Erster Auftritt


[234] Hofmeisterin. Sekretär.


SEKRETÄR.

Verdien' ich, daß du mich, im Augenblick,

Da ich erwünschte Nachricht bringe, fliehst?

Vernimm nur erst, was ich zu sagen habe!

HOFMEISTERIN.

Wohin es deutet, fühl ich nur zu sehr.

O laß mein Auge vom bekannten Blick,

Mein Ohr sich von bekannter Stimme wenden.

Entfliehen laß mich der Gewalt, die, sonst

Durch Lieb' und Freundschaft wirksam, fürchterlich

Wie ein Gespenst mir nun zur Seite steht.

SEKRETÄR.

Wenn ich des Glückes Füllhorn dir auf einmal,

Nach langem Hoffen, vor die Füße schütte,

Wenn sich die Morgenröte jenes Tags,

Der unsern Bund auf ewig gründen soll,

Am Horizonte feierlich erhebt,

So scheinst du nun verlegen, widerwillig

Den Antrag eines Bräutigams zu fliehn.

HOFMEISTERIN.

Du zeigst mir nur die eine Seite dar:

Sie glänzt und leuchtet, wie im Sonnenschein

Die Welt erfreulich daliegt; aber hinten

Droht schwarzer Nächte Graus, ich ahnd' ihn schon.

SEKRETÄR.

So laß uns erst die schöne Seite sehn!

Verlangst du Wohnung, mitten in der Stadt,

Geräumig, heiter, trefflich ausgestattet,

Wie man's für sich so wie für Gäste wünscht:

Sie ist bereit, der nächste Winter findet

Uns festlich dort umgeben, wenn du willst.

Sehnst du im Frühling dich aufs Land: auch dort

Ist uns ein Haus, ein Garten uns bestimmt,

Ein reiches Feld. Und was Erfreuliches

An Waldung, Busch, an Wiesen, Bach und Seen

Sich Phantasie zusammen drängen mag,[234]

Genießen wir, zum Teil als unser eignes,

Zum Teil als allgemeines Gut. Wobei

Noch manche Rente gar bequem vergönnt,

Durch Sparsamkeit ein sichres Glück zu steigern.

HOFMEISTERIN.

In trübe Wolken hüllt sich jenes Bild,

So heiter du es malst, vor meinen Augen.

Nicht wünschenswert, abscheulich naht sich mir

Der Gott der Welt im Überfluß heran.

Was für ein Opfer fordert er? Das Glück

Des holden Zöglings müßt' ich morden helfen!

Und was ein solch Verbrechen mir erwarb,

Ich sollt' es je mit freier Brust genießen?

Eugenie! du, deren holdes Wesen

In meiner Nähe sich von Jugend auf

Aus reicher Fülle rein entwickeln sollte,

Kann ich noch unterscheiden, was an dir

Dein eigen ist, und was du mir verdankst?

Dich, die ich als mein selbst gebildet Werk

Im Herzen trage, sollt' ich nun zerstören?

Von welchem Stoffe seid ihr denn geformt,

Ihr Grausamen, daß eine solche Tat

Ihr fordern dürft und zu belohnen glaubt?

SEKRETÄR.

Gar manchen Schatz bewahrt von Jugend auf

Ein edles, gutes Herz und bildet ihn

Nur immer schöner, liebenswürd'ger aus

Zur holden Gottheit des geheimen Tempels;

Doch wenn das Mächtige, das uns regiert,

Ein großes Opfer heischt, wir bringen's doch,

Mit blutendem Gefühl, der Not zuletzt.

Zwei Welten sind es, meine Liebe, die,

Gewaltsam sich bekämpfend, uns bedrängen.

HOFMEISTERIN.

In völlig fremder Welt für mein Gefühl

Scheinst du zu wandeln, da du deinem Herrn,

Dem edlen Herzog, solche Jammertage

Verräterisch bereitest, zur Partei

Des Sohns dich fügst. Wenn das Waltende

Verbrechen zu begünst'gen scheinen mag,

So nennen wir es Zufall; doch der Mensch,

Der ganz besonnen solche Tat erwählt,[235]

Er ist ein Rätsel. Doch – und bin ich nicht

Mir auch ein Rätsel, daß ich noch an dir

Mit solcher Neigung hänge, da du mich

Zum jähen Abgrund hinzureißen strebst?

Warum, o! schuf dich die Natur von außen

Gefällig, liebenswert, unwiderstehlich,

Wenn sie ein kaltes Herz in deinen Busen,

Ein glückzerstörendes, zu pflanzen dachte?

SEKRETÄR.

An meiner Neigung Wärme zweifelst du?

HOFMEISTERIN.

Ich würde mich vernichten, wenn ich's könnte.

Doch ach! warum, und mit verhaßtem Plan,

Aufs neue mich bestürmen? Schwurst du nicht,

In ew'ge Nacht das Schrecknis zu begraben?

SEKRETÄR.

Ach, leider drängt sich's mächtiger hervor.

Den jungen Fürsten zwingt man zum Entschluß.

Erst blieb Eugenie so manches Jahr

Ein unbedeutend unbekanntes Kind.

Du hast sie selbst von ihren ersten Tagen

In diesen alten Sälen auferzogen,

Von wenigen besucht und heimlich nur.

Doch wie verheimlichte sich Vaterliebe!

Der Herzog, stolz auf seiner Tochter Wert,

Läßt nach und nach sie öffentlich erscheinen;

Sie zeigt sich reitend, fahrend. Jeder fragt

Und jeder weiß zuletzt, woher sie sei.

Nun ist die Mutter tot. Der stolzen Frau

War dieses Kind ein Greuel, das ihr nur

Der Neigung Schwäche vorzuwerfen schien.

Nie hat sie's anerkannt und kaum gesehn.

Durch ihren Tod fühlt sich der Herzog frei,

Entwirft geheime Plane, nähert sich

Dem Hofe wieder und entsagt zuletzt

Dem alten Groll, versöhnt sich mit dem König

Und macht sich's zur Bedingung: dieses Kind

Als Fürstin seines Stamms erklärt zu sehn.

HOFMEISTERIN.

Und gönnt ihr dieser köstlichen Natur

Vom Fürstenblute nicht das Glück des Rechts?

SEKRETÄR.

Geliebte, Teure! Sprichst du doch so leicht,[236]

Durch diese Mauern von der Welt geschieden,

In klösterlichem Sinne von dem Wert

Der Erdengüter. Blicke nur hinaus;

Dort wägt man besser solchen edlen Schatz.

Der Vater neidet ihn dem Sohn, der Sohn

Berechnet seines Vaters Jahre, Brüder

Entzweit ein ungewisses Recht auf Tod

Und Leben. Selbst der Geistliche vergißt,

Wohin er streben soll, und strebt nach Gold.

Verdächte man's dem Prinzen, der sich stets

Als einz'gen Sohn gefühlt, wenn er sich nun

Die Schwester nicht gefallen lassen will,

Die, eingedrungen, ihm das Erbteil schmälert?

Man stelle sich an seinen Platz und richte.

HOFMEISTERIN.

Und ist er nicht schon jetzt ein reicher Fürst?

Und wird er's nicht durch seines Vaters Tod

Zum Übermaß? Wie wär' ein Teil der Güter

So köstlich angelegt, wenn er dafür

Die holde Schwester zu gewinnen wüßte!

SEKRETÄR.

Willkürlich handeln ist des Reichen Glück!

Er widerspricht der Fordrung der Natur,

Der Stimme des Gesetzes, der Vernunft,

Und spendet an den Zufall seine Gaben.

Genug besitzen hieße darben. Alles

Bedürfte man! Unendlicher Verschwendung

Sind ungemeßne Güter wünschenswert.

Hier denke nicht zu raten, nicht zu mildern;

Kannst du mit uns nicht wirken, gib uns auf.

HOFMEISTERIN.

Und was denn wirken? Lange droht ihr schon

Von fern dem Glück des liebenswürd'gen Kindes.

Was habt ihr denn in eurem furchtbarn Rat

Beschlossen über sie? Verlangt ihr etwa,

Daß ich mich blind zu eurer Tat geselle?

SEKRETÄR.

Mit nichten! Hören kannst und sollst du gleich,

Was zu beginnen, was von dir zu fordern

Wir selbst genötigt sind. Eugenien

Sollst du entführen! Sie muß dergestalt[237]

Auf einmal aus der Welt verschwinden, daß

Wir sie getrost als tot beweinen können.

Verborgen muß ihr künftiges Geschick,

Wie das Geschick der Toten, ewig bleiben.

HOFMEISTERIN.

Lebendig weiht ihr sie dem Grabe, mich

Bestimmt ihr tückisch zur Begleiterin.

Mich stoßt ihr mit hinab. Ich soll mit ihr,

Mit der Verratnen die Verräterin,

Der Toten Schicksal vor dem Tode teilen.

SEKRETÄR.

Du führst sie hin und kehrest gleich zurück.

HOFMEISTERIN.

Soll sie im Kloster ihre Tage schließen?

SEKRETÄR.

Im Kloster nicht; wir mögen solch ein Pfand

Der Geistlichkeit nicht anvertrauen, die

Es leicht als Werkzeug gegen uns gebrauchte.

HOFMEISTERIN.

So soll sie nach den Inseln? Sprich es aus.

SEKRETÄR.

Du wirst's vernehmen! Jetzt beruh'ge dich.

HOFMEISTERIN.

Wie kann ich ruhen bei Gefahr und Not,

Die meinen Liebling, die mich selbst bedräut?

SEKRETÄR.

Dein Liebling kann auch drüben glücklich sein,

Und dich erwarten hier Genuß und Wonne.

HOFMEISTERIN.

O schmeichelt euch mit solcher Hoffnung nicht.

Was hilft's, in mich zu stürmen? zum Verbrechen

Mich anzulocken, mich zu drängen? Sie,

Das hohe Kind, wird euren Plan vereiteln.

Gedenkt nur nicht, sie als geduld'ges Opfer

Gefahrlos wegzuschleppen. Dieser Geist,

Der mutvoll sie beseelt, ererbte Kraft

Begleiten sie, wohin sie geht, zerreißen

Das falsche Netz, womit ihr sie umgabt.

SEKRETÄR.

Sie festzuhalten, das gelinge dir!

Willst du mich überreden, daß ein Kind,

Bisher im sanften Arm des Glücks gewiegt,

Im unverhofften Fall Besonnenheit

Und Kraft, Geschick und Klugheit zeigen werde?

Gebildet ist ihr Geist, doch nicht zur Tat,

Und wenn sie richtig fühlt und weise spricht,

So fehlt noch viel, daß sie gemessen handle.

Des Unerfahrnen hoher, freier Mut[238]

Verliert sich leicht in Feigheit und Verzweiflung,

Wenn sich die Not ihm gegenüberstellt.

Was wir gesonnen, führe du es aus:

Klein wird das Übel werden, groß das Glück.

HOFMEISTERIN.

So gebt mir Zeit, zu prüfen und zu wählen!

SEKRETÄR.

Der Augenblick des Handelns drängt uns schon.

Der Herzog scheint gewiß, daß ihm der König

Am nächsten Fest die hohe Gunst gewähren

Und seine Tochter anerkennen wolle;

Denn Kleider und Juwelen stehn bereit,

Im prächt'gen Kasten sämtlich eingeschlossen,

Wozu er selbst die Schlüssel wohl verwahrt

Und ein Geheimnis zu verwahren glaubt;

Wir aber wissen's wohl und sind gerüstet.

Geschehen muß nun schnell das Überlegte.

Heut' abend hörst du mehr. Nun lebe wohl!

HOFMEISTERIN.

Auf düstern Wegen wirkt ihr tückisch fort

Und wähnet, euren Vorteil klar zu sehen.

Habt ihr denn jeder Ahnung euch verschlossen,

Daß über Schuld und Unschuld, lichtverbreitend,

Ein rettend, rächend Wesen göttlich schwebt?

SEKRETÄR.

Wer wagt, ein Herrschendes zu leugnen, das

Sich vorbehält, den Ausgang unsrer Taten

Nach seinem einz'gen Willen zu bestimmen?

Doch wer hat sich zu seinem hohen Rat

Gesellen dürfen? Wer Gesetz und Regel,

Wonach es ordnend spricht, erkennen mögen?

Verstand empfingen wir, uns mündig selbst

Im ird'schen Element zurecht zu finden,

Und was uns nützt, ist unser höchstes Recht.

HOFMEISTERIN.

Und so verleugnet ihr das Göttlichste,

Wenn euch des Herzens Winke nichts bedeuten.

Mich ruft es auf, die schreckliche Gefahr

Vom holden Zögling kräftig abzuwenden,

Mich gegen dich und gegen Macht und List

Beherzt zu waffnen. Kein Versprechen soll,

Kein Drohn mich von der Stelle drängen. Hier,

Zu ihrem Heil gewidmet, steh' ich fest.

SEKRETÄR.

O meine Gute! dies ihr Heil vermagst[239]

Du ganz allein zu schaffen, die Gefahr

Von ihr zu wenden, magst du ganz allein,

Und zwar, indem du uns gehorchst. Ergreife

Sie schnell, die holde Tochter, führe sie,

So weit du kannst, hinweg, verbirg sie fern

Von aller Menschen Anblick, denn – Du schauderst,

Du fühlst, was ich zu sagen habe. Sei's,

Weil du mich drängest, endlich auch gesagt:

Sie zu entfernen, ist das Mildeste.

Willst du zu diesem Plan nicht tätig wirken,

Denkst du, dich ihm geheim zu widersetzen,

Und wagtest du, was ich dir anvertraut,

Aus guter Absicht irgend zu verraten,

So liegt sie tot in deinen Armen! Was

Ich selbst beweinen werde, muß geschehn.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 234-240.
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