Liebkosungen.

Dann bestieg sie das Roß und ritt langsam, von der Dogge gefolgt, das Thal entlang in der Richtung, wohin ihre Krieger gezogen – – – – – – – – – – – –

Die Truppen der Pascha's von Skadar und Janina hatten die Griechen noch eine kurze Strecke aus dem Wege nach Gozista und Metzovo hin verfolgt und sich dann nach Dervendzista zurückgezogen. Es war in der Nacht, als Fatinitza die Nähe des Dorfes erreichte, und an den weißen Gewändern erkannte sie, daß die Araber des Emirs die äußeren Posten hielten.

Sie näherte sich dem Einen und auf seinen Anruf antwortete sie, ohne sich zu erkennen zu geben und verlangte, den Emir zu sprechen. –

»Bist Du ein Kind des Propheten,« sagte der Araber, »so bleibe an jenem Feigenbaum und versuche nicht, Dich zu nähern, denn unsere Befehle sind streng. Der Emir wird in einer Stunde hier vorüberkommen, denn sein Haupt kennt den Schlaf nicht, wenn er auf den Fersen der Feinde ist und seine Seele ist traurig um den Verlust seiner geliebten Stute Eidunih.«

»Ich kann sie ihm wiedergeben.«

»Gesegnet sei alsdann Deine Hand. Aber bleibe, wo Du bist.«

Die Mirditin verweilte, in ihren Mantel gehüllt, stumm an der angewiesenen Stelle. Nach einer Stunde erschien in der That Abdallah ben Zarugah, und als ihm der Araber verkündet, daß ein Bote in der Nähe, der ihm seine Stute zurückbringe, eilte er hastig dahin.[88]

Im ersten Augenblicke erkannte er Fatinitza nicht, die ihr Antlitz in ihrem zerrissenen Schleier nach türkischer Sitte verborgen, und die Freude über das Wiederfinden seines geliebten Pferdes beherrschte ihn ganz.

»Du gehörst sicher zu den guten Geistern dieses Landes, Frau,« sagte er, »daß Du mir zurückgiebst, was ich verloren glaubte für immer. Wie kann Abdallah Dir danken dafür?«

»Sage mir, Sohn der Wüste,« entgegnete leise Fatinitza, »wie es Selim-Bey, meinem Vater ergeht?«

»Fatinitza?!« rief der Krieger erstaunt, denn auch er hatte mit den Andern in der Ferne die Gestalt Aphanasia's, der Frau des Primaten, unter den abziehenden Griechen für Fatinitza gehalten.

»Still, Araber – der Name sei todt für Deine Lippen. Ich gab Dir Dein Pferd, beantworte meine Frage.«

»Unglückliche,« sagte der junge Mann, »ein Zauber hat Deine Sinne verwirrt und Dich in die Arme der Christen geführt. Dein Vater ist zwar noch am Leben, aber tödtlich verwundet von jenem unglücklichen Sturz. Wir haben ihn nach Janina gebracht und ihn einem weisen Hekim übergeben. Aber er hat einen Eid gethan bei seinem Bart, daß sein Auge die Reuige nicht wieder schauen will.«

Das Mädchen lachte grell aus. – »Die Reuige? – Kennt Selim-Bey die Tochter seines Fleisches so wenig? – Ich erwartete den Fluch meines Vaters und dennoch hätte Selim nicht also handeln sollen an seinem Blut. Lebe wohl, Araber, und wenn Du den Pascha noch lebend wiedersiehst – sage ihm: Fatinitza, die Wölfin von Skadar, Selim's Tochter, habe das Toskenblut ihrer Mutter in den Adern und werde leben, um sich und ihn zu rächen.«

Sie wandte sich zu gehen, doch der Araber hielt sie am Mantel zurück. Der Herabfallende zeigte im Mondlicht das Mädchen im Männergewand der griechischen Krieger; die Todten in und vor der Palanka hatten ihr Kleidung und Waffen zur Genüge geliefert.

»Harre noch einen Augenblick,« sagte der Emir. »Kann Abdallah ben Zarugah Etwas thun für Dich? Sein Herz ist bei Deinem Unglück.«

Sie nickte verneinend2, dann, sich besinnend, deutete sie auf[89] den Hund. »Nimm Scheitan zu Dir,« sagte sie, »und bewahre ihn mir, bis ich ihn fordern lasse. Er ist treu, aber mir hinderlich auf dem Weg, den ich jetzt gehe. Werdet Ihr die Christen verfolgen?«

»Wir erwarten die großen Büchsen von Janina,« berichtete der Emir. »Wenn die Sonne zum zweiten Mal über jene Berge kommt, werden wir auf ihren Fersen sein. Nimm diesen Ring, Mädchen, er ist geweiht an der schwarzen Kaba von Mekka und ein Kleinod der Zarugah. Wenn Du ihn Einem meines Stammes zeigst, wird er Dir beistehen bis zum Tode.«

Sie nahm den Ring. »Lebe wohl!« – als er von dem letzten Gruß wieder empor schaute, war sie verschwunden. –


Am nächsten Mittag stand Grivas mit seiner stark geschmolzenen Schaar, die kaum noch Zweitausend zählte, vor den Thoren Metzovo's. Hier hatte nach längerem Streit der türkisch und griechisch gesinnten Partei die letztere die Oberhand behalten und öffnete dem General die Thore, der sich alsbald zum Oberherrn der Stadt machte und der Bevölkerung eine Steuer von 200,000 Piastern (10,000 Thlr.) auferlegte, die auch willig bezahlt wurde. Die größern Opfer jedoch, die Grivas nach zwei Tagen ihnen für die Sache des Freiheits-Kampfes ansann, indem er von den Notabilitäten und Reichen der Stadt die Darbringung ihrer silbernen und goldenen Luxusgegenstände als freiwillige Gabe verlangte, erregten Unzufriedenheit unter den Bewohnern.

Unterdeß rückte Abdi-Pascha auf die Nachricht von der Besetzung Metzovo's mit frischen Truppen und einer ziemlich zahlreichen Artillerie gegen die Stadt, und die Uneinigkeit unter den griechischen Führern sowohl in Albanien als Thessalien ließ sie den General nicht in der Behauptung dieses Knotenpunktes der Straßen nach dem Epirus, Macedonien und Thessalien unterstützen.

Am 18. April kam es vor Metzovo zu einem harten Treffen und Grivas wurde vollständig geworfen und gewann kaum Zeit, sich nach der Stadt zurückzuziehen, der für den nächsten Tag schon ein ernster Angriff drohte. Der General sah ein, daß er sich hier nicht länger zu halten vermöge, und er beschloß die Verwüstung der bisher blühenden und wohlhabenden Stadt und den Rückzug[90] gegen die Quellen, des Asprospotamos – des Achelaus der Alten, und Radartzi.

Es war am Abend des Schlachttages, als der General in den Straßen der Stadt das Schicksal derselben und den Befehl verkünden ließ, daß die Einwohner sich in der Hauptkirche versammeln sollten, die zugleich zur Aufnahme der Verwundeten, über 200 an der Zahl, gedient hatte. In Zeit von einer Stunde waren mehr als 4000 Personen in der Kirche und deren Umgebung versammelt, mit bleichen, angsterfüllten Gesichtern des Kommenden harrend.

In der Kapelle der Kirche, auf den Stufen des Altars lag in den Armen einer Frau ein schwer verwundeter Krieger, Anastasius Caraiskakis, der tapfere Capitano des Postens am Kloster der armen Heiligen. Eine Kanonenkugel hatte ihm im Treffen des Tages das Bein unter dem Knie zerschmettert und bei dem Mangel an ärztlicher Hilfe war die Amputation des Beines, die allein ihn hätte retten können, unterblieben. In seiner Nähe lagen zwei der tapfern und wilden Maini's die den Thurm von Protopapas vertheidigt: Hassan Stavro und Georg Mauromichalis, und im Kreise umstanden ihn seine tapfern Kämpfer, an seiner Seite Grivas und der junge Czernagorze, der mit Löwenmuth die Schlacht mitgeschlagen.

Kummer und Schmerz lag auf dem strengen Antlitz des Führers, als er sich niederbeugte zu dem verwundeten Neffen.

»Deine Krieger, Anastasius,« sagte er leise, »haben mich um die Erlaubniß gebeten, Dich auf ihren Schultern mit sich fortzutragen beim Aufbruch.«

»Wozu?« fragte ruhig der Kranke, »hast Du Thiere und Karren genug aufgetrieben, um alle unsere verwundeten Brüder mit mir fortzuführen?«

»Du weißt, daß es unmöglich ist; nicht den zehnten Theil Derer, die uns nicht selbst folgen können, vermag ich fortzuschaffen. Unser Rückzug muß eilig sein und in spätestens zwei Stunden beginnen.«

»Du kennst alsdann, was wir beschlossen,« sagte der Verwundete ernst, »und Du wärest nicht würdig, der Führer freier Männer zu sein, wenn Du schwanken wolltest in diesem Entschluß, weil Anastasius Caraiskakis Dein Neffe unter denen ist, welche Euch vorangehen.«

Der General schaute ihn schmerzlich an.[91]

»Dein Bruder Nicolas hat mich verlassen, nachdem die Jungfrau ihn uns kaum zurückgegeben. Er weigerte sich, zu kämpfen in unsern Reihen und ich ließ ihn ziehen. Du bist der Letzte meiner Anverwandten, der stets zu mir gestanden, und ich kann Dich nicht missen. Es ist noch Rettung für Dich, wenn wir den fränkischen Arzt erreichen, der den Capitano Chatzi begleitet.«

»Kann ich gehen?« fragte der Kranke.

»Nein.«

»Ist ein Krieger des Kreuzes besser denn der Andere?«

»Nein – aber«

»Willst Du mich lebend in die Hände der Moslems fallen lassen, die ihre Schmach von Protapapas zu rächen haben?«

»Bei der Panagia – eher will ich selbst sterben.«

»So geh', Oheim Grivas, und thue, was wir beschlossen. Diese elenden Feiglinge von Metzovo, die, wenn sie und die verrätherische Schaar von Hadschi-Petros tapfer zu uns gehalten, uns den Sieg verschafft hätten, mögen wenigstens die Mittel geben, den heiligen Kampf des Kreuzes fortzuführen. Geh!«

Der General erhob sich; in den Falten seiner Stirn lag jener kalte Entschluß, der vor Nichts mehr zurückbebt und dem ebenso die richtende Stimme der Mitwelt gleichgültig ist.

In der That haben auch selbst die griechischen Zeitungen3 für die nachfolgend beschriebenen Handlungen – die wir keineswegs auch nur entschuldigen wollen, die aber eine furchtbare Nothwendigkeit veranlaßte – den General auf alle Weise angegriffen und herabzuziehen gesucht, wie viel mehr erst die westmächtliche Presse!

Der General trat in die Kirche auf die Stufen des Hochaltars, nachdem er einigen Capitani's Befehle gegeben. Ohne daß sie es merkte, wurde die in und vor der Kirche versammelte Menschenmasse von einer Chaine der griechischen Krieger umgeben. Mit wenigen Worten verkündete Grivas den ängstlich harrenden Einwohnern, daß er in zwei Stunden die Stadt verlassen werde, daß es aber seine Sicherheit erfordere, diese zum Theil zu zerstören. Dabei wiederholte er das Verlangen der Auslieferung alles Goldes und Silbers, da der Kampf für die Freiheit ein solches Opfer auf dem Altar des Vaterlandes fordere. Zugleich[92] wurden Tücher und Teppiche auf den Stufen ausgebreitet zur Empfangnahme dieser Gaben.

Dennoch flossen diese nur spärlich. Da, auf einen Wink des Generals, begannen die Klephten die Kirche zu räumen, indem sie die unglücklichen Einwohner, die natürlich bei der Nachricht von der drohenden Zerstörung der Stadt Alles, was sie an werthvollem, tragbarem Eigenthume besaßen, mit sich genommen, in kleinen Abtheilungen herausholten, sie alles Schmucks und aller Gold- und Silbersachen beraubten, und sie dann in die Stadt jagten, unbekümmert um das Zetergeschrei, das diese Gewaltthat verursachte.

Die Beute war ungeheuer. Bei der Fingerfertigkeit und Übung der räuberischen Klephten war dieser erste – wir möchten sagen merkantile – Akt des furchtbaren Drama's in einer Stunde abgespielt. Dann begann der zweite, blutige.

In vollen Pontifikalibus, mit den Diakonen voran, bleich und zitternd vor dem schrecklichen Auftrag, der ihm geworden, aber gezwungen von den ihn mit den geladenen Gewehren umgebenden Kriegern, trat der Bischof von Metzovo aus der Sacristei und schritt zum Hochaltar. Hinter ihm drein wurden der verwundete Caraiskatis und die beiden Mainoten getragen und auf die Stufen zwischen die Haufen von Kostbarkeiten niedergelegt.

Eine lautlose Stille trat ein, dann sprach der General mit fester tiefer Stimme:

»Brüder des Kreuzes, die heute mit mir in der Schlacht gestanden gegen die ewig verfluchten Moslems, und verwundet in diesen Hallen liegen, ich fordere alle Die auf, die Kraft genug in sich fühlen, unserem Ausmarsch sich anzuschließen, ohne uns hinderlich zu werden, jetzt die Kirche zu verlassen und an das Thor von Larissa sich zu begeben.«

Mehrere, die leichter verwundet, oder von einer bangen Ahnung getrieben waren, erhoben sich und schwankten den Thüren zu. Die Reihen öffneten sich vor ihnen, ohne ihnen Hilfe zu leisten; Einhundertfünfundsechszig Verwundete blieben zurück. Auf einen Wink des Generals wurden sie sämtlich im Halbkreis um den Hochaltar gelegt.

Dann begann der Bischof eine Messe zu lesen. – Viele schauten sich befremdet an – es war eine Todtenmesse.

Mit feierlicher leiser Stimme sprach der Geistliche ein ehrwürdiger[93] Greis im Silberhaar mit langem weißem Bart, am Schluß den Segen über die Versammlung.

»Brüder!« sagte hierauf der General mit dumpfer zitternder Stimme, »unsere Zeit ist gekommen! Es ist unmöglich, Euch fortzuschaffen – mit blutendem Herzen verkünde ich's Euch – Ihr müßt hier zurückbleiben.«

Ein tiefes schmerzliches Ächzen ging durch die traurige Versammlung.

»Wollt Ihr den Feinden Eures Glaubens, den Tyrannen Eures Vaterlandes lebendig in die Hände fallen?«

»Nimmermehr!« rief mit festem Tone Caraiskakis. »Niemals!« wiederholten die beiden Mainoten an seiner Seite und »Niemals!« klang es von verschiedenen Seiten.

»Was wollt Ihr dann? – sprecht – meine Augenblicke sind gezählt!«

»Den Tod! – Den Tod von Bruderhand! – Den Tod für die Freiheit statt der Martern der Barbaren!«

Keine Stimme wagte den festen stolzen Worten des sterbenden Capitani's zu widersprechen, – der Stolz des Kriegers unterdrückte bei Vielen die bleiche Furcht.

»So sei es denn, und mögen Euch Gott und die Jungfrau gnädig sein und Eure unsterblichen Seelen in das Himmelreich aufnehmen. Amen!«

Und wiederum winkte er mit abgewandtem Gesicht dem Bischof und der Greis stieg herab, das Allerheiligste in der Hand, und begann mit seinen Diakonen die Reihen der Blutenden zu durchwandeln und ihnen die Sterbesakramente auszutheilen.

An der Seite seines Neffen kniete der General, Abschied von ihm zu nehmen für dieses Leben. An dessen andern Seite war Aphanasia, die Griechin, bleich und ruhig, die Hand des dem Tode sich weihenden Helden in der ihren. Mit Befremden blickte der General sie an, als sie nach dem Freunde gleichfalls die Hostie aus der Hand des Priesters empfing und ihre Lippen das heilige Blut berührten.

»Was thust Du, Frau? es ist Zeit, daß Du scheidest von dieser furchtbaren Scene. Entferne Dich – ich werde für Deinen Schutz Sorge tragen.«

Die Frau sah ihn trübe lächelnd an. »Das heilige Sakrament,« sagte sie ruhig und ernst, »das uns einst für das Leben vereinigen[94] sollte hat uns wenigstens zum Tode verbunden. Trenne die nicht nochmals von dem Manne ihrer Liebe, Grausamer, die Du von dem Manne ihrer Pflicht getrennt hast. Aphanasia Delanyi hat keine Wahl mehr, als zu sterben mit Anastasius Caraiskakis!«

»Wahnsinnige – denkst Du nicht an Dein Kind?«

»Du nahmst ihm den Vater – möge es auch die Mutter vergessen lernen. Bring' es an meiner statt den Meinen und möge die Jungfrau es segnen.«

»Vertraue mir das Mädchen, Frau,« sagte eine jugendliche Stimme an ihrer Seite, »ich werde es schützen mit meinem Leben, wie ich es auf dem Wege hierher geschützt.«

Es war Bogdan, der junge Czernagorze, der gesprochen und die unglückliche Griechenfrau nahm eine Perlenschnur von ihrem Hals und reichte sie ihm.

»Gieb sie dem Kinde und Gott lohne Dir, was Du an der doppelten Waise thust, denn ihr Erzeuger liegt unter den Todten vor der Palanka von Protopapas, wie ich vernommen habe.«

»Bei dem Haupte meines Vaters, das auf den Wällen von Skadar bleicht,« schwor der junge Mann, »Dein Kind soll einst das Weib des Hauptes der Martinowitsch werden, wenn mein Haus ihr genügt!«

Die Griechin nickte ihm freundlich zu und schloß den kranken Freund dann in ihre Arme, sich und ihn mit dem Chlamis umhüllend, und deutete dann nach dem Bischof.

»Unsere Zeit ist gekommen,« sagte sie, »mögen die Heiligen für Euch bitten, wie sie es für uns thun.«

Der greise Bischof wankte zurück nach der Sacristei, nochmals stehend die Hände gegen den General ausstreckend.

Vergeblich!

»Lebe wohl, Anastasius! lebt wohl, meine Brüder!«

Noch ein Mal stürzte er an seine blutende Brust, dann riß er sich empor.

Die dunklen Schatten der Nacht hatten sich während der heiligen Handlung auf das Gewölbe gesenkt, nur die ewige Lampe brannte in ihren silbernen Ketten und von dem Hochaltar leuchteten matt die heiligen Kerzen. Dicht zusammen gedrängt in Gruppen hatten sich die dem Tode Geweihten.

»Griechenbrüder,« fragte die helle Stimme des verwundeten Capitani's, »seid Ihr bereit?«[95]

»Wir sind es!« – Die Worte klangen dumpf und hohl.

»Heilige Jungfrau, erbarme Dich unser! Kreuz und Griechenland – Feuer!«

Die Salve der Klephten donnerte durch das Gewölbe der Kirche und zersprengte die Fenster – drei Mal wiederholte sie sich – dann ward Alles still – der letzte Schrei des irdischen Schmerzes war verstummt – einhundertsechsundsechszig Leichen mit der todten, ihrer Liebe gestorbenen Frau deckten die Marmorfließen der Kirche von Metzovo4. –

Längst hatte der General sie verlassen und die wilden Klephten, die sich vom Tode seiner Opfer überzeugt, waren ihm gefolgt. Aus dem Pulverdampf, der das weite Gewölbe erfüllte, schlich eine einzelne Gestalt vom Altare her, ein junger Krieger in griechischer Tracht mit krausem entstellenden Bart, die Flinte in der Hand. –

Die ewige Lampe warf ihren falben Schein auf ihn, als er unter ihr hinschlüpfte, und wurde zurückgespiegelt von dem blitzenden dunklen Auge. –

Seine Lippen waren roth von Blut. –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Das brennende Metzovo leuchtete dem Rückzug des griechischen Generals – viele Bewohner der unglücklichen Stadt, die Rache der siegenden Türken fürchtend, die entsetzlich wütheten in den christlichen Phistans des Gebirges, hatten sich ihm angeschlossen.

Ein griechischer Krieger, am Fuß verwundet und außerdem den rechten Arm in ein Tuch gebunden, war zurückgeblieben von dem Hauptzug und schwankte, auf die Schulter eines jungen Kameraden gestützt, langsam hinterdrein. Schon am Thor von Metzovo hatte dieser sich zu ihm gefunden und ihn hilfreich unterstützt. Es war derselbe, der zuletzt die Kirche verlassen.

Das Gehen hatte die Schmerzen der Wunde arger gemacht, nur langsam kam das Paar vorwärts. Dennoch verließ der menschenfreundliche Helfer den verwundeten Mainoten nicht.

»Bei der Panagia,« schwor dieser, »ich wollte, ich läge bei den erschossenen Brüdern in der Kirche von Metzovo, so sehr schmerzt mein Bein und so sauer wird mir der Weg. Die Heiligen mögen Deine Hilfe lohnen, Panagotti Zanetacchi aber wird ewig Dein Freund sein.«[96]

»Gieb mir Deine Waffen – sie belasten Dich,« sagte der Andere. Zugleich nahm er ihm die Flinte ab und hing sie um, ebenso die Pistole und den Handjar.

Wiederum wandelte das Paar längere Zeit dahin, nur von den einzelnen Schmerzenslauten des Verwundeten ward das Schweigen unterbrochen.

»Wohin führst Du mich? – wir sind von der großen Straße abgekommen und keiner der Nachzügler ist mehr zu sehen. Wir werden den Türken in die Hände fallen.«

»Ich bin in diesen Gebirgen zu Hause, tapferer Maini, und dieser Pfad kürzet die große Straße und führt über jenen Höhen uns wieder mit dem General zusammen. Stütze Dich auf mich.«

Eine halbe Stunde waren sie gewandert, dann warf der Mainote sich erschöpft auf den Boden.

»Du thust wohl daran, es ist Zeit, daß Du ausruhst.«

Der Mond schien hell auf den Berghang zwischen den dichten Büschen von Thymian, wildem Wein und Oleander – durch eine Öffnung leuchtete in der Ferne noch immer das brennende Metzovo.

»Bis hierher,« sagte der Führer. »Es ist Zeit, zu enden.«

»Wie meinst Du das? – Willst Du mich hier verlassen?«

»Nicht ich, Mainote – aber Du mich.«

»Ich verstehe Dich nicht. Gieb meine Waffen zurück!«

Der Führer lachte hell auf, dann schleuderte er behende Flinte und Handjar in die dichten Büsche und trat, die Pistole in der Hand, vor den Erschrockenen, der sich auf den gesunden Arm aufrichtete.

»Kennst Du mich?«

»Wer bist Du? – sprich – bin ich in die Hände eines Verräthers gefallen?«

Wieder lachte der vermeintliche Grieche höhnisch auf, dann riß er mit einem Griff sich den falschen Bart voll Lippen und Wangen, den Feß vom Haupt, und die schwarzen Flechten eines Weibes rollten hernieder, Fatinitza's dunkle dämonische Augen blitzten schadenfroh den verwundeten Krieger an.

»Weib – Teufel – was willst Du von mir?«

»Frage Dein schwarzes Herz, Maini, und es wird Dir Antwort geben. Ich habe geschworen, Dein Blut zu trinken.«

»Dämon der Unterwelt – weiche von mir!«[97]

»Du mußt sterben, Maini, wie Deine Brüder gestorben sind von der Hand der Wölfin von Skadar. Zwei in jenem Thurme von Protopapas, auf der Stätte meiner Schmach – Einer im Schlachtgewühl vor Metzovo und Zwei in der Moschee des Christengottes. Fluch über sie! – Du warst der Letzte und bist der Letzte – bereite Dich zum Tode!«

Er wollte empor, doch sie hielt die Pistole ihm entgegen. »Du hattest wenigstens Mitleid mit meiner Schmach und warfst den Mantel über meinen entehrten Leib. Darum hab' ich Mitleid mit Dir und gönne Dir ein Gebet zu Deinem Propheten. Aber Keiner darf leben, der sich rühmen darf der Schmach Fatinitza's. Eile jedoch, die Geister Deiner Brüder erwarten Dich.«

Der Maini, jung und noch lebenskräftig und muthig, warf sich plötzlich empor und faßte die drohende Feindin. Einige Augenblicke dauerte das ungleiche Ringen, aber es gelang ihm nicht, ihre Hand zu erfassen. Während er ihren Leib noch umklammert hielt und sie zu Boden zu reißen suchte, fühlte er die kalte Mündung der Pistole an seiner Schläfe, – im nächsten Augenblick zerschmetterte der Schuß seinen Schädel, daß sein Gehirn das dämonische Weib bespritzte.

Diesmal schien sie selbst zu schaudern vor dem grauenhaften Anblick und wandte sich von ihm, ohne den Todten zu berühren.

»Sie sind dahin,« sagte sie dumpf, »und Fatinitza's Schmach ist gerächt! – Jetzt, Vater, der Du bereits im Schooß des Propheten weilst, gilt es die Sühne Deines Blutes und den letzten Kampf. Wehe dem Verräther!«

Sie wandte sich nach der Heimath.


Der Verrath Tzavellas's an der gemeinsamen Sache und die Eifersucht Hadschi-Petros's, von dem eine Schaar von 1000 Mann nahe dem Kampfplatz von Metzovo unthätig gestanden, weil sie sich dem Befehl des Generals Grivas nicht unterordnen wollte – rächten sich schwer. Am 25. April erlitt Tzavellas mit 3000 Mann durch Osman Pascha bei Peta eine vollständige Niederlage und mußte sich nach Griechenland zurückziehen. Fuad-Effendi zog in Janina ein; 8000 Gewehre, welche die russische Negierung für die Griechen in belgischen Fabriken hatte anfertigen lassen, und die bereits glücklich den größten Theil des Weges zurückgelegt, wurden[98] an der sicilianischen Küste von einem englischen Kreuzer aufgefangen und nach Malta gebracht; die albanesische Küste war von englischen Schiffen blokirt, im Golf von Volo an der thessalischen Küste schoß eine französische Dampffregatte mehrere, mit Freiwilligen besetzte griechische Schiffe in den Grund, und Damoko wurde von Salim- und Schiakir-Pascha entsetzt. Theodor Grivas mit 400 Kriegern hatte sich nach Agrapha zurückgezogen und gab den Kampf auf. Im ganzen Epirus waren die Türken Sieger.

Einen neuen Zuzug zwar erhielt der griechische Aufstand durch das Herbeiströmen der aus dem türkischen Gebiet ausgewiesenen Griechen, von denen allein 20,000 von Constantinopel und Smyrna auswanderten. Von Athen aus angefeuert und mit neuen Führern versehen, – Spiro Milio und Vlakopulos an der Gränze, Grizanos, Priovos, Giakas und dem kühnen Papakosta in der Provinz selbst, – stand ganz Thessalien bald wieder unter Waffen und mit 12,000 Kriegern dem neu ernannten Gouverneur, Ali Rizza Pascha und seinen 16,000 Mann gegenüber.

Doch alle Anstrengungen des kleinen Griechenlands scheiterten an der drohenden Stellung der Westmächte, die sich nicht entblödeten, selbst über die Abdankung des Königs Otto zu verhandeln. Fürst Danilo von Montenegro, der auf seine kühne Proklamation vom 10. März5, von dem russischen Agenten Oberst Kowalewski[99] angefeuert, 8000 Krieger des Hochlands in Cettinje versammelt hatte, und ebenso Serbien, das bereits in voller Rüstung stand, wurden von Österreich gezwungen, neutral zu bleiben, und so der ganze große Aufstand der slavisch christlichen Völker, südlich der Donau, unterdrückt, der offenbar sonst der türkischen Herrschaft in Europa ein Ende gemacht und Rußland den Sieg gesichert hätte. Wir haben bereits gezeigt, wie Kaiser Nicolaus die Verbindung mit der Revolution im Norden der Donau und Save zurückgewiesen, sowohl um der eigenen Grundsätze, als um Österreichs Willen, das auf diese Weise seine Rücksicht lohnte. Die Karte von Europa hätte sonst sicher – nicht von der Seine, sondern von der Donau aus – eine andere Gestaltung gewonnen.

1

Türkische Artilleristen.

2

Wir haben bereits erwähnt, daß unser Zeichen der Bejahung bei den Türken die entgegengesetzte Bedeutung hat.

3

Der Spectateur de l'Orient, Observ. Triest etc. etc.

4

Wir wiederholen es, die furchtbare That ist Wahrheit!

5

Der Aufruf lautet:

»Von uns, Danilo Petrowich, Fürst der Czernagora und der Brda, Gruß dem Capitain. Ich wünsche, daß auch wir Czernagoren jetzt, wie auch sonst immer, uns tapfer und heldenmüthig zeigen, gleich den Griechen und andern Nationen, gleich unsern stets siegreichen Groß- und Urgroßvätern, die uns als ihr Vermächtniß die Freiheit hinterließen, auf welche wir jetzt vor der Welt stolz sind. Darum will ich jene Soldaten kennen, welche früher conscribirt wurden, daß ich weiß, ob ich mich auf sie verlassen kann, und befehle Euch, Capitaine, daß jeder seinen Stamm versammle. Jeder Soldat sage freiwillig, ob er mit mir kämpfen will gegen den Türken, den verfluchten Feind unsers Glaubens und unserer Gesetze. Der Capitain verzeichne jeden solchen Freiwilligen und berichte mir darüber nach Cettinje. Das aber sage ich Jedem im Voraus, wer nicht beabsichtigt, mit mir des Todes gewärtig zu sein, den beschwöre ich bei dem großen Gott, er möge zu Hause bleiben, und wer mit mir dann ziehen will, der vergesse Weib, Kind und Alles, was er auf dieser Welt besitzt, und sage dies dem Capitain, daß er ihn einschreibe. Ich sage Dir, meine wackere Nation, und Euch, meine lieben Brüder, wer nicht mit mir sterben will, bleibe unbehindert zu Hause, denn ich weiß sehr wohl, daß ein Einziger, der freiwillig und muthig in's Feld zieht, besser ist, als Fünfzig, welche furchtsam von mir herziehen; darum fordere ich jeden wackern Mann, der ein muthiges und kein Weiberherz hat, und welcher nicht ansteht, für das heilige Kreuz, die rechtgläubige Kirche und das Vaterland sein Blut zu vergießen, auf, daß er mit mir theile Ruhm und Ehre. Sind wir denn nicht, theure Brüder, Söhne jener alten czernagorischen Sieger, welche drei türkische Veziere auf einmal bewältigen, welche französische Truppen schlugen und des Sultans Festungen mit Sturm nahmen? Sind wir keine Vaterlandsverächter, mißachten wir nicht den Ruhm unserer alten Helden, so versammeln wir uns und schlagen los im Namen Gottes! – Bleibt gesund.

Cettinje, 16. März 1854.«

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 3, Berlin 1856, S. 72-100.
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