Zweiter Auftritt


[199] Die Vorigen. Der Magister.


MAGISTER. Guten Morgen, Herr Breme. Was gibt's Neues? Sie wollen mir etwas Wichtiges vertrauen, sagten Sie.

BREME. Etwas sehr Wichtiges, gewiß! Setzen Sie sich. Magister will den einzelnen Stuhl nehmen und zu ihnen rücken. Nein, bleiben Sie dort, sitzen Sie dort nieder! Wir wissen noch nicht, ob Sie an unserer Seite niedersitzen wollen.

MAGISTER. Eine wunderbare Vorbereitung.

BREME. Sie sind ein Mann, ein freigeborner, ein freidenkender, ein geistlicher, ein ehrwürdiger Mann. Sie sind ehrwürdig, weil Sie geistlich sind, und noch ehrwürdiger, weil Sie frei sind. Sie sind frei, weil Sie edel sind, und sind schätzbar, weil Sie frei sind. Und nun! Was haben wir erleben müssen! Wir sahen Sie verachtet, wir sahen Sie beleidigt; aber wir haben zugleich Ihren edlen Zorn gesehen, einen edlen Zorn, aber ohne Wirkung. Glauben Sie, daß wir Ihre Freunde sind, so glauben Sie auch, daß sich unser Herz im Busen umkehrt, wenn wir Sie verkehrt behandelt sehen. Ein edler Mann und verhöhnt, ein freier Mann und bedroht, ein geistlicher Mann und verachtet, ein treuer Diener und verstoßen! Zwar verhöhnt von Leuten, die selbst Hohn verdienen, verachtet von Menschen, die keiner Achtung wert sind, verstoßen von Undankbaren, deren Wohltaten man nicht genießen möchte, bedroht von einem Kinde, von einem Mädchen – das scheint freilich nicht viel[199] zu bedeuten; aber wenn Ihr bedenkt, daß dieses Mädchen kein Mädchen, sondern ein eingefleischter Satan ist, daß man sie Legion nennen sollte – denn es sind viele tausend aristokratische Geister in sie gefahren –, so seht Ihr deutlich, was uns von allen Aristokraten bevorsteht, Ihr seht es, und wenn Ihr klug seid, so nehmt Ihr Eure Maßregeln.

MAGISTER. Wozu soll diese sonderbare Rede? wohin wird Euch der seltsame Eingang führen? Sagt Ihr das, um meinen Zorn gegen diese verdammte Brut noch mehr zu erhitzen, um meine aufs Äußerste getriebene Empfindlichkeit noch mehr zu reizen? schweigt stille! wahrhaftig, ich wüßte nicht, wozu mein gekränktes Herz jetzt nicht alles fähig wäre. Was! nach so vielen Diensten, nach so vielen Aufopferungen mir so zu begegnen, mich vor die Türe zu setzen! und warum? wegen einer elenden Beule, wegen einer gequetschten Nase, mit der so viele hundert Kinder lustig auf und davon springen. Aber es kommt eben recht, eben recht! Sie wissen nicht, die Großen, wen sie in uns beleidigen, die wir Zungen, die wir Federn haben.

BREME. Dieser edle Zorn ergetzt mich, und so frage ich Euch denn im Namen aller edlen, freigebornen, der Freiheit werten Menschen, ob Ihr diese Zunge, diese Feder von nun an dem Dienste der Freiheit völlig widmen wollt?

MAGISTER. O ja, ich will, ich werde!

BREME. Daß Ihr keine Gelegenheit versäumen wollt, zu dem edlen Zwecke mitzuwirken, nach dem jetzt die ganze Menschheit emporstrebt?

MAGISTER. Ich gebe Euch mein Wort.

BREME. So gebt mir Eure Hand, mir und diesen Männern.

MAGISTER. Einem jeden; aber was haben diese armen Leute, die wie Sklaven behandelt werden, mit der Freiheit zu tun?

BREME. Sie sind nur noch eine Spanne davon, nur so breit, als die Schwelle des Gefängnisses ist, an dessen eröffneter Türe sie stehen.

MAGISTER. Wie?

BREME. Euer Ehrenwort, daß Ihr schweigen werdet!

MAGISTER. Ich gebe es.

BREME. Der Augenblick ist nahe, die Gemeinden sind versammelt, in einer Stunde sind sie hier. Wir überfallen das[200] Schloß, nötigen die Gräfin zur Unterschrift des Rezesses und zu einer eidlichen Versicherung, daß künftighin alle drückenden Lasten aufgehoben sein sollen.

MAGISTER. Ich erstaune!

BREME. Da habe ich nur noch ein Bedenken wegen des Eids. Die vornehmen Leute glauben nichts mehr. Sie wird einen Eid schwören und sich davon entbinden lassen. Man wird ihr beweisen, daß ein gezwungener Eid nichts gelte.

MAGISTER. Dafür will ich Rat schaffen. Diese Menschen, die sich über alles wegsetzen, ihresgleichen behandeln wie das Vieh, ohne Liebe, ohne Mitleid, ohne Furcht frech in den Tag hineinleben, solange sie mit Menschen zu tun haben, die sie nicht schätzen, solange sie von einem Gott sprechen, den sie nicht erkennen: dieses übermütige Geschlecht kann sich doch von dem geheimen Schauer nicht losmachen, der alle lebendigen Kräfte der Natur durchschwebt, kann die Verbindung sich nicht leugnen, in der Worte und Wirkung, Tat und Folge ewig miteinander bleiben. Laßt sie einen feierlichen Eid tun.

MARTIN. Sie soll in der Kirche schwören.

BREME. Nein, unter freiem Himmel.

MAGISTER. Das ist nichts. Diese feierlichen Szenen rühren nur die Einbildungskraft. Ich will es euch anders lehren. Umgebt sie, laßt sie in eurer Mitte die Hand auf ihres Sohnes Haupt legen, bei diesem geliebten Haupte ihr Versprechen beteuern und alles Übel, was einen Menschen betreffen kann, auf dieses kleine Gefäß herabrufen, wenn sie unter irgendeinem Vorwande ihr Versprechen zurücknähme oder zugäbe, daß es vereitelt würde.

BREME. Herrlich!

MARTIN. Schrecklich!

ALBERT. Entsetzlich!

MAGISTER. Glaubt mir, sie ist auf ewig gebunden.

BREME. Ihr sollt zu ihr in den Kreis treten und ihr das Gewissen schärfen.

MAGISTER. An allem, was ihr tun wollt, nehm' ich Anteil; nur sagt mir, wie wird man es in der Residenz ansehen? Wenn sie euch Dragoner schicken, so seid ihr alle gleich verloren.[201]

MARTIN. Da weiß Herr Breme schon Rat.

ALBERT. Ja, was das für ein Kopf ist!

MAGISTER. Klärt mich auf.

BREME. Ja, ja, das ist's nun eben, was man hinter Hermann Breme dem Zweiten nicht sucht. Er hat Konnexionen, Verbindungen da, wo man glaubt, er habe nur Kunden. So viel kann ich euch nur sagen, und es wissen's diese Leute, daß der Fürst selbst eine Revolution wünscht.

MAGISTER. Der Fürst?

BREME. Er hat die Gesinnungen Friedrichs und Josephs, der beiden Monarchen, welche alle wahren Demokraten als ihre Heiligen anbeten sollten. Er ist erzürnt, zu sehen, wie der Bürger- und Bauernstand unterm Druck des Adels seufzt, und leider kann er selbst nicht wirken, da er von lauter Aristokraten umgeben ist. Haben wir uns nur aber erst legitimiert, dann setzt er sich an unsere Spitze, und seine Truppen sind zu unsern Diensten, und Breme und alle braven Männer sind an seiner Seite.

MAGISTER. Wie habt Ihr das alles erforscht und getan und habt Euch nichts merken lassen?

BREME. Man muß im stillen viel tun, um die Welt zu überraschen. Er geht ans Fenster. Wenn nur erst der Hofrat fort wäre, dann solltet ihr Wunder sehen.

MARTIN auf Bremen deutend. Nicht wahr, das ist ein Mann!

ALBERT. Er kann einem recht Herz machen.

BREME. Und, lieber Magister, die Verdienste, die Ihr Euch heute nacht erwerbt, dürfen nicht unbelohnt bleiben. Wir arbeiten heute fürs ganze Vaterland. Von unserm Dorfe wird die Sonne der Freiheit aufgehen. Wer hätte das gedacht!

MAGISTER. Befürchtet Ihr keinen Widerstand?

BREME. Dafür ist schon gesorgt. Der Amtmann und die Gerichtsdiener werden gleich gefangen genommen. Der Hofrat geht weg, die paar Bedienten wollen nichts sagen, und der Baron ist nur der einzige Mann im Schlosse; den locke ich durch meine Tochter herüber ins Haus und sperre ihn ein, bis alles vorbei ist.

MARTIN. Wohl ausgedacht.

MAGISTER. Ich verwundere mich über Eure Klugheit.[202]

BREME. Nu, nu! wenn es Gelegenheit gibt, sie zu zeigen, sollt Ihr noch mehr sehen, besonders was die auswärtigen Angelegenheiten betrifft. Glaubt mir, es geht nichts über einen guten Chirurgus, besonders wenn er dabei ein geschickter Barbier ist. Das unverständige Volk spricht viel von Bartkratzern und bedenkt nicht, wie viel dazu gehört jemanden zu barbieren, eben daß es nicht kratze. Glaubt mir nur, es wird zu nichts mehr Politik erfordert, als den Leuten den Bart zu putzen, ihnen diese garstigen barbarischen Exkremente der Natur, diese Barthaare, womit sie das männliche Kinn täglich verunreinigt, hinweg zu nehmen und den Mann dadurch an Gestalt und Sitten einer glattwangigen Frau, einem zarten liebenswürdigen Jüngling ähnlich zu machen. Komme ich dereinst dazu, mein Leben und Meinungen aufzusetzen, so soll man über die Theorie der Barbierkunst erstaunen, aus der ich zugleich alle Lebens- und Klugheitsregeln herleiten will.

MAGISTER. Ihr seid ein originaler Kopf.

BREME. Ja, ja, das weiß ich wohl, und deswegen habe ich auch den Leuten verziehen, wenn sie mich oft nicht begreifen konnten und wenn sie, albern genug, glaubten mich zum besten zu haben. Aber ich will ihnen zeigen, daß, wer einen rechten Seifenschaum zu schlagen weiß, wer mit Leichtigkeit, Bequemlichkeit und Gewandtheit der Finger einzuseifen, den sprödesten Bart zahm zu machen versteht; wer da weiß, daß ein frisch abgezognes Messer ebenso gut rauft als ein stumpfes, wer mit dem Strich oder wider den Strich die Haare wegnimmt, als wären sie gar nicht dagewesen; wer dem warmen Wasser zum Abwaschen die gehörige Temperatur verleiht und selbst das Abtrocknen mit Gefälligkeit verrichtet und in seinem ganzen Benehmen etwas Zierliches darstellt – das ist kein gemeiner Mensch, sondern er muß alle Eigenschaften besitzen, die einem Minister Ehre machen.

ALBERT. Ja, ja, es ist ein Unterschied zwischen Barbier und Barbier.

MARTIN. Und Herr Breme besonders, das ist dir eine ordentliche Lust.

BREME. Nu, nu, es wird sich zeigen. Es ist bei der ganzen[203] Kunst nichts Unbedeutendes. Die Art, den Schersack aus- und einzukramen, die Art, die Gerätschaften zu halten, ihn unterm Arm zu tragen – ihr sollt Wunder hören und sehen. Nun wird's aber Zeit, daß ich meine Tochter vorkriege. Ihr Leute, geht an eure Posten! Herr Magister, halten Sie sich in der Nähe.

MAGISTER. Ich gehe in den Gasthof, wohin ich gleich meine Sachen habe bringen lassen, als man mir im Schlosse übel begegnete.

BREME. Wenn Sie stürmen hören, so soll's Ihnen freistehen, sich zu uns zu schlagen oder abzuwarten, ob es uns glückt, woran ich gar nicht zweifle.

MAGISTER. Ich werde nicht fehlen.

BREME. So lebt denn wohl und gebt aufs Zeichen acht.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 199-204.
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