1772

[13] 2/86.


An Johann Daniel Salzmann

Am 3. Februar 1772.

Berlichingen und das beygeschlossene habe ich erhalten, es freut mich Ihr Beyfall und ich danke für Ihre Mühe.

Mit der gelehrten Anzeige hab ich keinen Zusammenhang, als daß ich den Director kenne und hochschätze, und daß ein Mitinteressent mein besonderer Freund ist. Halten Sie sie ja; keine in Deutschland wird ihr in Aufrichtigkeit, eigner Empfindung und Gedanken vortreten. Die Gesellschaft ist ansehnlich und vermehrt sich täglich. So viel davon.

[13] Wollen Sie bei Gelegenheit meinen Violoncellmeister Buschen fragen, ob er die Sonaten für zwei Bässe noch hat, die ich mit ihm spiele, sie ihm abhandeln und bald möglichst mir zuschicken. Ich treib die Kunst etwas stärker als sonst.

Das Diarium meiner übrigen Umstände ist wie Sie wissen für den geschwindesten Schreiber unmöglich zu führen. Inzwischen haben Sie aus dem Drama gesehen, daß die Intentionen meiner Seele daurender werden, und ich hoffe sie soll sich nach und nach bestimmen. Aussichten erweitern sich täglich und Hindernisse räumen sich weg, daß ich es mit Zuversicht auf diese Füße schieben kann wenn ich nicht fortkomme. Ein Tag mag bei dem andern in die Schule gehen. Denn einmal vor allemal die Minnorennitaet läßt sich nicht überspringen. Leben Sie wohl und denken Sie an mich wennns Ihnen wohl geht. Dem neuen Paar viel Glück! Es hat mir sehr gefreut. Der Frau... und Herrn und Frau... und allen Lieben Leuten, ut supra.

Goethe.


2/87.


An Johann Heinrich Jung

[Frankfurt, 3. Februar 1772.]

Es sieht mit unserer Korrespondenz Scheu aus. Dem Ansehen nach habt ihr mir nichts zu sagen, Du[14] und deine Freunde. Zwar bin ich nach strenger étiquette eine Antwort schuldig, doch hätt ich nicht gedacht, daß du darnach rechnen würdest.


Meine Situation ist so verändert, daß die Partikularitäten meines Lebens und Sinnes wenig interessantes für dich haben können. Du hingegen agirst noch auf unserer ehemals gemeinschaftlichen Scene deine Rolle fort. Wie angenehm, wie nützlich würde mir die Reminiscenz werden! Doch ich kann mir vorstellen wie dirs geht.

Grüße mir deine Liebe, und deine Freunde, und schlepp dich durch die Welt wie du kannst.

Goethe.


Du hast noch meine Oper den Mondo alla riversa, gieb sie dem Herrn Aktuarius. Er wird mir's schicken.


2/88.


An Johann Gottfried Herder

[Wetzlar, Mitte Juli 1772.]

Noch immer auf der Woge mit meinem kleinen Kahn, und wenn die Sterne sich verstecken, schweb' ich so in der Hand des Schicksals hin, und Muth und Hoffnung und Furcht und Ruh wechseln in meiner Brust. Seit ich die Kraft der Worte stêthos und prapides fühle, ist mir in mir selbst eine neue Welt aufgegangen. Armer Mensch, an dem der Kopf alles ist! Ich wohne jetzt in Pindar, und wenn[15] die Herrlichkeit des Pallasts glücklich machte, müßt' ichs sein. Wenn er die Pfeile ein – übern andern nach dem Wolkenziel schießt, steh' ich freilich noch da und gaffe, doch fühl' ich indeß, was Horaz aussprechen konnte, was Quintilian rühmt, und was Thätiges an mir ist, lebt auf, da ich Adel fühle und Zweck kenne. Eidôs phya, psephênos anêr myrian aretan atelei noô geneati, oupot atrekei kateba podi, mathontes pp. Diese Worte sind mir wie Schwerter durch die Seele gegangen. Ihr wißt nun, wie's mit mir aussieht, und was mir Euer Brief in diesem Philoktetschen Zustande worden ist.

Seit ich nichts von Euch gehört habe, sind die Griechen mein einzig Studium. Zuerst schränkt' ich mich auf den Homer ein, dann um den Sokrates forscht' ich in Xenophon und Plato. Da gingen mir die Augen über meine Unwürdigkeit erst auf, gerieth an Theokrit und Anakreon, zuletzt zog mich was an Pindarn, wo ich noch hänge. Sonst hab' ich gar nichts gethan, und es geht bei mir noch alles entsetzlich durch einander. Auch hat mir endlich der gute Geist den Grund meines spechtischen Wesens entdeckt. Ueber den Worten Pindars epikratein dynasthai ist mir's aufgegangen. Wenn du kühn im Wagen stehst, und vier neue Pferde wild unordentlich sich an deinen Zügeln bäumen, du ihre Kraft lenkst, den austretenden herbei, den aufbäumenden hinabpeitschest, und jagst und lenkst, und wendest, peitschest, hältst, und wieder[16] ausjagst, bis aller sechzehn Füße in einem Takt ans Ziel tragen – das ist Meisterschaft, epikratein Virtuosität. Wenn ich nun aber überall herumspaziert bin, überall nur dreingeguckt habe1, nirgends zugegriffen. Dreingreifen, packen ist das Wesen jeder Meisterschaft. Ihr habt das der Bildhauerei vindicirt, und ich finde, daß jeder Künstler, so lange seine Hände nicht plastisch arbeiten, nichts ist. Es ist alles so Blick bei Euch, sagtet Ihr mir oft. Jetzt versteh' ichs, thue die Augen zu und tappe. Es muß gehen oder brechen. Seht, was ist das für ein Musicus, der auf sein Instrument sieht! cheires aaptoi, êtor alkimon das ist alles, und doch muß das alles eins sein, nicht myrian aretan atelei noô geuein Ich möchte beten, wie Moses im Koran: »Herr mache mir Raum in meiner engen Brust!«

Es vergeht kein Tag, daß ich mich nicht mit Euch unterhalte und oft denke, wenn sich's nur mit ihm leben ließe. Es wird, es wird! Der Junge im Küras wollte zu früh mit, und Ihr reitet zu schnell. Genug, ich will nicht müßig sein, meinen Weg ziehen und das Meinige thun; treffen wir einander wieder, so giebt sich's Weitere.

Seit vierzehn Tagen les' ich Eure »Fragmente« zum erstenmal; ich brauch' Euch nicht zu sagen, was[17] sie mir sind. Daß ich Euch, von den Griechen sprechenden, meist erreichte, hat mich ergötzt, aber doch ist nichts wie eine Göttererscheinung über mich herabgestiegen, hat mein Herz und Sinn mit warmer heiliger Gegenwart durch und durch belebt, als das wie Gedank' und Empfindung den Ausdruck bildet. So innig hab' ich das genossen.

Laßt uns, ich bitte Euch, versuchen, ob wir nicht öfter zu einander treten können. Ihr fühlt, wir Ihr den umfassen würdet, der Euch das sein könnte, was Ihr mir seid. Laßt uns nur nicht dadurch, daß wir nothwendig manchmal aneinander gerathen müssen, nicht dadurch wie Weichlinge abgeschreckt werden; stoßen sich unsre Leidenschaften, können wir keinen Stoß aushalten? Das gilt mich mehr als Euch. Genug, habt Ihr was wider mich, so sagts. Grad und ernst, oder bös, grinsend, wie's kommt. – So will ich Euch auch sagen, daß ich letzt über Eure Antwort auf die »Felsweihe« aufgebracht worden bin, und hab' Euch einen intoleranten Pfaffen gescholten; das »Götzenpriester« und »frecher Hand den Namen einzwang,« war nicht recht. Hatte ich unrecht, einen Traueraccord vor Eurem Mädchen zu greifen, mußtet Ihr mit Feuer und Schwert drein tilgen? Ich weiß wohl, das ist Eure Art, Ihr werdet nicht davon lassen; gut. Nur macht im Fall der Walter-Shandyschen Nothwehre nicht so lange Pausen. Was den Punkt betrifft, soll Euch künftig in dem Recht, Eurem[18] Mädchen melancholische Stunden zu machen, kein Eingriff geschehn. Und so hätt' ich das auch vom Herzen.

Von unsrer Gemeinschaft der Heiligen sag' ich Euch nichts. Ich bin neophytos, und im Grund bisher nur neben allen hergegangen; mit Mercken bin ich fest verbündet, doch ist's mehr gemeines Bedürfniß als Zweck.

Von »Berlichingen« ein Wort. Euer Brief war Trostschreiben; ich setzte ihn weiter schon herunter als Ihr. Die Definitiv, »daß Euch Shakespeare ganz verdorben pp.« erkannt' ich gleich in ihrer ganzen Stärke; genug, es muß eingeschmolzen, von Schlacken gereinigt, mit neuem edlerem Stoff versetzt und umgegossen werden. Dann soll's wieder vor Euch erscheinen. Es ist alles nur gedacht. Das ärgert mich genug. »Emilia Galotti« ist auch nur gedacht, und nicht einmal Zufall oder Caprice spinnen irgend drein. Mit halbweg Menschenverstand kann man das Warum von jeder Scene, von jedem Wort, möcht' ich sagen, auffinden. Drum bin ich dem Stück nicht gut, so ein Meisterstück es sonst ist, und meinem eben so wenig. Wenn mir im Grunde der Seele nicht noch so vieles ahndete, manchmal nur aufschwebte, daß ich hoffen könnte »wenn Schönheit und Größe sich mehr in dein Gefühl webt, wirst du Gutes und Schönes thun, reden und schreiben, ohne daß du's weißt, warum.« –

Lebt wohl. Eben krieg' ich Nr. 54 Frankfurter Zeitung.


[19] 1 Ich kann schreiben, aber keine Federn schneiden, drum krieg' ich keine Hand, das Violoncell spielen, aber nicht stimmen .


2/89.


An Johann Christian Kestner

[Wetzlar, 8. August 1772.]

Morgen nach fünf erwarte ich Sie, und heute – Sie könnten's vermuthen, so viel sollten Sie mich schon kennen – heute war ich in Atspach. Und morgen gehen wir zusammen, da hoff ich freundlichere Gesichter zu kriegen. Inzwischen war ich da, hab Ihnen zu sagen dass Lotte heute Nacht sich am Mondbeschienenen Tahl innig ergötzt, und Ihnen eine gute Nacht sagen wird. Das wollt ich Ihnen selbst sagen, war an Ihrem Haus, in Ihrem Zimmer war kein Licht, da wollt ich nicht Lärm machen. Morgen früh trincken wir Caffee unterm Baum im Garbenheim wo ich heute zu Nacht im Mondschein ass. Allein – doch nicht allein. Schlafen sie wohl. Soll ein schöner Morgen seyn.


2/90.


An Johann Christian Kestner

[Wetzlar, 6. September 1772.]

Ich habe gestern den ganzen Nachmittag gemurrt dass Lotte nicht nach Atspach gangen ist, und heute früh hab ichs fortgesetzt. Der Morgen ist so herrlich und meine Seele so ruhig, daß ich nicht in der Stadt bleiben kann, ich will nach Garbenheim gehn. Lotte[20] sagte gestern, sie wollte heute etwas weiter als gewöhnlich spazieren – Nicht dass ich euch draussen erwarte, – aber wünsche? Von ganzem Herzen und hoffe – zwar etwas weniger, doch just so viel dass es die Ungewißheit des Wunsches so halb und halb balanzirt. In der Ungewissheit denn will ich meinen Tag zubringen, und hoffen und hoffen. Und wenn ich den Abend allein hereingehn muß – so wissen Sie wies einem Weisen geziemt – und wie weise ich binn.


2/91.


An Johann Christian Kestner

[Wetzlar, 10. September 1772.]

Er ist fort Kestner wenn Sie diesen Zettel kriegen, er ist fort. Geben Sie Lottchen innliegenden Zettel. Ich war sehr gefasst aber euer Gespräch hat mich aus einander gerissen. Ich kann Ihnen in den Augenblick nichts sagen, als leben Sie wohl. Wäre ich einen Augenblick länger bey euch geblieben, ich hätte nicht gehalten. Nun bin ich allein, und morgen geh ich. O mein armer Kopf.


2/92.


An Charlotte Buff

[Wetzlar, 10. September 1772.]

Wohl hoff ich wiederzukommen, aber Gott weis wann. Lotte wie war mirs bey deinen reden ums Herz, da ich wusste es ist das letztemal dass ich Sie[21] sehe. Nicht das letztemal, und doch geh ich morgen fort. Fort ist er. Welcher Geist brachte euch auf den Diskurs. Da ich alles sagen durfte was ich fühlte, ach mir wars um hienieden zu thun, um Ihre Hand die ich zum letztenmal küsste. Das Zimmer in das ich nicht wiederkehren werde, und der liebe Vater der mich zum letztenmal begleitete. Ich binn nun allein, und darf weinen, ich lasse euch glücklich, und gehe nicht aus euern Herzen. Und sehe euch wieder, aber nicht morgen ist nimmer. Sagen Sie meinen Buben er ist fort. Ich mag nicht weiter.


2/93.


An Charlotte Buff

[Wetzlar, 11. September 1772.]

Gepackt ists Lotte, und der Tag bricht an, noch eine Viertelstunde so binn ich weg. Die Bilder die ich vergessen habe und die Sie den Kindern austeilen werden, mögen entschuldigung seyn, dass ich schreibe, Lotte da ich nichts zu schreiben habe. Denn Sie wissen alles, wissen wie glücklich ich diese Tage war. und ich gehe, zu den liebsten besten Menschen, aber warum von Ihnen. Das ist nun so, und mein Schicksal, dass ich zu heute, morgen und übermorgen nicht hinzusetzen kann- was ich wohl offt im Scherz dazusetzte. Immer fröliges Muths liebe Lotte, Sie sind glücklicher als hunderte, nur nicht gleichgültig, und ich, liebe Lotte,[22] binn glücklich dass ich in Ihren Augen lese, Sie glauben ich werde mich nie verändern. Adieu tausendmal adieu!

Goethe.


2/94.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, September 1772.]

Für alles das gute segne euch Gott, und tausendfache Freude für die Erinnerung meiner. Grüsst mir die lieben Mädchen.

Ich kam gestern mit Schweizer zusammen und spottete seines Wetzlarer Wesens. Wo habt Ihr euch denn hingehalten? – Ins teutsche Haus, sagt ich. – Doch nicht zu Brands, sagt er. – Freylich zu Brands, sagt ich. warum denn nicht? – Ihr kennt also auch Amtmanns? – Ja wohl. – Die Lotte ist ein sehr angenehmes Mädgen. – Sie geht so mit sagt ich pp.

Das war trostreich und mir doch lieb. Wenn ich nur von ihr reden kann wenns auch das Gegenteil ist was ich dencke.


Nach Coblenz hab ich keine Bekanntschafft. Und hüben im Thal wisst Ihr wies ist.

Ich bedaure eueren braven Kerl. Erkundigt Euch ia, ists halbweg nicht just so rettet den armen Jungen. Ein Mädgen hat nicht so schweer auf die Art an einem Kind als ein ehrlicher Kerl an einem Weib. Adieu.[23]


2/95.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, September 1772?]

Gott seegn Euch lieber Kestner und sagt Lotten, dass ich manchmal mir einbilde ich könnte sie vergessen, daß mir dann aber ein Rezitiv über den Hals kommt und es ist schlimmer mit mir wird als iemals.[24]


[25] 2/97.


An Johann Christian Kestner

Freytags [Frankfurt, 25. September 1772.]

Lotte hat nicht von mir geträumt. Das nehm ich sehr übel, und will dass sie diese Nacht von mir träumen soll, diese Nacht, und falls Ihnen noch dazu nicht sagen. Die Stelle hat mich in Ihrem Briefe geärgert als ich ihn wiederlas. Nicht einmal von[26] mir geträumt, eine Ehre die wir den gleichgültigsten Dingen widerfahren lassen, die des Tags uns umgeben. Und – ob ich nun um sie gewesen binn mit Leib und Seel! und von ihr geträumt habe Tag und Nacht.


Bey Gott ich binn ein Narr wenn ich am gescheutsten binn, und mein Genius ein böser Genius der mich nach Wolpertshausen kutschirte. und doch ein guter Genius. Meine Tage in Wetzlar wollt ich nicht besser zugebracht haben, und doch geben mir die Götter keine solche Tage mehr, sie verstehen sich aufs strafen und den Tantalus – Gute Nacht. Das sagt ich auch eben an Lottens Schattenbild.


Sonnabends nach Tische.

Das war sonst die Zeit, dass ich zu ihr ging, War das Stündgen wo ich Sie antraff, und ietzt habe ich volle Zeit zu schreiben. Wenn Sie nur sehn sollten wie fleissig ich binn. So auf einmal das alles zu verlassen, das alles wo meine Glückseligkeit von vier Monaten lag.

Ich fürchte nicht dass ihr mich vergeßt, und doch sinn ich auf wiedersehen. Hier mags denn gehen wies kann, und ich will Lotten nicht eher wiedersehn als bis ich ihr Confidence machen kann, daß ich verliebt binn, recht ernstlich verliebt.

Was machen meine lieben Bubens, was macht der Ernst. Es wäre besser ich schriebe euch nicht, und[27] liesse meine Imagination in Ruhe, – doch da hängt die Silhouette das ist schlimmer als alles. Leben Sie wohl.


2/98.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, October 1772.]

Ich habs ja gesagt, wenn das Zeug Lotten so gut gefällt, als es ihr steht, so wird unser Geschmack gelobt. Noch schick ichs nicht, denn gegen den blauen Ausschlag hab ich einzuwenden, dass er zu hart ist dass er gar nicht steht. Entweder das grüne das hier beyliegt oder Paille – und das letzte wäre mir am liebsten weil ich schon geweissagt habe Lotte wird einmal das gelbe lieben wie sies Rothe ietzt liebt. und da wär mirs angenehm es introduzirt zu haben. Schreiben Sie mir die Entschliessung. Nur kein Blau. Wenn sie zwischen zärtlichen Abschiedsträhnen, auch an mich denken kann so sagen Sie ihr ich sey noch hundertmal bey ihr. Dorthel Brandt ist fleissig erwähnt worden, auch Merckens Frau hat davon hören müssen. Sie sollen nur bald nach Friedberg kommen oder ich komme nach Wetzlar. Grüßen Sie mir die schwarz Augige. Uebrigens ist Wetzlar ganz ausgestorben für mich. Meine Lieben Bubens viel Grüsse. Viel Glück Hansen, und Ernsten gute Besserung. Dem Hrn. Amtmann empfehlen Sie mich.

Goethe.[28]


2/99.


An Johann Christian Kestner

Dienstag [Frankfurt, 6. October 1772.]

Morgen früh geht ab Cattun und gelehrte Zeitung, und für die Bubens Bilder, dass iedes was habe. Unsre Spektakels mit dem Pfaffen werden täglich grösser. Sie prostituiren sich immer mehr und wir rencheriren drauf. Wollte ich sässe noch zu Lottens Füssen, und die Jungen krabelten auf mir herum. Wie stehts im teutschen Haus, ist noch fried und einigkeit unter den Leuten. Lebt die Dorthel noch immer so fort. Wär ich ietzt in Wetzlar ich hätte der Lotte was zu vertrauen, wovon Sie nichts wissen dürfen. Adieu lieber Kestner, grüssen Sie mir die Dorthel – den braven Kielmannsegg auch. Ists denn wahr daß ihr noch Hundert Jahr in Wetzlar bleibt man sagt im Publiko, die Visitation ginge wieder bald zusammen endigte mit denen Suspensis, drauf rückte die zweyte Klasse ein, und Hanover bleibt da! – Es ist nicht des Reichs dass michs kümmert. Geben Sie die 4 f. für Zeitung Bornen. Er soll auf Ordre sie bewahren.


Goethe.


2/100.


An Charlotte Buff

[Frankfurt, 8. October 1772.]

Danck Ihrem guten Geist goldne Lotte, der Sie trieb mir eine unerwartete Freude zu machen, und[29] wenn er so schwarz wäre wie das Schicksaal, danck ihm. heut eh ich zu Tisch ging grüsst ich Ihr bild herzlich, und bey Tisch – ich wunderte mich über den seltsamen Brief, brach ihn auf und steckt ihn weg. O liebe Lotte seit ich Sie das erstemal sah, wie ist das alles so anders, es ist noch eben diese Blütenfarbe am Band, doch verschossner kommt mirs vor, als im Wagen, ist auch natürlich. Danck Ihrem Herzen dass Sie mir noch so ein Geschenck machen können, ich wollt aber auch in die finsterste Hölen meines Verdrusses – Nein Lotte Sie bleiben mir, dafür geb Ihnen der reiche im Himmel seiner schönsten Früchte, und wem er sie auf Erden versagt dem lass er droben im Paradiese wo kühle Bäche fliessen zwischen Palmbäumen und Früchte drüber hängen wie Gold – indessen wollt ich wäre auf eine Stunde bey Ihnen.

Noch was, eh ich zu Bette gehe, unsre beyden Verliebten, sind auf dem Gipfel der Glückseeligkeit. Der Vater ist unter höchst billigen Bedingungen zufrieden, und es hängt blos von Nebenbestimmungen ab. Gleichfalls liebe Lotte! Gute Nacht.


2/101.


An Johann Christian Kestner

Sonnabends. [Frankfurt, 10. October 1772.]

Schreiben Sie mir doch gleich wie sich die Nachrichten von Goue konfirmiren. Ich ehre auch solche[30] Taht, und bejammere die Menschheit und lass alle Scheiskerle von Philistern Tobacksrauchs Betrachtungen drüber machen und sagen: da habt ihr's. Ich hoffe nie meinen Freunden mit einer solchen Nachricht beschweerlich zu werden.


Unsre Kattun, (sintemal auch der ins grose Rad der Dinge gehört) Ist noch nicht ankommen das wundert mich. Er ist gestern vor acht Tage, oder Dienstags vor acht Tagen von hier abgangen. Es ist eine Rolle Cattun Bilder und Zeitungen. Mein Bedienter ist eben auf die Post zu fragen ob er etwa hier liegen bleiben ist.

Es war noch ein Zufall dabey. In benanndter Rolle sind nur zwey Ellen – Die dritte Kriegen Sie durch Bornen.

Wie hundertmal denck ich und Träum ich von vergangnen Scenen. Lotte meine Jungens. Wir sind doch nur zwölf Stunden auseinander.


Sie versichern hier auf der fahrenden Post, daß die Rolle gestern als Freytag acht Tage, nach Wetzlar abgegangen. Seyn Sie so gütig sich gleich zu erkundigen. Sie kommt im Krachbein an.


2/102.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, 21. October 1772.]

Hier ein Paar Blätter Goldeswerth. Kielmannseggen grüsst mir, sie werden ihn freuen. Der iunge[31] Falck war gestern bey mir, ein muntrer junger Mensch wie ich sie liebe. Heute werde ich mit ihm spazieren gehen, und ihm Schlossern bekanndt machen.

Und Lotte – wenn ich ans Friedberger Tohr komme ist mirs als müsst ich zu euch. Mir liegt schweer auf der Seele dass ich im Zank mit Sophien weggangen binn, ich hoffe sie hats vergessen und vergeben, wo nicht so bitt ich sie drum. Schreiben Sie doch wie ich ihr stehe. Und Ammelgen wie lebt das. Von Gottern bitt ich Sie nähre deutlichere Nachricht, Ihre Briefstelle von ihm ist zu mystisch. Diese paar herrliche Tage haben wir Herbst gemacht. Und mehr an Lotte gedacht als sie an mich in einem Vierteljahr. Doch hoff ich mit der Zeit auch dieser Plage los zu werden.


2/103.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, 27. October 1772.]

Hier ist abermal Zeitung. Dank Ihnen für alle gute Nachrichten. Und Lotte oder Sie wer zuerst nach Atspach kommt wird in meinem Nahmen auch den lieben Leuten Glück wünschen. Wenn ihr wüsstet wie oft ich bey euch binn und wie nah – Manchmal steigt mir ein Zweifel auf und ich denke mir Lotten en Pannier, wie sie all sind – doch bald fällt sie mir wieder im Blaugestrieften Nachtjack ein, und ihrer Ingenuen Güte die sie allein hat, und dann hoff ich[32] in ihrer Seele nicht unter der grosen unbedeutenden Anzahl verlohren zu gehen. Falcken hab ich nicht wieder gesehen. Die Wirbel der Gesellschafftlichkeit hatten ihn verschlungen. Grüsen Sie mir Kielmanseggen viel. Ich wollte ihn an seinem Kranckenbette besuchen. Der dritte Urteiler ist von denen Elenden die verdamdt sind in Finsterniss des Eigendünkels ihr leben zu verschleppen. Adieu Besorgungen sollen gemacht werden. Gotter ist ein schielender Mensch. Pfuy über die Stelle seines Briefs. Das ist eckelhafte unbedeutende Zweydeutigkeit. Sein gutes Herz – Ja die guten Herzen! Ich kenn das Pack auch.


2/104.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, Anfang November 1772.]

Der unglückliche Jerusalem. Die Nachricht war mir schröcklich und unerwartet, es war grässlich zum angenehmsten Geschenck der Liebe diese Nachricht zur Beylage. Der unglückliche. Aber die Teufel, welches sind die schändlichen Menschen die nichts geniessen denn Spreu der Eitelkeit, und Götzen Lust in ihrem Herzen haben, und Götzendienst predigen, und hemmen gute Natur, und übertreiben und verderben die Kräffte, sind schuld an diesem Unglück an unserm Unglück. Hohle sie der Teufel ihr Bruder. Wenn der verfluchte Pfaff sein Vater nicht schuld ist, so verzeih mirs Gott, dass ich ihm wünsche er möge den Hals[33] brechen wie Eli. Der arme iunge! wenn ich zurückkam vom Spaziergang und er mir begegnete hinaus im Mondschein, sagt ich er ist verliebt. Lotte muss sich noch erinnern daß ich drüber lächelte. Gott weis die Einsamkeit hat sein Herz untergraben, und – seit sieben iahren kenn ich die Gestalt, ich habe wenig mit ihm geredet, die meiner Abreise nahm ich ihm ein Buch mit das will ich behalten und sein Gedencken so lang ich lebe.

Danck euch ihr Kinder alle, das ist heilsamer herrlicher Trost, wenn ich euer Andenken seh, und eure Freude. Es war doch gut dass es so zusammen kam, leben und Todt, Trauer und freud. Wie anders wie anders als wie sich Goue sollte erschossen haben. Lebt wohl. Grüsst Lotten tausendmal. Wie glücklich seyd ihr.


2/105.


An Johann Christian Kestner

[Friedberg, 10. November 1772.]

Ich binn der rechte. Ausgeschickt auf eine Local Commission, phantasir ich übers Vergangne und zukünftige. Gestern Abend war ich noch bey euch und ietzo sitz ich im leidigen Friedberg und harre auf einen Steindecker, mit dem ich die Reparatur meines verwünschten Schlosses akkordiren will. Der Weg hierher ward mir sehr kurz, wie ihr denken könnt, und wie ich heut vom Cronprinzen hinauffuhr, und ich[34] die Deutschhaus Mauern sah, und den Weeg den ich so hundertmal, und es dann rechts ein in die Schmidtgasse lenckte. Ich wollte ich hätte gestern Abend förmlich Abschied genommen, es war eben so viel und ich kam um einen Kuß zu kurz, den sie mir nicht hätte versagen können. Fast wär ich heute früh noch hingegangen, Schlosser hielt mich ab, dafür spiel ich ihm nächstens einen Streich, denn ich will doch nicht allein leiden. Gewiß Kestner, es war Zeit dass ich gieng. Gestern Abend hatt ich rechte hängerliche und hangenswerthe Gedanken auf dem Canapee – –

Der Steindecker war da und ich binn so weit als vorher, und es ist ein Packet von meinem Vater an kommen darnach ich geschickt habe, das mag auch erbaulichs Zeug enthalten. Indessen binn ich doch wieder bey euch gewesen und meine Seele ist noch bey euch und bey meinen Kleinen. Wenn der Mensch geboren wäre reine Freuden zu geniessen –

Der Brief meines Vaters ist da, lieber Gott wenn ich einmal alt werde, soll ich dann so werden. Soll meine Seele nicht mehr hängen an dem was liebenswerth und gut ist. Sonderbar, dass da man glauben sollte ie älter der Mensch wird, desto freyer er werden sollte von dem was irrdisch und klein ist. Er wird immer irrdischer und kleiner. – Sie sehen ich binn schön im Train zu radotiren, aber Gott weis es ist nichts anders als mich mit Ihnen zu beschäfftigen und zu vergessen, wer, wo, und was ich binn.

[35] Schlosser kommt eben von einer Ambassade wieder, die Liebe giebt ihm die Protokolle ein, er inquirirte in die innersten Höllenwinkel, inzwischen bleibt alles wies ist, und wir richten mit lauffen und treiben grade so viel aus, daß wir einer ansehnlichen Visitations Deputation nicht den Rang ablaufen.

Und wenn ich wieder dencke wie ich von Wetzlar zurückkomme, so ganz über meine Hoffnung Liebempfangen geworden zu seyn; binn ich viel ruhig. Ich gestehs Ihnen es war mir halb angst, denn das Unglück ist mir schon offt wiederfahren. Ich kam mit ganzem, vollem, warmem Herzen, Lieber Kästner da ists ein Höllenschmerz wenn man nicht empfangen wird wie man kommt. Aber so – Gott geb euch ein ganzes Leben wie mir die paar Tage waren.

Das Essen kommt, und Gute Nacht.

Noch einmal gute Nacht. Empfelen Sie mich dem alten lieben Papa, und meinen Buben. Lotten erinnert Sie im Concert an mich auch Dortelegn.

Noch etwas. Lotte hat ein Meubel das ihr zu gros ist. Ich hab sie gebeten mir zu erlauben es in kleineres zu vertauschen schicken Sie mirs doch wohl eingepackt auf der fahrenden.[36]


2/106.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, 13. Novermber 1772.]

Da ist deutsche Baukunst für Kielmanseggen und Sie.

Habt Ihr im Conzert meiner gedacht und wie gehts euch.

Von Friedberg haben Sie doch den erbaulichen Brief kriegt, ich schrieb ihn um meine Seele zu beschäfftigen, die sonst ungebärdig werden wollte. Von da binn ich nach Hamburg, und habe wieder das Leben Lieb gewonnen, da das erscheinen solch eines Elenden, so trefflichen Geschöpfen Freude machen kann.

Adieu, ich ruhe hier aus, auf den Montag nach Darmstadt, den Mittwoch nach Mannheim. Wo ich die Freude hoffe mir der Frl. Baschle von Lotten zu schwätzen.


2/107.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, 14. November 1772.]

Euren lieben Andenckevollen Brief hab ich heute kriegt, und muß nur wenigsten euch dagegen sagen wie viel michs freut, und wie lieb ich euch habe.

Lotte wies wohl dass sie sagen darf was sie will, ich armer Teufel binn immer im höchsten desavantage, demohngeachtet ist sie Lotte, und es bleibt beym alten.

[37] Da ist ein Exemplar Baukunst für Falken. Wie stehts mit meinen Köpfen. Treiben Sies ia. Wollten Sie wohl Wandrern sagen, ich habe mich nach Zwiefeln erkundigt, da mich die Liebhaber versichert es seye zu spät, müsse man im September sich drum umthun, die guten seyen all ausgelesen. Demohngeachtet hab ich zum Italiäner geschickt der mir aber sagen lassen, es seyn keine mehr vorhanden. denn um diese Zeit, treiben sie schon.


2/108.


An Johann Christian Kestner

[Darmstadt, 20. November 1772.]

In Darmstadt binn ich, nach Mannheim werd ich nicht kommen, eben da wir abreisen wollten, trat Mercken eine Verhinderung dazwischen, wer ein Amt hat muss leider sein warten. Dass wir nur wieder einmal beysammen sind, freut uns so, thut uns so wohl, dass ich alleine nicht weiter mag. Adressiren Sie mir Ihre Briefe grad hierher, und schicken Sie mir doch die Nachricht von Jerusalems Todte. Ohne Zweilfel haben Sie mir schon nach Frankfurt geschrieben, biss ich das aber herkriege währt so lang. Ich habe heut früh mit der Flachsland, viel von Lotten und euch geredet und meinen lieben Bubens. Merck grüsst euch, und sein Weib und Henry. Grüsst mir sie alle, meine Seele ist oft bey euch, Adieu.

Goethe.[38]


2/109.


An Sophie von La Roche

[Darmstadt, etwa 20. November 1772.]

Warum auch nur ein Wort darüber, dass Ihr Brief nicht gleich auf den meinigen folgte, kenn ich nicht Ihr Herz, und weis ich nicht, dass es in Neigung und Freundschafft unveränderlich bleibt.

Seit den ersten unschätzbaaren Augenblicken, die mich zu Ihnen brachten, seit ienen Scenen der innigsten Empfindung, wie offt ist meine ganze Seele bey Ihnen Gewesen. Und drauf in der Glorie von häuslicher mütterlicher Glückseeligkeit, umbetet von solchen Engeln Sie zu schauen, was mehr ist mit Ihnen zu leben! Meine Armuth an Worten, meine Unfähigkeit mich laut zu freuen, haben mir allein ausdrucken können was ich fühlte, und Sie – Sie wissen am besten was Ihr Herz für mich spricht.

Sie klagen über Einsamkeit! Ach dass das Schicksaal der edelsten Seelen ist, nach einem Spiegel ihres selbst vergebens zu seufzen. Sie werden es nicht immer, und schon ietzt, mit welchem ganzen Gefühl sehen Sie zween Töchter unter Ihren Augen werden, die, wenn Sie Ihnen nicht alles sind, doch alles sind was die liebe Gottheit Sterblichen von Glückseeligkeit zu schencken vermag. Dass aber auch das Menschen Schicksaal ist, dass der Reiche nicht lebendig fühlt[39] seinen Reichtum! Glauben Sie Ihren Freunden, wie überwohl der Austeiler des ganzen es mit Ihnen gemeint hat; wir nur wissen was Sie haben, denn wir empfinden nicht was Ihnen fehlt. Hundertmal freuen wir uns im Geiste nach über die Augenblicke die wir in Gegenwart der schönsten Natur in dem seeligsten Zirkel genossen. Mad. Merck empfand die volle Wärme Ihres Briefs, und grüßt Sie herzlich durch mich, erwartet auch sehnlich einen Brief von Mdlle. Max.

Merck sagt mir dass Sie von Jerusalems Todte, einige Umstände zu wissen verlangen. Die vier Monate in Wetzlar sind wir nebeneinander herumgestrichen, und ietzo acht Tage nach seinem Todte war ich dort. Baron Kielmansegg, einer der wenigen denen er sich genähert, sagte mir: »das was mir wenige glauben werden, was ich ihnen wohl sagen kann, das ängstlichste Bestreben nach Wahrheit und moralischer Güte, hat sein Herz so untergraben, dass misslungne Versuche des Lebens und Leidenschafft, ihn zu dem traurigen Entschlusse hindrängten.«

Ein edles Herz und ein durchdringender Kopf, wie leicht von auserordentlichen Empfindungen, gehen sie zu solchen Entschliessungen über, und das Leben – was brauch, was kann ich Ihnen davon sagen. Mir ist's Freude genug, dem abgeschiednen Unglücklichen, dessen Taht von der Welt so unfühlbaar zerrissen wird, ein Ehrenmaal in Ihrem Herzen errichtet zu haben.

[40] Ich hoffe Mlle. Max. wird erlauben dass ich manchmal schreibe, ich will ihre Güte nicht missbrauchen.

Leben Sie wohl, und wenn Sie fühlen könnten, wie sehr ich an allem Anteil nehme was von Ihnen kömmt, Sie würden manchen Augenblick Beruf zu einem Briefe an mich empfinden und Mlle. Max würde länger bey ihren köstlichen Nachschrifften verweilen.

Goethe.


2/110.


An Johann Christian Kestner

[Darmstadt, 29. November 1772.]

Ich dancke euch lieber Kestner für die Nachricht von des armen Jerusalems Todt, sie hat uns herzlich interessirt. Ihr sollte sie wieder haben wenn sie abgeschrieben ist.

Merck läßt euch grüssen auch seine Frau, die immer darauf besteht ihr müsstet ein recht braver Mensch ein. Henry geht alle Abend in die Komödie und kümmert sich nichts um die Welt. Euer Grus an die Flachsland hat mir einen Kuss getragen ich bitte euch grüsst öfter, so mag ich gern Porteur seyn. Ich soll euch sagen tausenfaches Liebesglück wünscht, und alle möchten Lotten kennen. Ich pflege viel von ihr zu erzählen da denn die Leute lächlen und argwohnen es mögte meine Geliebte seyn, biss Merck versichert von der Seite sey ich ganz unschuldig. Grüsse mir Dorteln und Carolinen und[41] alle meine Bubens. Gestern fiel mir ein an Lotten zu schreiben. Ich dachte aber, alle ihre Antwort ist doch nur, wir wollens so gut seyn lassen, und erschiessen mag ich mich vor der Hand noch nicht. An Gottern hab ich eben geschrieben, und ihm eine Baukunst geschickt.

Goethe.


2/111.


An Johann Gottfried Herder

[Darmstadt, 5. December 1772.]

Sollte ich nun auch dem Liebes – Boten kein Zettelgen von mir anhängen! Nein so arm sind wir noch nicht Herder. Gott weis, wie wir dich lieben, und ein Ries Papier hättest du an den Unterredungen mit dir diese Zeit. Ich danke dir für deine Briefe und den Seegenswunsch überbracht von Ossian. Wir sind die Alten, ein wenig hinüber modifizirt thut nichts zur Sache. Und wenn du aufs Frühjahr kommst wirds herrlich seyn. Mein Vater läßt dich grüssen, und du sollst unter sein Dach treten mit Gastliebe, das versteht sich von selbst, ich habe nun mein Gewissen gegen ihn befreyt. – Meine Schwester Caroline ist Engel, und wie sie dich liebt, ich bringe dich ihr, darüber haben wir schon viel Paradiese geträumt. Indessen leb wohl, und lass zu uns fliessen aus deinem Herzen guts und liebs. Auch die Paulus[42] [Galle?] mit der du uns zu Zeiten [ankiffst] o Dechant ist uns köstlicher denn Myrrhen, thut wohl wie Striegel und härin Tuch dem aus dem Bade steigenden. –

Ich binn ietzt ganz Zeichner habe Muth und Glück. Freute mich von Herzen, wie du anteil an Erwinen nahmst.

Merck versifizirt und druckt. Wir bespiegeln uns in einander und lehnen uns an einander, und theilen Freud und Langeweile auf dieser Lebensbahn. Und du säume nicht zu kommen.

Goethe.


2/112.


An Johann Christian Kestner

– Am sechsten [Darmstadt, December 1772.]

Ich binn noch immer in Darmstadt und – wie ich immer binn. Gott segne euch, und alle Liebe und allen guten Willen auf Erden. Es hat mir viel Wohl durch meine Glieder gegossen der Aufenthalt hier, doch wirds im Ganzen nicht besser werden. Fiat voluntas. Wie wohl es euch ist, und nicht erschieserlich, gleich wie es niemand seyn kann der auf den drey steinernen Treppen zum Hause des Herren – Amtmann Buff – gehet, hab ich aus eurem Briefe ersehen, und geliebt es Gott, also in Saecula Saeculorum. Lottens Wegwerfung meiner treugesinnten, Nichtbriefschreibegesinnungen hat mich ein wenig geärgert,[43] das heist starck, aber nicht lang, wie über alle ihre Unartige Arten mit den Leuten zu handeln, darüber Dortel Brandt, die Gott bald mit einem wackern Gemahl versorge, mich mehr als einmal ausgelacht hat. – Als da sind Pflückerbsen und Kälberbraten pp.

Hier will man euch vieles Wohl, und ist wohl, und gut, auf Menschen Art, nicht mehr und weniger, als recht gute Menschen Art.

Adieu. Hört nicht auf so lang ihr mich liebt, mich offt zu euch zu versezen, das auf ein Blätgen Papier und Federgekritze ankommt das ihr doch offt um Leidiger Reichs Mängel schwadronieren müsst. Adieu.

Von nun an lieber Freund Ihre Briefe nach Frankfurt.


2/113.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, 12. December 1772.]

Das ist trefflich, ich wollte eben fragen ist Lenchen da, und ihr schreibt mir sie ists. Wär ich nur drüben, ich wollt eure Discurse zu nichte machen, und Schneidern das Leben sauer, ich glaube ich würde sie lieber haben als Lotten. Nach dem Portrait ist sie ein liebenswürdiges Mädgen, viel besser als Lotte, wenn nicht eben just das – Und ich binn frey, und liebebedürftig. ich muss sehen zu kommen, doch das wäre auch nichts.

[44] Da binn ich wieder in Frankfurt gehe mit neuen Plans um und Grillen, das ich all nicht tuhn würde hätt ich ein Mädgen.

Adieu, schreib mir bald wieder da habt Ihr 3 Baukunst. Gebt doch die andern guten Leuten, Schneidern z. E. und grüsst ihn.


2/114.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, 15. December 1772]

Gestern Abend lieber Kestner unterhielt ich mich eine Stunde mit Lotten und euch in der Dämmerung darüber wards Nacht, ich wollte zur tühr hinaustappen, und kam einen Schritt zu weit rechts, tappte Papier – es war Lottens Silhouette, es war doch eine angenehme Empfindung; ich gab ihr den besten Abend und ging.

Eben fiel mir's auch ein sie soll mir das Meubel nun schicken, lieber Kestner sorgt mir dafür dass sies euch giebt, und packt mirs wohl in eine Schachtel, und lasst sie ein Papiergen schneiden, wie gros er seyn soll, lasst ihr keine Ruhe ich schreibe euch keine Sylbe biss ich den Kamm habe. Denn wir sind arme sinnliche Menschen, ich möchte gern wieder was für sie, was von ihr in Händen haben, ein sinnliches Zeichen wodurch die geistlichunsichtbaare Gnadengüter pp. wies im Cathechismus klingt.

[45] Euer Brief macht mir viel Freude, lieber Kestner schick mir eine Silhouette im grosen von Lenchen, ich habe sie recht lieb. Verderbt mir das Mädgen nicht. Seit ich von Darmstadt wieder hier binn, binn ich ziemlichen Humors, und arbeite brav. Abenteuerlich wie immer, und mag herauskommen was kann. NB. mit Ende dieses Jahrs hören wir samt und sonders auf die Zeitung zu schrieben, dann wird's ein recht honettes Stück Arbeit geben. Macht das bekannt soweit eure Leute an uns teil nehmen.

Dass Lotte Jemand lieber hat als mich ausser euch, das sagt ihr könnte mir einerley seyn, der zweyte oder der zwanzigste ist eins. Der erste hat immer 99 Theil vom ganzen, und ob dann einer das hundertste Teil allein hat oder mit zwanzig Teilt ist ziemlich eins, und dass ich sie so lieb habe ist von ieher uneigennützig gewesen.

Grüst mir Carolinen recht viel.

Klinckern hab ich nicht gesehen, aber viel mehr guts davon gehört als der Frankfurter Rezensent davon sagt. Eure Briefe kommen nicht in fall verbrennt zu werden. Ich habe schon dran gedacht. Aber zurück kriegt ihr sie auch nicht. Wenn ich sterbe will ich sie euch vermachen.

Wenn Lotte eine recht gute Stunde hat grüsst sie von mir, der ich euch von Herzen liebe.

Goethe.

Das Exemplar von der Lettre sur l'homme kostet 30 kr.[46]


2/115.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, December 1772.]

Lieber Kestner euer Brief traf mich eben als ich eine Rolle versiegelte die ihr mit Morgen fahrender Post kriegt. Es ist Tamis für meine zween kleine Buben zu Wamms und Pumphosen, sonst Matelot genannt. Lasst ihnen den Abend vor Cristtag bescheren, wie sichs gehört. Stellt ihnen ein Wachsstöckgen dazu und küsst sie von mir. Und Lotten den Engel. Adieu lieber Kestner euer brief hat mir himmlische Freude gemacht. Ich hab auch heut einen von Versailles vom Bruder Lersee. Grüsst mir sie alle und habt mich lieb. Adieu.


2/116.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, 25. December 1772.]

Cristtag früh. Es ist noch Nacht lieber Kestner, ich binn aufgestanden um bey Lichte Morgens wieder zu schreiben, das mir angenehme Erinnerungen voriger Zeiten zurückruft; ich habe mir Coffee machen lassen den Festtag zu ehren und will euch schreiben biss es Tag ist. Der Türner hat sein Lied schon geblasen ich wachte darüber auf. Gelobet seyst du Jesu Christ. Ich hab diese Zeit des Jahrs gar lieb, die Lieder die man singt; und die Kälte die eingefallen ist macht[47] mich vollends vergnügt. Ich habe gestern einen herrlichen Tag gehabt, ich fürchtete für den heutigen, aber der ist auch gut begonnen und da ist mirs fürs enden nicht Angst. Gestern Nacht versprach ich schon meinen lieben zwey Schattengesichtern euch zu schreiben, sie schweben um mein Bett wie Engel Gottes. Ich hatte gleich bey meiner Ankunft Lottens Silhouette angesteckt, wie ich in Darmstadt war stellen sie mein Bett herein und siehe Lottens Bild steht zu Häupten das freute mich sehr, Lenchen hat jetzt die andre Seite ich danck euch Kestner für das liebe Bild, es stimmt weit mehr mit dem überein was ihr mir von ihr schriebt als alles was ich imaginirt hatte; so ist es nichts mit uns die wir rathen phantasiren und weissagen. Der Türmer hat sich wieder zu mir gekehrt, der Nordwind bringt mir seine Melodie, als blies er vor meinem Fenster. Gestern lieber Kestner war ich mit einigen guten Jungs auf dem Lande, unsre Lustbarkeit war sehr laut, und Geschrey und Gelächter von Anfang zu Ende. Das taugt sonst nichts für die kommende Stunde, doch was können die heiligen Götter nicht wenden wenns Ihnen beliebt, sie gaben mir einen frohen Abend, ich hatte keinen Wein getruncken, mein Aug war ganz unbefangen über die Natur. Ein schöner Abend, als wir zurückgingen es ward Nacht. Nun muss ich dir sagen das ist immer eine Sympatie für meine seele wenn die Sonne lang hinunter ist und die Nacht von Morgen herauf nach Nord und Süd[48] umsich gegriffen hat, und nur noch ein dämmernder Kreis vom abend heraufleuchtet. Seht Kestner wo das Land flach ist ists das herrlichste Schauspiel, ich habe jünger und wärmer Stunden lang so ihr zugesehn hinabdämmern auf meinen Wandrungen. Auf der Brücke hielt ich still. Die düstre Stadt zu beyden Seiten, der Still leuchtende Horizont, der Widerschein im Fluß machte einen köstlichen Eindruck in meine Seele den ich mit beyden Armen umfasste. Ich lief zu den Gerocks lies mir Bleystifft geben und Papier, und zeichnete zu meiner grossen Freude, das ganze Bild so dämmernd warm als es in meiner Seele stand. Sie hatten alle Freude mit mir darüber empfanden alles was ich gemacht hatte und da war ichs erst gewiss, ich bot ihnen an drum zu würfeln, sie schlugens aus und wollen ich solls Mercken schicken. Nun hängst hier an meiner Wand, und freut mich heute wie gestern. Wir hatten einen schönen Abend zusammen wie Leute denen das Glück ein groses geschenck gemacht hat, und ich schlief ein den heiligen im Himmel danckend, dass sie uns Kinderfreude zum Crist bescheeren wollen. Als ich über den Marckt ging und die vielen Lichter und Spielsachen sah dacht ich an euch und meine Bubens wie ihr ihnen kommen würdet, diesen Augenblick ein Himlischer Bote mit dem blauen Evangelio, und wie aufgerollt sie das Buch erbauen werde. Hätt ich bey euch seyn können ich hätte wollen so ein Fest Wachsstöcke illuminiren,[49] dass es in den kleinen Köpfen ein Widerschein der Herrlichkeit des Himmels geglänzt hätte. Die Tohrschließer kommen vom Burgemeister, und rasseln mit Schlüsseln. Das erste Grau des Tags kommt mir über des Nachbaars Haus und die Glocken läuten einer Cristlichen Gemeinde zusammen. Wohl ich bin erbaut hier oben auf meiner Stube, die ich lang nicht so lieb hatte als ietzt. Sie ist mir den glücklichsten Bildern ausgeziert die mir freundlichen guten Morgen sagen. Sieben Köpfe nach Raphael, eingegeben vom lebendigen Geiste, einen davon hab ich nachgezeichnet und binn zufrieden mit ob gleich nicht so froh. Aber meine lieben Mädgen. Lotte ist auch da und Lenchen auch. Sagen Sie Lenchen ich wünschte so sehnlich zu kommen und ihr die Hände zu küssen als der Musier der so herzinnigliche Briefe schreibt. Das ist gar ein armseliger Herre. Ich wollte meiner Tochter ein Deckbette mit solchen Billetdous füttern und füllen, und sie sollte so ruhig drunter schlafen wie ein Kind. Meine Schwester hat herzlich gelacht, sie hat von ihrer Jugend her auch noch dergleichen. Was ein mädgen ist von gutem Gefühl müssen dergleichen Sachen zuwieder seyn wie ein stinckig Ey. Der Kamm ist vertauscht, nicht so schön an Farb und Gestalt als der erste, hoffe doch brauchbaarer. Lotte hat ein klein Köpfgen, aber es ist ein Köpfgen.

Der Tag kommt mit Macht, wenn das Glück so schnell im avanziren ist, so machen wir balde Hochzeit.[50] Noch eine Seite muss ich schreiben so lang tuh ich als säh ichs Tageslicht nicht.

Grüst mir Kielmansegg. Er soll mich lieb behalten.

Der Scheiskerl in Giessen der sich um uns bekümmert wie das Mütterlein im Evangelio um den verlohrnen Groschen, und überal nach uns leuchtet und stöbert, dessen Nahme keinen Brief verunzieren müßte in dem Lottens Nahme steht und eurer. Der Kerl ärgert sich dass wir nicht nach ihm sehn, und sucht und zu necken dass wir seyn gedencken. Er hat um meine Baukunst geschrieben und gefragt so hastig, dass man ihm ansah das ist gefunden Fressen für seinen Zahn. hat auch flugs in die Frankfurter Zeitung eine Rezension gesudelt von der man mir erzält hat. Als ein wahrer Esel frisst er die Disteln die um meinen Garten wachsen nagt an der Hecke die ihn vor solchen Tieren verzäunt und schreit denn sein Critisches I! a! ob er nicht etwa dem Herrn in seiner Laube bedeuten möchte: ich binn auch da.

Nun Adieu, es ist hell Licht. Gott sey bey euch, wie ich bey euch binn. Der Tag ist festlich angefangen. Leider muß ich nun die schönen Stunden mit Rezensiren verderben ich tuhs aber mit gutem Muth denn es ist fürs letzte Blat.

Lebt wohl und denkt an mich das seltsame Mittelding zwischen dem reichen Mann und dem armen Lazarus.

Grüst mir die Lieben alle. Und lasst von euch hören.[51]


2/117.


An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, Ende December 1772.]

Da ist denn zu Ende unser kritisches Streifen. In einer Nachrede hab ich das Publikum und den Verleger turlupinirt lasst euch aber nichts merken. Sie mögens für Balsam nehmen.

Wollte ihr aufs nechste halbe Jahr noch versuchen, so sinds zwey gewagte Gulden. Schreibt mirs. Grüsst die liebe Lotte und Lengen. und Adieu.

Der Kamm ist abgangen, und die fehlenden Anhang. Ausser Nr. 6. Das kriegt ihr noch.


Quelle:
Goethes Werke. Weimarer Ausgabe, IV. Abteilung, Bd. 2, S. 13-52.
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